Bröckelnde Fassade

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Kolja ließ behutsam eine Hand durch sein Haar gleiten, konnte noch immer nicht fassen, was eigentlich passiert war. Weshalb war dieser Mann ohne zu zögern mit einem Messer auf ihn losgegangen? Wieso hatte er überhaupt ein Messer dabeigehabt? Warum war er Felicia gefolgt? Wer war er und was hatte er tatsächlich tun wollen, wäre er ihm nicht in die Quere gekommen? All diese Fragen ließen ihm einfach keine Ruhe. Dieser Mann hatte Felicia nicht nur verunsichert, er hatte ihr Angst gemacht.
„Sie sind ja wach?", wurde er von einer älteren, fast schon mütterlichen Krankenschwester aus den Gedanken gerissen. Lächelnd trat sie auf ihn zu, schob die Decke zur Seite und betrachtete gewissenhaft das großflächige Pflaster an seinem Körper. „Eine wundervolle Freundin, die Sie da haben", plauderte sie beiläufig. „Wie bitte?", entfuhr es ihm irritiert. Die rothaarige Dame stoppte ihre Arbeit für einen Augenblick, sah ihn verwundert an: „Na die junge Dame, die die letzten Tage nicht von Ihrer Seite gewichen ist. Sie hat die Ärzte ganz schön auf Trapp gehalten, war nach der Operation fast ununterbrochen hier". Für einen Moment dachte sie nach: „Sie sagte, sie sei ihre Freundin", zuckte sie mit den Schultern, schmunzelte nebenbei und nahm ihre Arbeit wieder auf. Kolja stutzte, die Krankenschwester konnte nur von Felicia sprechen.

„Die Polizei möchte noch Ihre Aussage aufnehmen. Fühlen Sie sich fit genug?", sprach sie selbstverständlich weiter, ohne auf sein Zögern einzugehen. Er überlegte einen Augenblick und nickte knapp. Er wollte wissen, was nun Sache war.
„Können Sie mir sagen, was passiert ist?", begann der neben ihm sitzende Polizist und sah ihn erwartungsvoll an. „Sie wissen doch was passiert ist.", stellte Kolja sachlich fest und erwiderte seinen Blick. „Wir wollen Ihre Sicht, Herr Weyland", fuhr er fort. „Haben Sie ihn?", hakte er nach. Der Polizist sah ihn mahnend an: „Können Sie einfach auf meine Fragen antworten?" Koljas Mundwinkel zuckten. „Wenn es sinnvolle Fragen sind, gerne", konterte er gelassen, sah den Polizeibeamten nun ebenfalls erwartungsvoll an. „Wir haben den Täter", beantwortete der Polizist seine Frage, bevor er tief durchatmete: „Was ist also passiert". „Meine Begleitung und ich waren bei einem Geschäftsessen", begann er nun zu erzählen. „Felicia Sievers?", warf er ein. So hieß sie also? Kolja nickte. „Eine Prostituierte?", fragte sein Gegenüber mit einem provokanten Unterton. Kolja hob eine Augenbraue, er wollte sich nicht provozieren lassen. „Escort-Dame", korrigierte er ruhig. „Aber wir sehen uns privat" „Pretty Women oder wie", entfuhr es dem schlanken jungen Mann vor ihm amüsiert, woraufhin Kolja ihn mit ernster Miene taxierte: „Eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist schnell geschrieben", erklärte er warnend. Der Mann vor ihm schluckte „Sind Sie ihr nähergekommen?", fragte er nun wieder sachlich. Kolja nickte: „Wir wollten uns grade auf den Heimweg machen, als sie auf den Mann nur wenige Meter von uns entfernt aufmerksam wurde. Sie schien ihn zu kennen und im Laufe des Abends schon einmal gesehen zu haben. Sie sagte er würde ihr folgen, also wollte ich ihn zur Rede stellen. Das Ergebnis sehen Sie ja." „Wussten Sie, dass es sich bei ihm um einen ihrer Kunden handelt?" „Nein", antwortete er knapp. „Das war mir bis jetzt nicht bekannt". „Er sagt, sie sei seine Freundin, Sie hätten sie bedrängt, unsittlich berührt, deswegen hätte er eingegriffen". „Das ist vollkommener Unsinn", entfuhr es ihm aufgebracht, stoppte jedoch als er den Schmerz in seiner Seite vernahm. Das war nicht gut. „Das stimmt nicht" fuhr er nun ruhiger fort. „Hat sie mal von ihm gesprochen?" Kolja sah seinen Gegenüber irritiert an: „Natürlich nicht. Sie spricht nicht über ihre Kunden".


