Kapitel 23: Noah

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Kein Alptraum. Ich blinzle müde in die Sonne, die sanft durch unser Dachfenster fällt. Ich habe sogar einen ziemlich guten Traum gehabt, einen, aus dem man eigentlich gar nicht aufwachen möchte.
Ich drehe meinen Kopf und schaue ihn an. Er schläft noch. Sein braunes Haar fällt ihm tief in die Stirn, und sein Mund ist leicht geöffnet. Im Traum habe ich diesen Mund geküsst, etliche Male.
Ich reibe mir frustriert über die Augen und entscheide mich aufzustehen. Es ist Sonntag, und da kann man auf dem Einstein eigentlich länger schlafen, aber ich will frühstücken.
Leise laufe ich durch unser neues Zimmer und verschwinde im Bad. Die Duschkabine, die direkt gegenüber der Türe liegt, hat bunte Mosaikfliesen, die irgendwie aussehen wie schräge Tiergesichter. Die Glastüre, die den Raum und die Dusche trennt, ist frisch geputzt. Da werden Colin und ich drauf achten müssen, dass es so bleibt. Gestern haben wir eine lange Anleitung zur "Hygiene und Verantwortung in den Wohnräumen" vorgelegt bekommen.
Ich drehe die Dusche auf, lehne den Kopf in den Nacken und lasse mir das warme Wasser übers Gesicht laufen. Es tut so gut. Hier zu sein, und gefühlt diese letzten Wochen in der alten Heimat endgültig abzuwaschen. Ich kann spüren, dass ich seit meiner Ankunft am Einstein viel entspannter bin. Meine Schultern sind nicht mehr so verhärtet, und dass ich keine Alpträume hatte ist auch ein gutes Zeichen.
Da fällt mir auf, dass ich meine Badsachen noch nicht ausgepackt habe. Ich will einfach mal hoffen, dass Colin mir das nicht übel nimmt, und bediene mich an seinem Shampoo und seinem Duschgel. Es duftet nach Zitrone und Bergamotte, und der Geruch erinnert mich sofort an ihn.
Ich habe einmal gelesen, dass Gerüche häufig besonders gut mit Gefühlen verbunden sind. Zum Beispiel, wenn wir einen Geruch aus unserer Kindheit riechen, dann weckt das gleich bestimmte Emotionen in uns. Und dieser Geruch hier, der weckt in mir ein Gefühl von Sehnsucht, aber irgendwie auch von Sicherheit.
Wieder lasse ich den Kopf in den Nacken fallen, um mir das Shampoo aus den Haaren zu waschen.
Plötzlich spüre ich einen Luftstoß und öffne blinzelnd die Augen. Nur wenige Meter vor mir steht Colin in der Tür zum Bad. Noch halb schlaftrunken ist er für einen Moment zur Salzsäule erstarrt. Und mir geht's nicht anders. Unbewegt stehe ich ihm gegenüber. Von Kopf bis Fuss in Zitronen - Bergamotte Duschgel gehüllt und splitterfasernackt.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt