Aktion vs. Reaktion

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Zufrieden sah Felicia in den Spiegel vor sich, hatte sich für eine sommerliche helle Stoffhose und eine leichte weiße Bluse entschieden, ihre Haare zu einem lockeren Dutt hochgebunden. „Du siehst großartig aus", hörte sie Olivers Stimme hinter sich. „Danke", erwiderte sie lächelnd. Er trug eine beigefarbene kurze Stoffhose, braune Slipper ohne Socken und ein, wie sollte es auch anders sein, ein hellblaues etwas zu eng sitzendes Hemd. Irgendwann musste sie ihn auf die Wichtigkeit von richtigen Hemdgrößen hinweisen. „Können wir los? Kolja wartet vermutlich unten", fuhr er erwartungsvoll fort. Felicia nickte, griff nach ihrer Tasche und folgte ihm.
Ihr Blick blieb augenblicklich an dem Mann hängen, welcher lässig an der Rezeption stand und sich mit einem der Rezeptionisten unterhielt. Im Gegensatz zu ihrem Begleiter saß sein weißes Hemd perfekt, sein Outfit war wie bereits am Vortag tadellos. Sie schmunzelte. Optik war wichtig! „Kolja", grüßte Oliver freudig, bevor sich Kolja an sie beide wandte. Ein Lächeln trat auf seine Lippen, während er erst Oliver, dann sie eingehend musterte „Das Taxi wartet bereits", bemerkte er ruhig und deutete höflich auf den Ausgang. „Ich hatte doch gar kein Taxi bestellt", entgegnete Oliver etwas verwirrt. Kolja grinste: „Aber ich".


„Aber ich", grinste Kolja „Ich habe leider nur einen Zweisitzer in der Tiefgarage", witzelte er und sah zu Oliver, welcher ihn verdutzt ansah. „Sie waren noch nicht oft in Dubai, Oliver?", versuchte er ihn aus seiner Starre zu lösen. „Nein, tatsächlich nicht", fand er seine Sprache wieder. „Dann war es vielleicht doch eine gute Idee, dass ich Sie begleite", stellte Kolja fest und warf Felicia ein charmantes Lächeln zu. Sie sah einfach fantastisch aus, glaubte Oliver tatsächlich, dass man sie für seine Freundin hielt?
Vor dem Hotel angekommen sah er sich um und deutete auf eines der wartenden Taxis „Das ist unser Taxi", bemerkte er ruhig.


Beeindruckt betrachtete Felicia das Gebäude vor sich. „Mit 828 Metern das höchste Bauwerk der Welt", erklärte Kolja, während er neben sie trat. „163 nutzbare Etagen, davon allein 49 für Büros, 1044 Apartmentwohnungen, ein Hotel und nicht zu vergessen das höchstgelegene Restaurant der Welt. Hier ist alles extravagant.", fuhr er mit ruhiger Stimme fort. Verwundert sah sie zu dem Mann neben sich. Auch Oliver betrachtete ihn irritiert: „Haben Sie den Reiseführer auswendig gelernt?", fragte sie schmunzelnd. Kolja lächelte knapp, zuckte mit den Schultern und steuerte auf den Eingang der Dubai Mall zu. „Selbstverständlich" witzelte er „Man muss doch vorbereitet sein". Irritiert sah sie ihm nach, sie war sich sicher, dass er nicht einmal einen Blick in einen Reiseführer geworfen hatte. „Er scheint sich auszukennen", lachte Oliver, welcher nun neben sie getreten war. „Scheint so", erwiderte Felicia ebenfalls lächelnd. An der Schlange des Ticketverkaufs angekommen schluckte sie, mehr Menschen als sie erwartet hatte. Grade als sie sich auf Wartezeit eingestellt hatte, zückte Kolja sein Handy: „Sie glauben doch nicht, dass wir warten müssen.", lachte er, schob sich an den Menschen vor sich vorbei, griff sich einen Angestellten, welcher ihn nach einem Blick auf sein Smartphone einfach durchwinkte. Er lächelte, deutete auf sie und ihren Begleiter woraufhin die Menschen vor ihnen gebeten wurden zur Seite zu treten und Platz zu machen. „Spontan ist hier nicht", erklärte Kolja lässig als sie wieder bei ihm ankamen. „Wir hätten doch auch warten können", bemerkte Oliver ruhig, fast schon eingeschüchtert, worauf Koljas Mundwinkel zuckten. „Ich warte nicht, Oliver", stellte er selbstsicher klar. „Diese Bescheidenheit", entfuhr es Felicia schmunzelnd, während sie den Mann vor sich eingehend musterte. Das war es, was sie an einem Mann reizte.


Kolja ließ eine Hand in seine Hosentasche gleiten, während er an seinem Wein nippte und die Aussicht genoss, die sich im bot. 555 Meter über dem Boden, mit dem schönsten Ausblick. „Was eine Aussicht", begann Oliver als er neben ihn trat. Statt einer Antwort nickte er nur. „Felicia ist begeistert", fuhr er lächelnd fort und deutete auf seine Begleitung, welche ihren Blick gebannt in die Ferne richtete. Kolja lächelte: „Das freut mich", erwiderte er höflich. „Sie ist eine bemerkenswerte Frau", ergriff Oliver erneut das Wort. Kolja schmunzelte, sah zu dem Mann neben sich. Seine Worte waren aufrichtig und er hatte Recht mit dem was er sagte. Das war sie tatsächlich. „Sie sind ein ungleiches Paar", bemerkte Kolja und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Oliver zuckte mit den Schultern: „Manchmal ist nicht die Optik entscheidend", rechtfertigte er sich fast schon, was Kolja ein Schmunzeln entlockte. Dieser Mann hatte zweifellos ein Problem mit seinem Selbstwertgefühl. „Ich dachte auch eher charakterlich". Oliver sah ihn fragend an. „Ihre Freundin scheint eine sehr aufgeweckte, schlagfertige junge Frau zu sein, während Sie eher ruhig und zurückhaltend sind. Sie wirkt sehr abenteuerlustig, während sie eher der Gewohnheitstyp zu sein scheinen, der Veränderungen nicht unbedingt mag", fuhr Kolja fort und lachte: „Aber ja, auch optisch sind Sie ein ungewöhnliches Paar". Oliver erwiderte sein Lachen, auch wenn er dabei etwas nervös wirkte: „Gegensätze ziehen sich wohl doch an". „Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?", wollte er nun neugierig wissen, er wollte wissen, welche Geschichte er sich zurechtgelegt hatte. Sein Gegenüber zögerte kurz: „Wir haben uns über Freunde kennengelernt", erzählte er. „Sie ist mir natürlich sofort aufgefallen, allerdings habe ich mich nicht gleich getraut sie anzusprechen. Irgendwie sind wir dann doch ins Gespräch gekommen, haben uns sehr gut verstanden". Koljas Mundwinkel zuckten, er wusste nicht, ob er diese abstrakte Situation nun amüsant oder doch eher traurig finden sollte, er war so bemüht diese Scharade aufrecht zu halten. Er musterte Oliver. Weshalb spielte er dieses Spiel? „Möchten Sie auch noch etwas trinken?", lenkte Oliver ab und deutete auf das leere Weinglas in seiner Hand. Kolja lehnte dankend ab, woraufhin dieser sein leeres Glas entgegennahm und sich auf den Weg zur Bar machte.


Felicia spürte eine leichte Berührung an ihrer Schulter und erblickte eine Zigarette vor sich. Irritiert sah sie zur Seite, sah unvermittelt in Koljas hellgraue Augen. „Danke", bemerkte sie lächelnd, bevor sie die Zigarette annahm und sanft mit ihren Lippen umschloss. Kolja zückte sein Feuerzeug, trat einen Schritt auf sie zu und gab ihr Feuer. „Wo ist Oliver?", fragte sie ruhig, nachdem sie sich suchend nach ihrem Begleiter umgesehen hatte. „Er hat wohl die Flucht ergriffen", witzelte Kolja, während er den Rauch seiner Zigarette ausblies. „Bei der Gesellschaft kein Wunder", konterte sie frech und sah ihn herausfordernd an. Sie mochte seinen Humor. Ihr Gegenüber lachte: „Er holt sich noch etwas zu trinken".
Für eine Weile standen sie schweigend nebeneinander, ließen den Blick in die Ferne schweifen, bevor ihr Nebenmann erneut das Wort ergriff: „Er hat ein Problem mit seinem Ego", stellte er fast schon beiläufig fest. „...und Sie sind selbstgefällig und arrogant", erwiderte sie ebenfalls möglichst beiläufig. „So hat jeder seine Baustellen". Ein letztes Mal zog sie an ihrer Zigarette, drückte sie im Aschenbecher neben sich aus, während sie angesichts seines perplexen Gesichtsausdrucks in sich hineinschmunzelte, und ging zu Oliver, der sich suchend nach ihr umsah. Aber leider hatte er Recht, Oliver hatte ein Problem mit seinem Ego.


