Kapitel 19: Noah

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Endlich biegt der Bus in Richtung Einstein ein. Wenn man mir vor ein paar Monaten gesagt hätte, wie froh ich einmal sein werde zurück zu dieser Schule zu kommen, hätte ich es ihm nicht geglaubt. Eigentlich habe ich in meinen ersten Tagen hier immer wieder mit dem Gedanken gespielt, Freddy zu nehmen und einfach die Biege zu machen. Hatte nur leider nicht mit einem Mitbewohner gerechnet, der trotz aller Abwehrversuche, immer wieder probiert hat irgendwie in Kontakt zu treten. Und egal wie mies gelaunt ich war, Colin hat es meistens mit einem Lächeln oder einem humorvollen Spruch hingenommen.

Es ist später als geplant. Ich habe meinen Anschlusszug verpasst und dadurch zwei Stunden Zeit verloren. Im Westen hinter dem Einstein fällt die Sonne schon bald über den Horizont, und der Himmel beginnt sich langsam orange zu färben.
Dass Colin und ich gemeinsam in einem 2- Bettzimmer unterm Dach leben werden erfüllt mich einerseits mit Aufregung. Anderseits habe ich die Angst, dass er sich vielleicht doch noch dazu entschieden hat, um einen anderen Mitbewohner zu bitten.
Es scheinen noch nicht all zu viele am Samstag anzureisen, denn neben mir sind nur eine handvoll Leute vom Einstein im Bus, und von weitem sehe ich auch keine Autoscharr von Eltern, die ihre Kids abliefern. Für mich persönlich nur schwer vorstellbar, dass vermutlich viele jeden Tag zuhause auskosten wollen. Ich für meinen Teil konnte gar nicht schnell genug von dort weg kommen. Meine Mum hat mir über die Haare gestrichen, als ich mich auf zum Bahnhof gemacht habe. Das hat sie früher oft gemacht, als ich noch klein war. Mein Vater hatte zum Abschied einen kühlen Blick übrig, den er mir geschenkt hat. Ich frage mich oft, warum wir es uns als Kinder so schwer tun. Wenn ein Elternteil seinen Frust an einem Kind auslässt, wenn ein Kind das Gefühl bekommt nicht gut zu sein, falsch zu sein, warum nur fällt es dann nicht leichter sich von ihnen loszusagen? Warum will irgendwo, ganz tief in mir drin, noch immer ein Teil von mir meinem Vater gefallen?

In meiner Tasche vibriert es. Ich ziehe mein Handy hervor. Colin hat mir ein Foto geschickt, mit den Worten "home sweet home".
Es ist ein Bild von unserem neuen Zimmer, wie mir scheint. Also hat er wohl keinen Rückzieher gemacht. Ich spüre wie sich die Erleichterung in mir breit macht. Unser Zimmer ist offenbar etwas verwinkelt, aber das gefällt mir. Irgendwie hat es was von einer kleinen Höhle.
"Komme gerade an", und kaum drücke ich auf senden wird auch schon der Motor des Busses gedrosselt und verstummt dann kurz darauf vollends. Ich werfe mir meinen Rucksack über, und hebe den prall gefüllten Koffer vom Sitz neben mir.
Als ich gerade aus dem Bus steige, sehe ich ihn unten aus dem Haupteingang kommen. Er grinst als er mich sieht, schiebt sich mit einer Hand erst die Haare nach hinten und kommt dann mit einem winken auf mich zu. Wäre der perfekte Moment für eine slow-motion Aufnahme in einem Film, weil er einfach so gut aussieht, und weil sein Lächeln so echt ist.
Ich erstarre kurz mitten im Gehen, denn dieser Anblick macht was mit mir.
Es fühlt sich an, als wäre mir das noch nie zuvor passiert.
Dass einer auf mich wartet.
Dass einer lacht und winkt, wenn er mich kommen sieht.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt