Ein Stein ist hart zu brechen

Kapitel 3: Noah

*** 2 Wochen später ***

Freddy ist am Meer. Mein Hund, der momentan bei einem neuen Herrchen lebt, verbringt den Sommer an der französischen Atlantikküste und hat den Spaß seines Lebens. Zumindest lassen die Bilder von ihm darauf schließen. Das macht mich glücklich, und dennoch fehlt er mir so unglaublich. Er war all die Zeit ein so fester Bestandteil von mir, dass ich ihn sogar anfangs heimlich aufs Internat mitgenommen hatte. Aber besonders in der Zeit davor war er mein treuster Begleiter, er war es, der dieses dunkle Loch in mir ausgefüllt hat, das ich jetzt wieder so deutlich spüre.
Die meiste Zeit in den vergangenen zwei Wochen bleibe ich entweder auf meinem Zimmer, oder ich verschwinde zu Freddy's und meiner Stelle im Wald. Ein ziemlich dunkler See, nur etwa 30 Minuten von hier, der umgeben ist von einem kühlen Tannenwald. Zum baden leider viel zu moosig und sumpfartig, aber Freddy hat das natürlich meistens nicht gestört. Einmal habe ich es nach einem unserer Waldläufe am See, nicht rechtzeitig geschafft ihn im Garten mit dem Schlauch zu waschen. Er war mir entwischt und mitten ins Wohnzimmer gerannt. Mein Vater, der an diesem Nachmittag zuhause war, hat einen seiner cholerischen Anfälle bekommen, die Freddy mindestens so viel Angst gemacht haben wie mir. Die Art, wie bei meinem Vater die Sicherungen durchbrennen können, sie machen etwas mit einem. Du gewöhnst dir an immer leise durchs Haus zu laufen, manchmal erwischst du dich dabei wie du die Luft anhälst, nur um unbemerkt vor ihm zu bleiben.
Irgendwann habe ich mir angewöhnt, in mir einen mentalen Fluchtort zu schaffen, einen an den ich mich jederzeit zurück ziehen kann, wenn er wieder ausrastet. Dieser Fluchtort verändert sich immer. Er ist wie eine Art geheimes Zimmer in mir drin, in dem ich all das bewahre, was mir lieb und wichtig ist. Freddy ist in diesem Zimmer, und meine erste Videokamera, die ich von meinem Opa geerbt habe. Der See im Wald ist in diesem Zimmer, und der Geruch der im Spätsommer über den Feldern vor dem kleinen Dorf liegt in dem ich aktuell wieder lebe. Der Geschmack von Himbeerkaugummi ist in diesem Zimmer, und das Gefühl von meiner Hand in Freddy's weichem Fell.
Und ER ist in diesem Zimmer.
Genauso wie dieser Kuss.
Der ist auch in diesem Zimmer.