Endlich im Food Court der Dubai Mall angekommen, hatten sie einen der letzten Tische im Außenbereich ergattern können, von dem man einen perfekten Blick auf den Burj Khalifa und den davorliegenden See inklusive der Dubai Fountain hatte. Durch die wenigen Tische war es unglaublich gemütlich und ruhig, während sich um den See bereits die Menschenmassen sammelten, um die beeindruckende Wassershow direkt vor dem Burj Khalifa zu sehen. Den kompletten Nachmittag hatten sie in der Dubai Mall verbracht, wobei sich Kolja für zwei Stunden ausgeklinkt hatte, um doch noch die ein oder andere E-Mail beantworten zu können.
„Ich habe gestern Abend noch ein wenig recherchiert", begann er und sah zu Oliver, welcher ihn neugierig betrachtete. „Haben Sie ein ausgearbeitetes Konzept, welches Sie mir vorlegen können?". Die Augen seines Gegenübers wurden groß: „Heißt das, sie würden den Auftrag annehmen?", hakte er euphorisch nach. Kolja schmunzelte: „Nein", erwiderte er ehrlich. „Es heißt lediglich, dass ich mir Ihr Konzept ansehen möchte. Ich muss wissen, was sie sich vorstellen, wie die technische Umsetzung aussehen soll." „Natürlich habe ich ein Konzept. Ich habe alles, sogar schon einen Psychologen, der mit mir die Grundfragen für die App ausarbeiten würde." Kolja überlegte: „Ich möchte alles, was Sie haben". „Natürlich, kein Problem", stieß Oliver freudig aus „Das kling doch super!". Kolja sah zu Felicia, welche ihn ebenfalls mit einem zufriedenen Lächeln ansah. Wie es schien, erwartete ihn in den nächsten Tagen viel Arbeit, mehr als ohnehin schon.
Kolja warf einen Blick auf seine Uhr. 18:55 Uhr. „Wenn Sie einen guten Blick haben möchten, sollten Sie sich vorne an die Brüstung stellen", erklärte er ruhig. „Ist schon in Ordnung, ich sehe auch von hier genug", erwiderte Oliver dankend. „Vielleicht gehen wir einfach eine rauchen", schlug Felicia schmunzelnd vor und deutete an den Rand der Terrasse. „Warum nicht", antwortete Kolja gelassen, bevor er sich erhob und eine freie Stelle zwischen der anderen Gäste an der Brüstung sicherte. Felicia gab Oliver einen leichten Kuss auf die Wange, sagte noch ein paar Worte zu ihm und folgte Kolja. „Schön, wie Sie seine Fassade aufrechterhalten", stellte er schmunzelnd fest, als Felicia neben ihn trat. „Sind Sie neidisch?", fragte sie keck, während er ihre Zigarette anzündete. „Allerdings" antwortete er mit einem verführerischen Grinsen, zündete seine Zigarette ebenfalls an und zog genüsslich daran, bevor er weitersprach „Auf die Nächte mit Ihnen bin ich tatsächlich neidisch". Perplex sah seine Gegenüber ihn an, zum ersten Mal schien sie sprachlos zu sein.


Kolja hatte Felicia mit seiner Antwort tatsächlich vollkommen aus dem Konzept gebracht. Mit einer solchen Antwort auf ihre Frage hatte sie nicht gerechnet. Grade als sie zu einem Konter ansetze, startete die Musik am See vor ihnen. Kolja lächelte triumphierend, trat einen Schritt zur Seite und schob sie vor sich, sodass sie freien Blick auf die beleuchteten Wasserfontainen bekam, welche synchron zur Musik mit einem lauten Krachen in die Luft schossen. Sie spürte seinen Körper dicht hinter ihrem, atmete den Rauch ein, welchen er ausblies. Sie zog an der Zigarette in ihrer Hand, atmete tief ein, diesen Triumph konnte und wollte sie ihm nicht lassen. Ein schadenfrohes Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie sich dicht an seinen Körper schob, ihren Hintern mit einer leichten Bewegung ihrer Hüfte an seinen Schoß drückte, was ihrem Hintermann ein leichtes Keuchen entlockte. Nun war sie es die ihn über ihre Schulter ansah, ihre Lippen dicht an seinen und triumphierend lächelte „Damit müssen Sie dann wohl vorerst leben, Kolja".


Zwei Leben - Eine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt