Ich lehne am Fenster und schauen dabei zu, wie der Schnee in dicken Flocken auf die Erde fällt. Colin macht uns gerade heißen Kakao, und ich bin froh, ein paar Minuten für mich zu sein. In mir kämpfen die letzten Tage zwei sehr gegensätzliche Gefühle. Weihnachtszeit ist für mich in den letzten Jahren schon immer schwierig gewesen. Jetzt, einerseits so liebevoll und aufgehoben zu sein bei Colin's Familie, das ist ein eigenartig neues Gefühl. Gleichzeitig ist da aber auch eine Traurigkeit in mir, die ich wohl noch eine Weile spüren werde, und die ich erst noch langsam verarbeiten muss. Ich habe erste kleine Schritte gemacht auf diesem Weg, von dem ich noch gar nicht weiß, wohin er mich führen wird. Meinen Eltern habe ich eine kurze Weihnachtskarte geschrieben. Keine großen Details, nur dass ich bei einem Mitschüler bleiben werde über die Feiertage (auch wenn wir alle wissen um wen es sich dabei handelt), und dass ich Ihnen frohe Weihnachten wünsche. Und dann habe ich etwas getan, was ich eigentlich schon lange versuchen wollte. Ich habe meiner Großmutter einen langen Brief geschrieben und ihr dazu ein kleines Paket mit Lebkuchen geschickt, weil den mein Großvater immer so gerne gegessen hat. Ich habe ihr von Colin erzählt, ohne zu wissen, wie sie dazu stehen würde. Gestern Abend dann hat sie mich plötzlich auf meinem Handy angerufen. Es war ein aufgeregtes Gespräch, wir haben beide ständig nervös gelacht. Sie spricht nicht so fließend deutsch wie meine Mutter, aber genug um uns zu unterhalten. Und ich bin froh, dass sie gesundheitlich fit und wohl auf ist. Sie hat auch nach Colin gefragt, und ihm Grüße ausgerichtet. Wenn es klappt, reisen wir im nächsten Sommer vielleicht für zwei Wochen zu ihr nach Dänemark. Dann kann ich Colin einmal ein echtes Midsommarfest zeigen.
Ich hätte gerne meiner Mutter von diesem Gespräch erzählt. Aber auch wenn manche Dinge wieder zueinander finden, wird das vielleicht an anderer Stelle nicht so gelingen.
Beruhigt hat mich das Angebot von Dr. Zech, der mir für den Fall, dass mein Vater mir in der Zukunft doch irgendwann das Schulgeld streichen sollte, und ich bereits 18 Jahre bin, versprochen hat, sich dann um eine Lösung zu kümmern, sodass ich am Einstein meinen Abschluss machen kann. Leider werden sie, wie befürchtet, Colin und mich vermutlich bald in getrennte Zimmer versetzen. Die Hausordnung verbietet Sexualität unter Schüler*innen auf dem Schulgelände. Dafür werden wir unsere Ferien wohl meistens hier bei seinen Eltern verbringen, und uns hier ein Zimmer (und ein Bett) teilen. Und irgendwann wird auch unsere Zeit auf dem Einstein vorbei gehen. Schneller vielleicht, als uns bewusst ist, denn Zeit ist manchmal wie ein Flügelschlag so schnell vorüber.
Von unten höre ich, dass Colin's Schwester zum gefühlt hundertsten Mal "happy Xmas" von John Lennon über die Boxen schallen lässt, und ich muss in mich hinein schmunzeln. Diese ganze Familie hier ist total Weihnachtsverrückt. Aktuell tragen Colin und ich sogar rot karierte Partnerschlafanzüge! Wenn mir das einer vor einem Jahr erzählt hätte, hätte ich ihn womöglich ohne mit der Wimper zu zucken vor Santas Rentierschlitten geschubst.
Vor dem Fenster tanzen die Schneeflocken immer dichter wie Paare miteinander, und die Lichter der Stadt sprenkeln den Horizont, als hätte sie jemand extra dort hin gemalt.
Ich spüre ihn hinter mir ins Zimmer treten und rieche den Geruch von Kakao und Zimt. Ein Geruch, der weit entfernte warme Erinnerungen in mir weckt. Dann legen sich Colin's Arme von hinten um meinen Körper, und er lehnt sein Gesicht an meinen Rücken. Einen Moment stehen wir nur so da, unser Atem im gleichen Takt, und irgendwie ist alles in mir im Einklang. Ich lege meine Hände über seine und es fühlt sich an wie ein Versprechen.
Das Leben ist gut.
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Ein Stein ist hart zu brechen
RomanceDas ist eine queere Fanfiction zu Colin und Noah aus der kika Serie Schloss Einstein. Man kann die Geschichte aber auch ohne Serienwissen lesen. Noah kam in diesem Schuljahr neu auf das Internat. Er ist ziemlich geheimnisvoll zu Beginn und verschlos...