Felicia spielte mit dem Handy in ihrer Hand, drückte sich vor dem Anruf, welcher ihr bevorstand. Sie wollte nicht mit Gwen sprechen, wollte ihrer Chefin nicht erklären, warum sie in den nächsten Tagen nicht zur Arbeit erscheinen konnte.
Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie den Kontakt ihrer Chefin anwählte und dem Freizeichen lauschte. Hoffentlich ging sie nicht dran und sie konnte einfach eine Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen!
„Simmons", hörte sie die Stimme ihrer Chefin. „Hallo Gwen", begann Felicia ruhig „Ich bins Felicia". „Felicia", entfuhr es ihr überrascht „Warum hast du dich nicht gemeldet. Ich habe dir mehrfach auf die Mailbox gesprochen". „Entschuldige, es gab einen privaten Notfall", versuchte sie möglichst neutral zu erklären. „Geht es dir gut?", hakte Gwen augenblicklich besorgt nach. „Ja, also nicht wirklich", gab sie nun ehrlich zu, während ihre Augen begannen feucht zu werden und ihre Stimme zunehmend an Klang verlor. „Was ist los?", hakte sie nach. Ihr Ton war einfühlsam, brachte Felicias harte Fassade ins Wanken. „Roger", begann sie und stockte kurz. „Roger? Unser Roger? Was ist mit ihm?", warf ihre Chefin ungeduldig ein. „Er hat einen Mann niedergestochen. Ich vermute die Polizei wird auch noch auf euch zukommen", versuchte sie möglichst ruhig zu erklären. „Was?", hörte sie entsetzt am anderen Ende der Leitung. „Er ist krank, also wirklich krank, Gwen". Felicia schluckte. „Warst du dabei?" „Er hat Kolja, ohne zu zögern das Messer in die Seite gerammt", sprudelte es nun nur so aus ihr hervor, während die Tränen langsam über ihre Wangen rollten. Sie hatte sich fest vorgenommen seinen Namen nicht zu erwähnen, sachlich und ruhig zu bleiben, doch es war unmöglich. „Warte. Kolja? Kolja Weyland? Mit ihm habe ich vor wenigen Tagen noch gesprochen. Du wolltest ihn nicht mehr sehen." Felicia zögerte. „Nur geschäftlich", antwortete sie knapp. Ohne eine weitere Frage abzuwarten, fuhr sie möglichst ruhig fort: „Wir haben uns privat gesehen." Für einen kurzen Moment war es einfach still am anderen Ende der Leitung, es folgte kein Wort: „Gwen?", hakte Felicia leise nach. „Ich weiß, dass wir das nicht tun sollten". „Wie geht es ihm?", fragte die Frau am anderen Ende ruhig, ohne auf Felicias Bemerkung einzugehen. „Stabil, aber noch nicht besonders gut. Ich muss die nächsten Tage noch hierbleiben, soll mich für Fragen der Polizei bereithalten. Ich brauche ein paar Tage frei." „Ist schon in Ordnung, Felicia", sprach Gwen beruhigend. „Mach dir keinen Kopf. Ich werde deine Termine für die nächsten Tage erst einmal absagen und dann sprechen wir nochmal. In Ordnung?" „Danke", erwiderte Felicia leise. „So etwas hätte ich Roger nicht zugetraut.", ergriff Gwen fassungslos das Wort. „Er muss mir bis nach München gefolgt sein, er muss mich regelrecht gestalkt haben. Das ist gruselig.", erklärte sie, ihre Stimme festigte sich langsam wieder. Es war der Ärger, der in ihr aufstieg. Was trieb einen Menschen zu so einer Tat?


Kolja biss die Zähne zusammen, als er sich aus dem Bett erhob. Er musste an die frische Luft, er konnte nicht mehr liegen. Mit zaghaften Schritten ging er zu seiner Tasche, welche auf dem Tisch in der Ecke stand, zog ein Langarmshirt und eine Jogginghose hervor, welche er sich behutsam überzog und stockte als er weiter in der Tasche kramte. Da hatte jemand mitgedacht. Er sah in seine Hand und erblickte sein silbernes Zigarettenetui inklusive Feuerzeug. Jackpot! Es war sicher keine gute Idee, aber er musste irgendwie einen klaren Kopf bekommen. Behutsam schob er das Etui in seine Hosentasche und verließ mit vorsichtigen Schritten das Zimmer. Fuck, tat das weh!
„Felicia", bemerkte er ruhig, als er die ihm nur zu bekannte Gestalt im Wartebereich erkannte. Erschrocken sah sie auf, wischte sich hektisch mit den Händen durch ihr Gesicht. Sie hatte geweint. „Kolja, was machst du hier?", entfuhr es ihr jedoch mit gewohnt sicherem Ton. „Du solltest im Bett liegen." Er zuckte leicht mit den Schultern und schmunzelte: „Menschen in Führungspositionen tun sich mit Anweisungen bekanntlich schwer". Seine Gegenüber lachte: „Und was hast du vor?". Er zückte das silberne Etui aus seiner Hosentasche, lächelte verschwörerisch: „Kommst du mit?" „Das ist nicht in Ordnung", begann sie ernst, bis ihre Mundwinkel zu zucken begannen: „Aber du wirst auch gehen, wenn ich nein sage. Also komme ich lieber mit." Kolja lachte schwach, versuchte den Schmerz zu ignorieren: „Gut erkannt". „Aber, wenn jemand fragt, ich wollte es dir ausreden", lachte sie. „Natürlich".
„Wie geht es dir?", fragte Kolja besorgt, als er Felicia betrachtete, welche einen tiefen Zug ihrer Zigarette einatmete. Sie sah unglaublich müde aus. Ihre Haare hatte sie zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengebunden, trug ein lockeres Sweatshirt und eine einfache Jeans. Sie lächelte zaghaft: „Ich kann mich nicht beklagen. Mir hat niemand ein Messer in den Körper gerammt." Er hob eine Augenbraue, sah sie erwartungsvoll an: „Wie geht es dir wirklich, Felicia", wiederholte er seine Frage leise. Sie schluckte, wich seinem Blick aus, zuckte mit den Schultern und zog erneut an ihrer Zigarette. Kolja sah auf die Zigarette in seiner Hand, nahm einen letzten kurzen Zug, bevor er sie in den Aschenbecher neben sich schnippte und behutsam auf seine Gegenüber zutrat. Er legte seine Hand sanft auf ihre Wange, zwang sie ihn anzusehen, sprach jedoch kein Wort. Erneut schluckte sie merklich, wich seinem Blick aus, doch statt zurückzuweichen, schob sie sich dicht an ihn, schmiegte sie sich an seine Brust. Diesmal war er es, der schluckte, dennoch legte er seine Arme um sie, hielt sie einfach nur fest, strich einfühlsam über ihren Kopf, welcher an seiner Brust lehnte. Was geschah hier?


„Herr Weyland, das ist wohl nicht Ihr Ernst?", hörte Felicia eine mahnende Stimme hinter sich. Sie schluckte, löste sich augenblicklich von Kolja und wischte sich mit der Hand durch ihr Gesicht. Was zur Hölle war das gewesen? Sie wandte sich um und blickte in das ernste Gesicht der älteren rothaarigen Krankenschwester. Gabi. „Sie springen dem Tod von der Schippe und meinen dann mal eben einen kleinen Ausflug machen zu müssen?". Auch ihr Gegenüber schien sich kurz sammeln zu müssen, warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er Gabi ruhig ansah: „Ich brauchte einfach frische Luft", erklärte er leise. Die Krankenschwester schielte auf den Aschenbecher. „Das will ich nicht nochmal sehen". Felicia schmunzelte: „Ich weiß, Sie machen sich nur Sorgen Gabi, aber ein bisschen frische Luft kann doch nun wirklich nicht schaden. Ich verspreche Ihnen, dass ich ihn in ein paar Minuten wieder auf sein Zimmer bringe.", erklärte sie mit einem verständnisvollen unglaublich sympathischen Lächeln. Gabi hob eine Augenbraue, sah sie skeptisch an. „In zehn Minuten liegt dieser Mann wieder in seinem Bett", bemerkte sie, lächelte jedoch zaghaft und verschwand wieder im Gebäude.
Kolja schüttelte grinsend den Kopf: „Jedem anderen hätte sie vermutlich den Kopf abgerissen". „Ich weiß, wie ich bekomme was ich will", konterte sie mit einem verschmitzten Grinsen. Kolja lachte zaghaft, verzog jedoch das Gesicht: „Ist mir nicht entgangen", antwortete er knapp. Er musste definitiv wieder ins Bett.


Zwei Leben - Eine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt