Lackaffe

191 17 0
                                    

Felicia sah auf die Uhr ihres Smartphones. 13:22 Uhr. Noch einmal öffnete sie Koljas Nachricht – Musste los. Hole dich Freitag, 13 Uhr ab. Kolja- Sie hob eine Augenbraue. Diese Nachricht war nun zwei Tage her und seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Seit knapp 20 Minuten saß sie nun vor ihrer Haustür, neben ihr ihr kleiner Koffer und wartete auf ihn. Sie hasste Unpünktlichkeit. „Felicia", hörte sie Uschis grelle Stimme neben sich. „Wie geht's dir? Ist dein Freund schon weg?", plapperte sie. Noch bevor Felicia antworten konnte, fuhr sie fort „Ist ja ein ganz schönes Schnuckelchen, aber ein wenig verbissen.". Ihr Freund? Das war ungewöhnlich, normalerweise bekam sie von ihrer Nachbarin lediglich anstößige Bemerkungen zu ihrem Job, wenn sie denn mal Männerbesuch hatte. Verdutzt sah sie die Frau neben sich an, welche ungeachtet dessen einfach fortfuhr „Ist er nicht ein bisschen alt für dich?". Felicia hob eine Augenbraue: „Wie kommst du darauf, dass er mein Freund ist?", fragte sie verwirrt. „Oh, er geht wohl davon aus", entfuhr es Uschi überrascht, bevor ein leichtes Kichern über ihre Lippen kam: „Vielleicht solltest du das lieber klarstellen, bevor du noch Probleme mit einem Kunden bekommst." Da waren sie also wieder die Anspielungen auf ihren Job, ein Privatleben schien sie in Uschis Augen nicht zu haben. „Danke für die Information", bemerkte sie möglichst beiläufig. „Gerne, aber ich muss leider los. Ich bekomme noch Besuch", säuselte ihre Gegenüber und machte auf dem Absatz kehrt „Schönen Urlaub", ergänzte sie lächelnd, deutete auf ihren Koffer und verschwand auf dem Nachbargrundstück. Was? Das musste Uschi gehörig falsch verstanden haben. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Kolja sich in diese Richtung geäußert hatte. Oder? Perplex schüttelte sie den Kopf. Bei dieser Frau fehlten ihr immer wieder aufs Neue die Worte.


„Shit", fluchte Kolja genervt, als er einen Blick auf die Uhr warf. 13:14 Uhr. Er war viel zu spät, dabei war er es selbst, der Unpünktlichkeit auf den Tod nicht ausstehen konnte. Er steckte eilig sein Handy in die Hosentasche, warf seinen Koffer in den Kofferraum und machte sich zügig auf den Weg.
„Entschuldige", sagte er mit ruhiger Stimme, als er auf Felicia zutrat, welche offensichtlich auf der Treppenstufe ihrer Wohnungstür gewartet hatte. „Ich hoffe du hast eine gute Ausrede", bemerkte sie herausfordernd, lächelte jedoch, als sie auf ihn zutrat. „Und Arbeit ist keine gute Ausrede, Kolja", setzte sie schmunzelnd nach, bevor er das Wort ergreifen konnte. „Dann bin ich jetzt einfach leise", lachte er, während er seine Hand um ihre Taille legte und ihr einen zarten Kuss auf die Wange hauchte.


