Kapitel 39: Colin

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Anmerkung: An alle Leser*innen, fangirls, fanboys und everyone in between!
Erstmal ein kurzes Danke für euer liebes Feedback. Ich freue mich sehr über eure Nachrichten und comments, und dass euch diese Geschichte gefällt.

Die nächsten Kapitel, insbesondere die drei folgenden, werden aber Themen enthalten, die mitunter schwer zu lesen sind. Es wird um Queerfeindlichkeit bis hin zu Hassverbrechen gegen queere Menschen gehen. Um Ablehnung innerhalb der Gesellschaft, aber auch innerhalb von Familien, und auch um körperliche Gewalt.
Diese Themen sind real, aber sie sind schmerzhaft. Und sie können was mit einem machen, wenn man darüber liest. Deshalb, wenn das gerade Themen sind, die du vielleicht selbst erlebt hast, oder die dich besonders aufwühlen, dir Angst machen und mehr, dann musst du das hier nicht lesen. Du wirst die Geschichte auch ohne diese Kapitel weiterhin verfolgen können. In diesem Sinne: Passt auf euch auf und love is love. Das gilt für Colin und Noah, genauso wie für jede*n, der das hier liest 🤍
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Kapitel 39: Colin

Sirak erzählt gerade an einem Beispiel, wie er als Schwarze Person in einem Einkaufsladen Rassismus erlebt hat. Das Unterrichtsfach "Werte und Normen" ist immer irgendwie anders. Lebendiger und privater. Ich mag das. Wir lernen nicht nur theoretische Inhalte, sondern wir tauschen uns vor allem viel aus, lernen miteinander zu kommunizieren und auch mal zu diskutieren. Noah sitzt neben mir und hört Siraks Geschichte aufmerksam zu. Was ich höre macht mich wütend, und ich merke, dass viele meiner Mitschüler*innen aufgewühlt sind. Das Oberthema ist Diskriminierung, und Siraks Geschichte ist nicht die erste, die wir heute hören. Vorhin hat Mara davon berichtet, was sie, als eine Person mit Behinderung, schon für absurde Begegnungen mit Abwertung oder Diskrimierung erlebt hat.
"Ich denke schon, dass sich was geändert hat in den letzten Jahren", antwortet Julia auf eine Frage von Herrn Zech. "Aber trotzdem gibt es doch noch immer genug Hassverbrechen gegen Menschen wegen ihrer Religion, Sexualität oder sonst was, von dem manche denken es würde von irgendeiner scheinbaren Norm abweichen."
Keine Ahnung, ob ich es mir einbilde, aber beim Wort Sexualität zucken Noah und ich beide zeitgleich leicht zusammen.
"Das ist richtig, Julia. Ich habe hier mal ein paar Daten recherchiert." Zech, der noch immer kein Freund von Technik ist, benutzt immer noch Flipcharts. Er zeichnet eine große 2 und dahinter in Klammern 90% auf das Blatt. Keine Ahnung, auf was der alte Mann hinaus möchte.
"Zum Beispiel werden statistisch täglich etwa zwei queerfeindliche Angriffe in Deutschland registriert", fährt er jetzt fort, und ich merke, wie ich mich innerlich verkrampfe. "Aber registriert bedeutet eben, dass sie wirklich fest geschrieben nachweisbar sind. Also zum Beispiel, indem Opfer Anzeige erstattet haben. Ihr könnt euch also vorstellen, dass diese Statistik nicht die Realität abbildet. Wir müssen hier von einer enormen Dinkelziffer ausgehen. Einige Vereine und Institutionen vermuten sogar eine Dunkelziffer von bis zu 90%."
Ich reibe unter dem Tisch meine Hände aneinander, gleite mit den Fingern der einen Hand über die Hügel meiner geballten Faust. Noah und ich sind noch nicht offiziell zusammen, aber das ändert ja nichts an dem was wir füreinander fühlen. Wie würde es sein, wenn wir das irgendwann öffentlich machen? Am Einstein würde ich mich eigentlich sicher fühlen, aber was wäre, wenn wir Händchen haltend durch die Stadt laufen oder uns im Schwimmbad küssen? Was, wenn jemand damit ein Problem hätte und uns das spüren lassen würde?
"2022 zum Beispiel, wurde bei einer CSD Parade in Münster eine Gruppe lesbischer Frauen belästigt." Ich merke, dass die Infos von Dr. Zech mich zunehmend aufwühlen. Meine Hände sind ganz kalt, und ich spüre einen ziemlichen Druck auf der Brust. Da fühle ich plötzlich Noahs Hand, die sich schützend über meine Hände legt. Warm und fest greift seine Hand unter dem Tisch um meine und ich starre erst eine Weile auf unsere Hände, dann hebe ich den Kopf und sehe in seine Augen.
"Ein junger Transmann hat sich schützend vor diese Frauen gestellt und wurde von dem Täter daraufhin so attackiert, dass er mit dem Kopf auf den Asphalt aufschlug. Er starb wenige Tage darauf im Krankenhaus. Sein Name war Malte", höre ich Zech wie von weiter weg sprechen. Ich schlucke schwer und habe selten ein solches Bedürfnis gehabt mich am liebsten einfach in Noahs Arm zu verstecken.
"Nur zwei Tage später hat ein Mann in Frankfurt ein schwules Paar beleidigt und ihnen eine Flasche ins Gesicht geschlagen", endet Zech mit seiner Auflistung.
Noahs Daumen streicht beruhigende kleine Kreise auf meinen geballten Händen, und ich merke, wie ich ganz langsam ruhiger werde. Trotzdem bleibt da ein Gefühl in mir zurück, das ich nur schwer beschreiben kann. Herr Zech bittet uns, dass wir bis zur nächsten Stunde jeder eines der online gestellten Themen bearbeiten.
Kurz darauf ist die Stunde vorbei, und alle eilen in Richtung Mittagessen. Ich habe es nicht eilig. Der Appetit ist mir sowieso gerade vergangen. Noah wartet dennoch geduldig, bis ich meine Sachen zusammen gepackt habe.
"Wie geht's dir?", fragt er leise, als wir dicht nebeneinander in Richtung Essenssaal laufen. Ich zucke nur mit den Schultern. Ich weiß es wirklich nicht.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt