Kapitel 43: Colin

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"Ich mag nicht, dass du meinetwegen das Gefühl hast, dass du es nicht einfach jedem sagen kannst dem du es sagen willst."
Ich winke ab, als Noah das sagt. "Hey, ich habe es ja sogesehen selbst noch niemandem mitgeteilt. Zumindest nicht das hier." Ich zeige mit meinem Finger zwischen uns hin und her. "Julias letztes Update ist, dass ich dich geküsst habe und du mich hast abblitzen lassen."
"Nicht gerade eine meiner Glanzstunden", sagt er und grinst.
"Darf ich dich was fragen?" Es brennt mir schon einige Tage auf der Zunge, aber irgendwie war nie der richtige Moment es anzusprechen.
Noah nickt.
"Weiß es dein Vater? Ich meine, du hast bisher nichts dazu gesagt, und ich will dich auch zu nichts drängen. Aber seit du von Tim erzählt hast, frage ich mich, was da passiert ist."
Ich zupfe etwas verlegen einen Fussel von einem meiner Socken. Ich kann dennoch seinen Blick auf mir spüren, und als ich den Kopf hebe runzelt er die Stirn.
Er rückt ein bisschen ab von mir, und lehnt sich jetzt mit dem Rücken gegen die Wand am Bettende.
"Er hat uns damals erwischt. Es war schon spät abends, der Club war für Besucher*innen schon geschlossen. Aber für meinen Vater gelten Regeln und Gesetze nur dort, wer er sie anerkennt."
Ich kann die Verbitterung in seiner Stimme hören.
"Er hatte mein Fahrrad am Eingang gesehen und ist zum Schuppen gelaufen. Er kam mitten hinein geplatzt, als Tim mich gerade geküsst hat. Noch am selben Abend hat er meinen Job dort für beendet erklärt und mich später zuhause zum ersten und letzten Mal in meinem Leben geschlagen."
Ich atme erschrocken ein, als ich das höre. Die Vorstellung, dass Noah Gewalt angetan wurde, löst eine Übelkeit in mir aus, und mir steigen die Tränen in die Augen. Er blickt auf und sieht es.
"Hey", sagt er sanft, und greift nach mir. Ich nehme seine ausgestreckten Hände, und lasse zu, dass er mich zu sich zieht.
"Keine Sorge. So was wird nicht nochmal passieren", sagt er und streicht mir sanft über den Nacken. Ich lege meinen Kopf in seine Halsbeuge, und atmen den Duft seiner Haut ein. Vor ein paar Tagen hat Noah von Gerüchen und Emotionen gesprochen. Sein Duft wird in mir immer ein Gefühl von Heimkehr hervorrufen.
Als er weiter spricht, vibriert seine Stimme in seinem Brustkorb.
"Das Problem ist weniger, dass mein Vater ein konservativer, cholerischer und außerdem auch homophober Typ ist. Sondern, dass er einfach mächtig ist und furchtlos im elendesten Sinne. Er ist klug, keine Frage. Und er ist ausgesprochen gut darin, die Menschen um ihn herum zu beeinflussen und zu manipulieren."
Er atmet tief ein, und ich sehe zu, wie sein Brustkorb sich hebt und senkt wie eine Welle. Vorsichtig lege ich meine Hand darauf, und reibe gleichmäßige Kreise darauf.
"Die Familie meines Vaters hat einen wichtigen Stand bei uns in der Region. Sie ist reich, und damit meine ich richtig altes Geld. Diese Familie schafft Arbeitsplätze in der Region, und sie beeinflusst die lokalen politischen Entscheidungen. Mein Vater hat damals "groß reinemachen vollzogen", wie er es nannte." Noah bewegt seine Finger und zeichnete bei diesen Worten Gänsefüsschen in die Luft.
"Tims Mutter wurde eine Stelle in der Schweiz organisiert, und schon drei Tage später fuhr der Umzugswagen bei Ihnen vor. Ich kann dir bis heute nicht sagen, was genau mein Vater ihnen angeboten oder vielleicht eher angedroht hat, aber ich habe nie wieder was von Tim gehört. Alle seine social media Kanäle waren gelöscht, seine alte Nummer nicht mehr vergeben."
Er reibt angestrengt mit einer Hand über seine Augen. Ich greife schließlich danach, küsse sie sanft und lege sie dicht an meine Brust gehalten ab. In mir toben unterschiedliche Gefühle. Einerseits Hilflosigkeit, dann Wut, dann Angst, und dann etwas, das vermutlich so etwas wie Liebe ist.
Er dreht seinen Kopf zu mir und unsere Gesichter sind nun beinah auf gleicher Höhe. Ich kann Tränen in seinen Augen sehen.
"Er hat alles aufgeben müssen. Seine Freunde, seine Heimat, die Schule, den Sportverein. Das alles hat meinen Vater nicht interessiert. Die Vorstellung, dass er dir so etwas antun könnte..."
Jetzt stiehlt sich eine Träne aus Noahs Augen. Ich ziehe ihn fest an mich, und er dreht sich mit seinem Körper ganz zu mir hin. Jetzt ist er es, der sein Gesicht an meinem Hals vegräbt.
"Was, wenn es ihm gelingen würde, dir dein Stipendium weg zu nehmen, oder sonst etwas", flüstert er leise an meinem Hals.
Ich streiche ihm sanft über den Nacken.
"Das wird ihm nicht gelingen. Vielleicht ist das einer der Vorteile, dass das Einstein weit weg von deiner Heimat ist. Hierher reicht auch so ein mächtiger Arm nicht. Niemand am Einstein ist auf sein Geld oder den Einfluss einer bestimmten Familie angewiesen."
Ich merke, wie sein Atem immer ruhiger wird. Langsam lasse ich mich entspannter ganz nach hinten auf die Matratze fallen und ziehe ihn noch enger zu mir. Er legt seinen Kopf in meinen Arm, und schlägt ein Bein über meines.
"Wenn ich nur endlich 18 bin. Dann kann ich mich von ihm lossagen, weil er nicht mehr bestimmen kann wo ich wohnen muss oder sonstiges. Aber ich weiß, dass er mir dann auch den Geldhahn abdrehen würde. Das würde also auch kein Schulgeld mehr fürs Einstein bedeuten."
Ich greife mit meinen Armen noch fester um ihn.
"Wir finden eine Lösung. Ich bin mir sicher."
Er hebt den Kopf und sieht mich an. Sanft küsst er mein Kinn. Dann richtet er sich über mir auf, und seine Lippen legen sich auf meine. Und auch wenn mir das, was er mir erzählt hat, Angst macht, das Gefühl, dass wir beisammen sind, dass wir Hindernissen gemeinsam begegnen, das stärkt mich.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt