Zwei Leben - Eine Geschichte

Es fehlt der Reiz...

Ungeduldig ließ Kolja das Smartphone durch seine Finger gleiten, während er immer wieder auf die Uhr schaute. Er hasste Unpünktlichkeit. Erst wenige Minuten später vernahm er ein leises Klopfen an seiner Zimmertür. Ob das eine gute Idee war?
Er atmete tief durch, bevor auf die Tür zutrat, sie öffnete und die junge Frau vor sich aufmerksam musterte. Ihr schlanker, sportlicher Körper umspielt von dem dünnen, leichten Stoff ihres schwarzen Kleides, die glatten braunen Haare, welche locker über ihre nackten Schultern fielen, die nussbraunen Augen, aus denen sie ihn neugierig betrachtete. Sie hatte etwas! „Ava", stellte sie sich selbstbewusst vor, was Kolja ein charmantes Lächeln entlockte, bevor er einen Schritt zur Seite trat: „Bitte", sagte er ruhig und deutete auf sein Apartment.
Gemütlich ließ er sich auf dem Sofa nieder, neben ihm Ava, welche ihn erwartungsvoll ansah. „Ihr erstes Mal?", brach sie das Schweigen mit ihrem englischen Akzent und grinste. Kolja lachte: „Nein", antwortete er knapp.
Er schmunzelte, es war lediglich das erste Mal seit einer geraumen Weile. Seine Termine hatten ihn in den letzten Monaten durch die halbe Weltgeschichte gejagt, nur selten hatte er mehr als drei oder vier Tage an einem Ort verbracht. Immer wieder hatte er gehofft, dass sich ein Termin oder gar ein Zeitfenster für ihn in Frankfurt ergab, er einen Abend mit Felicia verbringen konnte. Doch diese Gelegenheit war zu seinem Bedauern ausgeblieben. Aktuell hing er in London fest und er brauchte dringend eine Abwechslung. „Sie sind geschäftlich in der Stadt?", ergriff die junge Frau neben ihm das Wort. Er schüttelte sachte den Kopf, taxierte sie: „Ich möchte nicht reden.", erwiderte er knapp, griff in ihren Nacken und zog sie an sich. Kurz vor seinen Lippen legte sie eine Hand auf seine Brust und stoppte: „No Kisses", ermahnte sie ihn. Kolja schloss für einen Moment die Augen, atmete tief durch. Das hatte grade noch gefehlt. Schweigend stand er auf, griff nach Avas Hand, zog sie ruhig, aber bestimmt zu sich hoch. Er sah ihr fest in die Augen, bis er anzüglich grinste, ihre Taille fest umschloss und sie mit einem Ruck herumdrehte, sodass sich sein Körper nun unmittelbar hinter ihrem befand. „Dann eben so", hauchte er dicht an ihrem Ohr und zog sie fest an sich, was ihr ein überraschtes Stöhnen entlockte.

Felicia betrachtete den Herrn mittleren Alters vor sich, welcher für sein Alter tatsächlich noch recht attraktiv war, jedoch seit fast zwei Stunden einen Monolog über seine Ex-Frau, sein Ex-Haus, sein Ex-Auto und auch seinen Ex-Hund hielt. Hoffentlich hatte dieses Thema bald ein Ende. Verständnisvoll zuhören, ein paar aufmunternde Worte und natürlich tröstender Sex, auch das gehörte zu ihrem Job. Ihre Kunden waren alle außerordentlich höflich, intelligent, aber oft auch ein wenig langweilig. Es fehlte der Reiz. Unweigerlich musste sie an Kolja denken, ein Kunde, den sie in den letzten Monaten fast schon ein wenig vermisst hatte, sofern sie ihn überhaupt als Solchen betrachten konnte. Nachdem sie mit Oliver aus Dubai abgereist war, hatte sie weder Oliver noch ihn wiedergesehen. Oliver hatte, wie es schien in Mila die passende Frau an seiner Seite gefunden, was sie ehrlich freute, doch was mit Kolja war, wusste sie nicht. „Das ist doch unglaublich, oder?", hörte sie Frederiks erwartungsvolle Stimme vor sich. „Das ist wirklich unglaublich", bestätigte sie verständnisvoll, ohne zu wissen, wovon er in diesem Augenblick überhaupt gesprochen hatte. Ihr gegenüber nickte jedoch zufrieden. Konnte dieser Abend nicht einfach zügig vorbei sein?


Kolja atmete tief ein, stieß den Rauch aus seinen Lungen, während er nachdenklich auf die Zigarette in seiner Hand blickte. Diese Frau ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Die Zeit mit Ava war zwar nett gewesen, aber nett war nun wirklich nicht das was er sich erhofft hatte. Sie hatte einfach das getan, was er wollte, hatte ihn nicht provoziert, ihn nicht herausgefordert, ihn in keiner Sekunde nur ansatzweise überrascht. Sie hatte ihm lediglich gezeigt, was er nicht mehr wollte. Er musste sie einfach wiedersehen.