Überrascht betrachtete Felicia das beschauliche Einfamilienhaus vor sich. Es war nicht besonders groß, hatte etwas von einem kleinen Landhaus. Es war unglaublich gepflegt, der kleine Vorgarten war bis ins kleinste Detail liebevoll dekoriert. Es stimmte wirklich alles. Sie hatte etwas vollkommen anderes erwartet, hatte erwartet, dass seine Familie in Luxus lebte, in einem Anwesen, aber sicher nicht in einem so gemütlichen charmanten Einfamilienhaus. Kolja stand neben ihr, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, seine Anspannung war deutlich spürbar. Was würde sie an diesem Wochenende wohl erwarten?
„Bist du dir sicher, dass du das möchtest?", hakte Kolja skeptisch nach. Felicia huschte ein Lächeln über ihre Lippen: „Du bist es, der offensichtlich Angst hat, nicht ich.", konterte sie keck. Der Mann neben ihr lächelte zaghaft, bevor er die Klingel betätigte.
Nur wenige Augenblicke später öffnete sich die Haustür, vor ihnen ein unscheinbarer Junge, vielleicht 15 Jahre alt, mit kurzen braunen Haaren und bernsteinfarbenen Augen. „Kolja", entfuhr es ihm freudig. „Willst du Mama ärgern?", grinste er verschmitzt als er nun auch Felicia erblickte. „Oh Entschuldigung", plapperte er weiter, während er ihr seine Hand höflich entgegenstreckte: „Emil, in bin sein kleiner Bruder", erklärte er mit breitem Grinsen. „Felicia", stellte sie sich ebenfalls mit einem Lächeln vor, sah verwundert zu Kolja. Er hatte einen kleinen Bruder? „Wäre er gerne, ist er aber nicht", erwiderte Kolja knapp. „Er ist Edgars Sohn aus erster Ehe". Emil lachte: „Sage ich ja, mein Bruder. Ab morgen sogar offiziell". Der Junge gefiel ihr. „Kommt rein", bat Emil, drehte sich herum und ging ins Haus.
Die Küche war geräumiger als sie erwartet hatte, sie war gemütlich eingerichtet, offensichtlich ein Ort an dem sie sich gern aufhielten. Am Küchentisch saß ein älterer Herr mit weißen Haaren, welche er elegant nach hinten gekämmt hatte. Ein adretter Herr, vielleicht Ende 60. Freudig erhob er sich als er sie erblickte: „Kolja mein Junge", Das musste dann wohl Edgar sein, vermutlich der Bräutigam. Kolja lächelte, während Edgar ihn freundschaftlich in den Arm nahm, sie schienen sich gut zu verstehen. Neugierig wand er sich nun an Felicia: „Edgar", stellte er sich vor, sah sie erwartungsvoll und bot ihr höflich seine Hand an. „Felicia", grüßte sie mit einem charmanten Lächeln. „Deine Freundin?", fragte er neugierig an Kolja gewandt, welcher kaum merklich den Kopf schüttelte. „Musst du deine Mutter provozieren?", mahnte der ältere Herr mit ruhiger Stimme. Ihr Nebenmann atmete tief durch: „Ich bin, wie jeder andere Gast, in Begleitung hier. Was daran ist bitte provokant?", bemerkte er verbissen. „Du weißt, wie sie ist", flüsterte er und klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. „Kolja", ertönte eine Stimme hinter ihnen. Eine stilvoll gekleidete, sportliche Dame mit kurzen grauen Haaren betrat die Küche, auf ihrer Nase eine knallige türkisfarbene Brille. Das war Koljas Mutter?


Koljas Mutter trat auf ihn zu, nahm ihn für einen Moment in den Arm, eine eher distanzierte Begrüßung. „Du hättest dich umziehen können. Du weißt, dass ich dieses Lackaffengetue nicht leiden kann", stellte sie kühl fest, als sie sich von ihm löste und ihn eingehend betrachtete. Kolja hob eine Augenbraue. „Du siehst ihm zum Verwechseln ähnlich", fuhr sie fort und schüttelte fast schon enttäuscht den Kopf. Kolja atmete tief durch. War das ihr ernst? War es ihr Ernst am Wochenende ihrer eigenen Hochzeit damit anzufangen? „Ich kann auch gleich wieder gehen", erwiderte er beherrscht. Darauf hatte er wirklich keine Lust. „Hallo", hörte er Felicias ruhige unglaublich charmante Stimme neben sich. „Sie müssen Koljas Mutter sein, freut mich sehr" fuhr sie fort und streckte ihr selbstverständlich die Hand entgegen. Seine Mutter sah sie, wie er vermutlich auch, verdutzt an. „Hallo", erwiderte sie bemüht gelassen, obwohl er genau wusste, dass dem nicht so war. „Marit", stellte sie sich vor und nahm die ihr angebotene Hand entgegen. Ein Schmunzeln trat auf seine Lippen, sie wusste definitiv mit ihrem Charme umzugehen. „Du hättest erwähnen können, dass du in Begleitung kommst". „Ist das bei deinem eigenen Sohn jetzt wirklich ein Problem?", wollte er herausfordernd wissen. „Muriel wird auch kommen", erklärte sie unvermittelt, ohne auf seine Frage einzugehen. Wie es schien, war genau das das Problem. „Was?", entfuhr es ihm überrascht. Seit ihrer Trennung vor sieben Jahren hatten sie kein Wort mehr gesprochen, nicht einmal ein klärendes Gespräch hatte es gegeben. Warum auch? Der Fehler lag in ihren Augen ohnehin nur bei ihm. Die letzten an ihn gerichteten Worte waren jedenfalls keine Netten gewesen. Aber, dass seine Ex-Freundin dennoch über diesen langen Zeitraum Kontakt zu seiner Mutter gehalten und offensichtlich sogar noch intensiviert hatte, machte ihn sprachlos. Kein Wunder, dass dieses Thema zwischen seiner Mutter und ihm immer wieder hochgekocht war. „Felicia, kommen Sie, möchten Sie einen Kaffee?", hörte er Edgars freundliche Stimme neben sich.


„Nun Felicia, was machen Sie beruflich?", fragte Edgar, während er seine Tasse ansetzte. Felicia zögerte kurz, betrachtete nachdenklich den Kaffee in ihrer Hand. Auch Kolja musste sie akzeptieren wie sie war, welchen Beruf sie ausübte, verleugnen würde sie ihn sicher nicht. Doch bevor sie antworten konnte ergriff Kolja das Wort, welcher direkt neben ihr saß: „Sie arbeitet im Begleitservice". Edgar schluckte merklich, während Marits Augen groß wurden: „Du wagst es mit einer Prostituierten auf meiner Hochzeit aufzutauchen?", fuhr sie ihren Sohn forsch an. Felicia lächelte gelassen: „Ich bin nicht geschäftlich hier, ich bin privat hier.", erklärte sie ruhig. Fassungslos sah Marit sie an: „Was?". Felicia lächelte charmant, nahm einen kleinen Schluck aus ihrer Tasse: „Ich begleite Ihren Sohn, weil er mich gebeten hat, nicht, weil er mich bezahlt. Außerdem bevorzuge ich den Begriff Begleitservice oder Escort, als Prostituierte sehe ich mich persönlich nicht", erklärte sie souverän. Es war nicht das erste Mal, dass sie ein solches Gespräch führen musste. „Was machen Sie beruflich? Oder befinden Sie sich schon im verdienten Ruhestand", lenkte sie die peinliche Stille ignorierend das Thema um, sah ihren Gegenüber mit einem bezaubernden Lächeln an. Edgar zögerte einen Moment, bevor er seine Stimme wiederfand: „Ich bin pensionierter Polizist, Kriminalpolizei" „Das ist ja spannend", erwiderte sie interessiert. „Da haben Sie sicher einiges erlebt.", fuhr sie mit ihrer gewinnenden Art fort. Edgar grinste begeistert: „Das kann man wohl sagen. Sie können sich gar nicht vorstellen, was so alles passiert". Felicia lächelte, nippte erneut an ihrem Kaffee: „Ich glaube das möchte man auch gar nicht wissen.".


Kolja war fasziniert, wie sie es schaffte seine Mutter auf raffinierte Art und Weise mundtot zu machen, ihre Aufregung auf eine unglaublich galante Art einfach zu übergehen und nun Edgar gekonnt um ihre Finger wickelte. Unglaublich!
„Bleibt ihr übers Wochenende hier?", fragte Emil neugierig. Kolja schüttelte den Kopf: „Wir übernachten im Hotel." Edgar, der seine Antwort offensichtlich mitbekommen hatte, sah ihn an: „Auf gar keinen Fall. Ihr könnt doch im Gästezimmer schlafen". „Das wäre toll", warf Emil begeistert ein. Kolja schüttelte erneut den Kopf, warf einen Blick zu seiner Mutter, welche zu seiner Überraschung jedoch zaghaft lächelte: „Es ist meine Hochzeit, Kolja." War das etwa ein Friedensangebot? Er atmete tief durch, sah zu der Frau neben sich, welche ihre Hand zaghaft über seinen Oberschenkel gleiten ließ, seinen Blick erwiderte: „Für mich wäre es in Ordnung", bemerkte sie leise. „Vielleicht kannst du mir später helfen, ich habe begonnen ein kleines Jump&Run-Spiel zu programmieren, aber ich komme nicht weiter.", sprudelte es förmlich aus Emil hervor. „Schauen wir mal", antwortete er knapp. „Du programmierst schon?", hakte Felicia neugierig nach. Emil lächelte stolz: „Ja, also ich versuche mich grade. Ich möchte, wie Kolja Informatik studieren, so erfolgreich sein wie er.", antwortete er eifrig. Marit schüttelte kaum merklich den Kopf, während sie ein Stück Kuchen in den Mund schob: „Nimm dir bloß kein Beispiel an deinem Bruder, Emil", bemerkte sie beiläufig. Koljas Kiefermuskeln spannten sich an: „Keine Sorge, Marit. Er hat keinen Bruder, an dem er sich ein Beispiel nehmen kann.", entgegnete er trocken und schob seinen Stuhl zurück „Ich hole die Sachen aus dem Auto", bemerkte er kühl, stand auf und verließ die Küche.


Zwei Leben - Eine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt