Kapitel 13: Colin

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Ich starre die Decke an. Ich habe mir doch tatsächlich gerade Scream 5 im open air kino angeschaut. Aber in diesem Flair war er gar nicht so unheimlich. Die Leute haben einfach gemeinsam gezittert sozusagen. Ich habe ein paar Leute von früher gesehen, ein paar Worte gewechselt, aber bin ansonsten für mich geblieben. Der Eigenbrödler Noah scheint irgendwie auf mich abzufärben.
Zu Beginn des Films steht Jenna Ortega in der Küche und telefoniert mit dem Killer. Ganz so, wie einst Drew Barrymore im ersten Scream Film. Das weiß ich von Noah. Er hat einen beeindruckenden Monolog über diese Filmadaption, den cast, das frenchise und mehr gehalten. Ich habe damals nur die Hälfte verstanden, aber ich habe es geliebt ihm dabei zuzuhören. Zu sehen wie viel Detailwissen er hat, und wie viel Leidenschaft Filme in ihm auslösen.
Ich habe zu Beginn des Films, in der besagten Szene, ein Foto geschossen. Es hat diesen Moment echt toll eingefangen. Die große Leinwand über dem See, der Park der vereinzelt von Lichterketten erleuchtet wird, die kleinen Gruppen von Menschen die über den Park verteilt im Gras oder auf Bänken sitzen.
Draußen ist es noch warm, der Geruch von Grillkohle aus irgendwelchen Nachbargärten liegt noch immer in der Luft. Ich habe alle Lichter aus und beide Fenster im Zimmer offen, in der Hoffnung, dass wenigstens über Nacht ein bisschen Wind aufkommt, aber momentan steht die Luft noch immer gefühlt wie eine dichte Wand.
Ich scrolle mich planlos durch Insta und tik tok, like hier und da ein paar Sachen, und warte eigentlich nur darauf endlich müde zu werden. Ich versuche mir vorzustellen, wie es sein wird, wenn ich in zwei Wochen zurück im Einstein bin. Und wie es sein wird, wenn Noah vielleicht nicht mehr mein Mitbewohner ist. Womöglich wird es ja doch gut so sein. Vielleicht hilft mir das.

Ich öffne wieder unseren Nachrichtenverlauf. Nichts neues.
"Klar", das war das letzte Lebenszeichen von ihm.
Ich schicke ihm das Bild vom Kino ohne weitere Worte.
Dann drehe ich mich zur Seite, packe das Handy auf den Nachttisch und versuche mir irgendeinen Traum herauf zu beschwören ehe mich der Schlaf abholt. Und natürlich ist es Noahs Gesicht, das direkt vor meinem inneren Auge erscheint. Es sind diese Minuten vor dem einschlafen, in denen ich mir meine Wünsche eingestehe, ganz ohne schlechtes Gewissen. Diese Momente zwischen wach und Schlaf, da darf ich ihm begegnen. In diesen kurzen Momenten denke ich nicht daran, dass er nichts von mir will. Ich diesen Momenten gehören wir zum anderen. Ich versuche mir seine Lippen vorzustellen, und wie sie sich anfühlen würden, wenn er damit meinen Hals küsst. Wie er damit meine Brust küssen würde und meinen Bauch. Fast wie von selbst gleitet meine Hand bei dieser Vorstellung über meinen Körper und in meine Boxershorts.
In diesem Moment vibriert mein Handy laut auf der Holzplatte des Nachttischs.
"Fuck", murmel ich leise, greife dann aber doch danach und sehe, dass er geschrieben hat...
"Wo zum Teufel ist das? Und warum bin ich nicht dort?"
Ich schmunzle, weil ich wusste, dass ihn das Foto vom Kino total catchen würde.
"Es hätte dir gefallen. Alles daran war nach deinem Geschmack."
"Was? Horror und Natur?"
"Horror, Natur, food trucks, Dunkelheit, und Abstand zu anderen Menschen um in Ruhe vor sich hin zu grummeln. Also ja, alles was du magst war dort."
...
"Und du warst dort."
...
Ich starre auf diesen letzten Satz. Mein Körper fühlt sich fast schizophren an in diesem Moment. Auf meiner Brust sitzt plötzlich ein Elefant, der mich zerdrückt, während in meinem Bauch eine Schmetterlingsfarm eröffnet hat.
Diese Ambivalenz ist grausam, und ich könnte schreien vor Frustration.
Ich schlucke schwer und atme tief ein und aus. Dann beginne ich zu tippen.
"Noah. Du musst das sein lassen! Ich..." - ich lösche es wieder.
"Sag so etwas nicht, bitte. Das m..." - ich lösche es wieder.
"Du elender W..." - ich lösche es wieder.
"Ich will dich küssen. Immer noch." - ich lösche es wieder.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt