Kapitel 14: Noah

1.4K 72 3
                                    

Okay, er scheint mir einen Roman zu schreiben, denn ich sehe seit mehreren Minuten, dass er tippt.
Ganz cool bleiben, Noah. Alles wird gut. Vielleicht schreibt er mir einfach eine Filmkritik und übergeht meinen letzten Satz einfach!
Plopp.

"Bitte sag solche Dinge nicht mehr. Zumindest nicht momentan. Ich geb mir echt Mühe, dass das hier wieder für uns beide normal wird. Aber ganz ehrlich, ich kann meine Gefühle ja nicht einfach abstellen. Ich würde es gerne, glaub mir. Ich weiß, wie viel das erleichtern würde, und ich struggle damit, dass es meine Gefühle sind, die unsere Freundschaft so ins wanken gebracht haben. Du bist mir wichtig. Ich weiß, ich habe dir gesagt, dass ich nicht befreundet sein will. Ich war einfach verletzt. Natürlich will ich, dass wir Freunde sind. Und ich werd mein bestes geben, dass das auch wieder funktioniert. Aber dafür musst du mir ein bisschen entgegen kommen. Stell dir vor, du hättest dich in ein Mädchen verliebt, und es würde deine Gefühle nicht erwidern. Solche Sätze wie dein letzter, die würden dir doch dann auch Hoffnung machen. Deshalb, bitte Noah. Sag solche Dinge erstmal nicht mehr."
Und nur kurz darauf folgt noch: "Ich hoffe es ist okay, dass ich dir all das schreibe... "

Plötzlich habe ich das Gefühl, dass jemand in meinem Brustkorb ein Lagerfeuer angezündet hat. Ich scheine bei lebendigem Leib zu verbrennen. Gleichzeitig sind meine Fingerspitzen aber wie erfroren. Meine Hand verkrampft sich um mein Handy. Irgendwo macht ein Tier ein eigenartiges Geräusch, denke ich. Bis ich begreife, dass dieser Laut aus meiner eigenen Kehle kam. In diesem Moment greift er wieder um sich, dieser Hass, den ich manchmal gegen mich und gegen die ganze Welt habe. Plötzlich spüre ich etwas heißes auf meiner Wange. Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal geweint habe. Diese Gefühlsregung verbiete ich mir eigentlich schon lange konsequent. Aber gerade scheint mein ganzer Körper wie autonom und losgelöst von meinem Gehirn zu sein. Er lässt sich nicht steuern. Verflucht nochmal, Colin! Du und deine elend offenen Worte, die du nie einfach für dich behalten kannst!
Ohne lange nachzudenken ziehe ich mir meine Jogginghose und ein Shirt über, und gehe im Dunkeln durchs Haus bis zur Garage. Kurz darauf trete ich wie wild in die Pedale, fliege vorbei an den Häusern meiner Kindheit, direkt über den Radweg der an den Feldern raus aus dem Dorf führt. Die Luft ist warm, und schon nach kurzer Zeit legt sich ein Schweißfilm über meinen Körper. Aber wenigstens scheint mein Körper sich langsam zu beruhigen. Die Tränen auf meinen Wangen trocknen im Fahrtwind, die Sterne und der Mond über mir scheinen die einzigen zu sein die wie ich noch wach sind. Ich trete fester in die Pedale, als ich die schmale Serpentinestraße den Hügel hinauf fahre, der einige Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt zwischen zwei Weinbergen liegt. Die Beleuchtung ist hier nur noch ganz spärlich, aber dadurch fühle ich mich irgendwie besonders beschützt. Eingehüllt in Nacht sozusagen. In meinem Kopf blitzen immer wieder Fetzen seiner Nachricht auf. "Ich struggle mit meinen Gefühlen... Du bist mir wichtig... Stell dir vor du hättest dich in ein Mädchen verliebt".
Als ich auf dem Hügel zum stehen komme, sehe ich hinter mir das kleine Dorf aus dem ich komme. Nur ganz vereinzelt brennt in einigen Fenstern noch ein Licht. Mein Atem geht schwer. Neben dem zirpen der Grillen ist er das einzige Geräusch das ich wahrnehme. Ich steige von meinem Rad, und lehne es an eine kleine Aussichtsbank, die hier oben steht. Sie ist für viele ein Treffpunkt zum heimlichen saufen und rummachen. Deshalb ist sie auch von oben bis unten mit Sprüchen, tags und Skizzen vollgemalt. Ich spüre, wie ich langsam immer ruhiger werde. Wie dieser Abstand zu meinem Zuhause auch innerlich einen Abstand herbeiführt. Ich kann einfach nicht klar denken, wenn ich zuhause bin.
Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und lese erneut seine Nachricht.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt