Kapitel 22: Colin

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"Es gibt den Aberglaube, dass sich das, was man in der ersten Nacht in einer neuen Wohnung träumt, auch in echt erfüllt. Denkst du, das gilt auch für neue Internatszimmer?"
Ich drehe meinen Kopf und versuche Noah im Dunkeln auszumachen, aber ich kann nur graue Silhouette erkennen.
"Von was würdest du denn träumen wollen, wenn du wüsstest, dass es sich erfüllt?", höre ich ihn fragen.
Ich wende meinen Blick wieder ab, und starre aus dem Dachfenster über uns. Der nur noch schmale Mond ist schuld daran, dass es hier so finster ist. Ich schaue in die Sterne, und denke über seine Frage nach. Klar, gäbe es Wünsche, die auch mit ihm zu tun haben. Ich denke wir alle haben diese unerfüllten Gedanken in uns, tragen sie wie geheim geschriebene Worte auf unserer Seele. Aber wir sprechen sie nicht aus. Schon gar nicht, wenn die besagte Person nur zwei Meter von dir entfernt liegt.
"Die Frage ist zu groß, um sie einfach so zu beantworten."
Ich höre etwas rascheln, und vermute, dass er sich in meine Richtung gedreht hat.
"Oder könntest du die Frage beantworten?", frage ich ihn.
"Könnte ich. Aber ich wäre auch schon mit dem kleinen Wunsch glücklich, einfach keinen Alptraum zu haben."
Jetzt drehe ich mich auch komplett in seine Richtung. Es ist ein eigenartiges Gefühl zu wissen, dass wir eigentlich einander anschauen, uns aber nicht sehen können.
"Wenn wir Schmalbienen wären, könnten wir einander jetzt erkennen."
Noah lacht leise auf. "Bitte was?"
"Ich habe einfach gerade gedacht, dass es sich eigenartig anfühlt zu wissen, dass wir uns einander anschauen, aber nicht sehen können. Wenn wir Schmalbienen wären hätten wir das Problem nicht. Die haben nämlich eine präzise Nachtsicht."
"Du bist so ein Nerd", flüstert er.
...
"Ich weiß."
"Ich mag das. Du bist wie Peter Parker."
Jetzt bin ich es, der lachen muss.
"Keine Ahnung, ob das ein Kompliment ist."
"Natürlich ist es das! Es ist immerhin Spiderman von dem wir hier sprechen! Mein persönlicher Marvel Favorit!"
"Wenn du das sagst."
...
"Warum gerade Spiderman?", will ich nun doch wissen.
"Er ist eben ein ganz normaler Junge. Und anders als viele der sonstigen Superhelden sind seine Hauptmotivation nicht Rache oder übermäßiger Mut, sondern Schuldgefühle."
Er hält einen Moment inne, ganz so, als würde er überlegen ob er hier weiter sprechen sollte. Dann lacht er, aber es klingt irgendwie nicht aus dem Herzen kommend.
"Naja, und er hat super Spinnenkräfte, kann sich von Haus zu Haus schwingen, und bekommt in der 2004er Version einen der besten Filmküsse der Geschichte!"
Dass wir plötzlich von Küssen sprechen macht mich nervös. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es bestimmte Themen gibt, die zwischen uns eigentlich aktuell tabu sein sollten. Küsse sind sicher eines davon. Trotzdem interessiert es mich.
"Du meinst diesen über - Kopf - Kuss?"
"Er hat alles, was ein guter Filmkuss braucht. Einen Retter, eine verborgene Liebe und viel Regen."
Ich schmunzle. "Regen ist also wichtig?"
"The Notebook, breakfast at Tiffany's, vier Hochzeiten und ein Todesfall. Alles Regenküsse."
"Hab keinen einzigen davon gesehen."
Er seufzt theatralisch. "Oh, Colin Thewes, was mache ich nur mit dir?"

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt