Kapitel 59: Colin

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"Herr Zech, es ist so... Ich denke sie sollten wissen...". Ich versuche die richtigen Worte zu finden, während unser Schulleiter meiner Bitte nachkommt mir ins Schloss zu folgen, weil Noahs Vater aufgetaucht ist. Ich habe seinen Vater sofort erkannt, weil ich ihn, nachdem mir Noah zum ersten Mal von ihm erzählt hatte, gegoogelt habe. Der Mann ist medial präsent, ganz besonders in der lokalen Presse von Noahs Heimat. Natürlich nur in den besten Tönen, etwa in Verbindung mit seiner Arbeit als Richter oder als Mitglied einer so angesehenen lokalen Familie.

Eigenartiger Weise hat der Zech keine weiteren Fragen gestellt, als ich meinte, es gäbe da ein Problem mit Noahs Vater. Fast so, als müsste er keine weiteren Infos haben, weil er wusste was Sache ist.
Er hat sich kurz mit einer Serviette ein paar Ketchup Reste aus dem Mundwinkel geputzt, und war dann mit mir in Richtung Schule gelaufen.
Doch jetzt halte ich ihn kurz am Arm fest, und er sieht mich überrascht an.
"Ich denke sie sollten wissen... Ich weiß, dass man das am Einstein nicht gerne sieht unter Schüler*innen... Aber..."
"Colin, raus jetzt mit der Sprache", sagt Dr. Zech überraschend deutlich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das hier mit Noah echt ernst ist, und dass hier ein besorgter Pädagoge vor mir steht, den ich zum ersten Mal seit ich ihn kenne als aufgewühlt empfinde.
"Noah und ich sind ein Paar", platzt es dann einfach aus mir heraus. "Und ich denke sein Vater hat das erkannt."
Der Zech nickt, sieht in Richtung der Feierlichkeiten und sagt: "Ich denke, dann ist es besser, wenn du dich zu den anderen setzt. Das würde sonst nur noch mehr Unruhe rein bringen."
Und damit lässt er mich einfach stehen und verschwindet im Schulgebäude.
Ich bleibe verloren zurück, und weiß nicht wohin mit mir. Ich will mich nicht zu Julia und den anderen setzen. Ich überlege für einen Moment meine Eltern anzurufen, damit sie kommen und uns helfen, aber dann frage ich mich, ob das vielleicht genau in den Bereich fallen würde, den Dr. Zech mit "noch mehr Unruhe" gemeint hat.
Dass ich gerade jetzt nicht bei Noah bin treibt eine Angst durch meinen Körper, die ich so nie kannte. Alles in mir scheint unter Strom zu stehen. Meine Haut am Körper wird von einer Gänsehaut überzogen, und in meinem Nacken bildet sich kalter Schweiß. Am liebsten würde ich laut los schreien.
Langsam gehe ich in Richtung der Haupttüre. Ich will Dr. Zech vertrauen, dass er immer zum Wohle seiner Schüler*innen arbeitet, aber diese Anspannung lässt mich nicht los. Ich öffne die Türe nur ganz leicht, sodass ich durch einen Schlitz hindurch eine Gruppe im Flur stehen sehe.
Dr. Zech steht neben Noah. Beide haben mir den Rücken zugewandt. Neben Noah steht sein Vater. Er hat Noah noch immer fest angefasst. Der Ausdruck "Jemand im Griff haben" kommt mir bei diesem Anblick in den Sinn. Ich vermute, dass Zech gerade etwas sagt, aber es ist kaum zu hören.
Da knallt plötzlich wieder die Stimme von Noahs Vater durch die Nacht, so viel lauter, deutlicher und tiefer unter die Haut gehend als es beim Zech je möglich wäre.
"Es hätte von Beginn an die Camden Oak Academy werden sollen! Militärischer Drill wirkt Wunder in der Charakterbildung!"
Ich atme scharf ein und erschrocken schließe ich die Türe. Mein Herz galoppiert in meiner Brust, und ich setze mich zitternd auf die Eingangsstufen. Militärakademie? Ich wusste nichtmal, dass es so etwas heutzutage noch gibt. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und google danach.
Offenbar handelt es sich um ein Militärinternat in den USA, das auf seiner Homepage damit wirbt, aus "Problemkindern die Führungskräfte von morgen zu machen und deren akademische Exzellenz zu fördern." Aha.
Das klingt wie etwas, das ganz den Geschmack von Noahs Vater trifft. Bei der Vorstellung, dass sie Noah wirklich an einen solchen Ort schicken könnten wird mir richtig körperlich übel. Ich spüre, wie sich Tränen in meinen Augen sammeln, und sich ein unkontrolliertes schluchzen durch meine Kehle befreit. Mit zitternden Knien stehe ich auf und laufe ich in Richtung des Geräteschuppens. Tränen strömen jetzt unkontrolliert über meine Wangen, und im Schutz der Dunkelheit, zwischen Traktor, Werkzeugen und Leitern rufe ich weinend meine Mum an.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt