Die Verhandlung

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Aus den Augenwinkeln beobachtete Kolja Felicia neben sich, wie sie nervös mit dem Knie wackelte. In ihrer hellblauen Jeans, ihrer weißen Bluse, über der sie ein hellgrauen Blazer trug und ihren fast schon streng hochgebundenen Locken wirkte sie ungewohnt unscheinbar. Noch vor wenigen Minuten hatte sie mit ihrer taffen Art jegliche Aufregung von sich gewiesen, bewies ihm jedoch in diesem Moment, dass genau diese taffe Art oftmals einfach nur Fassade zu sein schien. Er schmunzelte zaghaft, als er seine Hand sorgsam auf ihr Knie legte. Überrascht sah sie ihn an: „Es ist in Ordnung aufgeregt zu sein.", sagte er ruhig, strich sanft mit seinem Daumen über ihr Bein. „Ich bin es auch", gab er ehrlich zu und lächelte knapp. „Kolja", hörte er eine ihm bekannte Stimme. „Edgar", entfuhr es ihm erstaunt, als er seinen Stiefvater und seine Mutter auf sich zukommen sah. Er warf Felicia einen entschuldigenden Blick zu, erhob sich und trat auf sie zu. „Was macht ihr hier?", wollte er irritiert wissen. Edgar hob die Schultern: „Dieser Mann hat dich fast umgebracht. Du glaubst doch nicht, dass uns das kalt lässt". Kolja atmete tief durch, seit der Hochzeit hatte er weder mit ihm noch mit seiner Mutter gesprochen, umso mehr überraschte es ihn, dass sie da waren. Edgar lächelte knapp, bevor er auf ihn zutrat und ihn fest umarmte. „Marit", grüßte er distanziert, als Edgar ihn aus seiner Umarmung entließ. „Kolja", erwiderte sie leise, sah ihn entschuldigend an: „Ich habe dir Unrecht getan", fuhr sie ruhig fort, näherte sich ihm und nahm ihn ohne zu zögern ebenfalls in den Arm: „Es tut mir leid, mein Junge.", flüsterte sie mit brüchiger Stimme, was auch in fest schlucken ließ. Noch nie hatte sich seine Mutter bei ihm für ihr Verhalten entschuldigt! „Marit, ich glaube wir müssen rein", bemerkte Edgar und deutete auf die Tür des Verhandlungssaals, nachdem er auch Felicia herzlich begrüßt hatte.


„Frau Sievers, Sie kennen den Angeklagten?", hakte der Richter vor ihr interessiert nach und deutete auf Roger, der in einem viel zu großen weißen Hemd neben seinem Anwalt auf der Anklagebank saß, zaghaft lächelte, fast schon verschüchtert wirkte. Obwohl sie wusste, was er getan hatte, tat er ihr in diesem Moment sogar ein wenig leid. Sie wusste, dass er im Grunde ein unglaublich netter zurückhaltender Mensch war, mit dem sie sich so viele Abend einfach nur über Gott und die Welt unterhalten hatte. „Ja ich kenn ihn", antwortete sie ruhig. „Er war ein Kunde von mir." „Können Sie uns näher erläutern, was Sie beruflich machen?", fragte er und hob eine Augenbraue. Felicia lächelte selbstsicher: „Ich arbeite seit nun ungefähr vier Jahren in der der Agentur von Gwen Simmons, eine Escort-Agentur. Wenn ich recht informiert bin, wurde auch sie befragt." „Hatte Roger eine besondere Bedeutung für Sie?". Irritiert sah Felicia zu dem Richter: „Nein", antwortete sie unvermittelt. „Er war ein Kunde von mir, mehr nicht" „Es ist also abwegig, dass sie eine private Liaison mit einem Kunden eingehen?", stichelte Rogers Anwalt und sah sie überheblich an. „Was soll diese Frage?", wollte Felicia verdutzt wissen. Rogers Anwalt grinste: „Mein Mandant hat mir glaubhaft versichert, dass zwischen Ihnen und ihm ein durchaus privateres Verhältnis bestand, weshalb er Sie lediglich vor einem aufdringlichen Kunden schützen wollte, der ihn dazu noch angegriffen hat." Was? „Es gab kein privates Verhältnis zwischen Roger und mir, er hat mich gestalkt. Er hat eine Spionageapp auf meinem Handy installiert, ist mir bis nach München gefolgt, ist mir in München gefolgt. Ich will nicht wissen, wie lange er das bereits in Frankfurt getan hat, ohne dass ich etwas bemerkt habe. Das ist krank. Kolja wollte ihn lediglich zur Rede stellen.", entgegnete sie nun aufgebrachter. „Herr Weyland?", fragte der Anwalt neugierig, worauf Felicia nickte. Sie atmete tief durch. Er wollte sie vermutlich verunsichern, sie aus der Reserve locken, damit er Roger aus dem Fokus der Geschichte nehmen konnte. „Vielleicht fangen Sie einfach vorne an, Frau Sievers. Was ist an diesem Abend passiert?", bat der Richter in ruhigem Ton und warf Rogers Anwalt einen mahnenden Blick zu. „Ich war am allein in der Innenstadt von München unterwegs", begann sie ruhig zu erzählen. „Als ich gegen Mittag in einem Kaffee saß ist mir Roger das erste Mal aufgefallen, er saß nur wenige Tische entfernt. Er musste mich schon dort beobachtet haben." „Ich war in keinem Kaffee", warf Roger ein. „Ich bin mir sicher, dass er es war", konterte sie möglichst ruhig, ohne ihn auch nur anzusehen und fuhr fort: „Ebenso sicher bin ich mir, dass ich ihn im Restaurant gesehen habe, er jedoch gegangen ist, als er meinen Blick bemerkt hat." „Ich habe auf dich aufgepasst.", warf Roger erneut ein. „Du weißt, dass ich dich liebe, und du hast es erwidert." Felicia biss die Zähne aufeinander, sah ihn zum ersten Mal direkt an: „Sag mir, wie du darauf kommst!", forderte sie mit fester Stimme. Roger schluckte: „Du warst so unglaublich liebevoll zu mir, so zärtlich, so verständnisvoll, mit dir hatte ich meinen ersten Kuss.". „Und du hast jedes Mal dafür bezahlt, Roger. Genau das ist mein Job, eine Illusion entstehen zu lassen, ein Gefühl zu vermitteln, was nicht da ist. Du hast fast einen Menschen getötet, ist dir das bewusst?"


„Kolja Lui Friedrich Weyland, geboren 22.02.1980 in Hannover. Ist das korrekt?", fragte der Richter an Kolja gewandt, der nun in der Mitte des Raumes saß. „Das ist korrekt", erwiderte Kolja ruhig. „Mit dem Angeklagten sind sie weder verwandt, noch verschwägert?", fuhr der Mann in Robe sachlich fort, worauf Kolja den Kopf schüttelte und Roger einen abschätzigen Blick zuwarf: „Nein", antwortete er knapp. „Sind Sie in der Lage sich zu beherrschen? Uns ist ein Vorfall zu Ohren gekommen, der sich auf der Polizeidienststelle zugetragen hat", ertönte nun die Stimme von Rogers Anwalt. Kolja betrachtete ihn kühl: „Wenn ihr Mandant in der Lage ist mich nicht zu provozieren, dann selbstverständlich". „Der Angeklagte verzichtet im Übrigen in dieser Angelegenheit auf eine Strafanzeige wegen Körperverletzung.", erklärte der Richter, worauf Kolja lachend den Kopf schüttelte: „Das wäre ja noch schöner. Die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständigen Polizeibeamten dagegen läuft.", bemerkte er beiläufig. „Nun, Frau Sievers hat uns bereits geschildert, was am Tattag geschehen ist, wir möchten dennoch auch ihre Version hören", bemerkte der Richter seine Anmerkung ignorierend und deutete auf Felicia welche schräg hinter ihm saß. „Frau Sievers hat mich zu einem Geschäftsessen begleitet", begann er sachlich. „Geschäftlich oder privat?", hakte der Richter ein. Kolja hob verwirrt eine Augenbraue: „Es war ein geschäftliches Meeting". „Haben Sie Frau Sievers für diesen Abend bezahlt?", fragte er nun direkt. „Nein, sie hat mich privat begleitet". „Sie sehen Herr Vorsitzender, so abwegig ist eine private Liaison zwischen Frau Sievers und einem Kunden also nicht", warf Rogers Anwalt triumphierend ein. „Was?", entfuhr es Kolja perplex. „Waren Sie nicht auch ein Kunde von Frau Sievers?", provozierte der Anwalt. „Was tut denn das jetzt bitte zur Sache?", fragte Kolja verwundert. „Herr Weyland, in welchem Verhältnis stehen Sie zu Frau Sievers?", fragte der Richter nun mit klaren Worten.


„Herr Weyland, in welchem Verhältnis stehen Sie zu Frau Sievers", fragte der Richter nachdrücklich. Wieso hatte er ihr diese Frage nicht gestellt. „Sie ist meine Freundin", antwortete Kolja mit unglaublicher Selbstverständlichkeit, wobei sie glaubte ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen. Perplex sah sie ihn an, versuchte zu begreifen, was er da grade gesagt hatte, versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten, doch er verzog keine Miene. Kein Schalk in seinen Augen, kein Zögern, kein Zweifel in seiner Stimme, sondern lediglich eine ungewohnte Ernsthaftigkeit. „Wieso haben Sie das damals nicht zu Protokoll gegeben?". Kolja hob die Schultern: „Weil es damals lediglich um Sex ging, eine Beziehung stand nicht im Raum", antwortete er ruhig und sachlich. Der Richter hob eine Augenbraue. „Es ist also richtig, dass sie Frau Sievers an dem besagten Abend unsittlich berührt haben?", schaltete sich Rogers Anwalt erneut ein. Kolja sah ihn unvermittelt an: „Sie sollten sich lieber fragen, warum Ihr Mandant ein illegales Klappmesser in seinem Besitz hat, welches er mir ohne Vorwarnung in den Körper rammt, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, was Felicia und ich in diesem Moment, für Sie noch einmal deutlich, einvernehmlich getan haben.", bemerkte er scharf, sodass sich sogar auf Felicias Haut eine leichte Gänsehaut ausbreitete. Noch nie hatte sie ihn so kalt, so autoritär erlebt. „In Ordnung, Herr Weyland", durchbrach der Richter die Stille im Verhandlungssaal. „Die Anklage wird Sie ohne weitere Einwürfe ihre Aussage machen lassen".
Was zur Hölle passierte hier?


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