Kapitel 15: Colin

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Keine Ahnung, was für eine Konsequenz meine Nachricht haben wird. Aber ich musste ihm diese Dinge einfach sagen. Seitdem ich sie abgeschickt habe ist sicher eine halbe Stunde vergangen. Er hat sie gelesen, aber nicht mehr reagiert. Ich kanns ihm nicht übel nehmen. Mir geht es trotzdem besser. Es ausgesprochen zu haben hat gut getan. Ich will mich nicht schämen müssen für das was ich da fühle. Und gleichzeitig soll er wissen, dass ich es ernst nehme, dass er nichts von mir will und deshalb versuchen will, dass wir unsere Freundschaft retten können.
Ich nehme meine earpods vom Schreibtisch, lege mich wieder auf mein Bett, scrolle zu meiner privaten Heartbreak playlist und kurz darauf erreichen die ersten Töne von Anson Seabras "trying my best" mein Ohr. Ich schließe die Augen und lass die Musik wie in mich hineinlaufen, als ich plötzlich unterbrochen werde.
Ich logge meine earpods aus und starre etwas unentschlossen auf mein Display.
< NOAH ruft an >

Mein Herz macht einen Extraschlag, dann nehme ich den Anruf an und lege das Handy an mein Ohr...
"Hey", ist alles was ich in diesem Moment über die Lippen bekomme.
Ich höre ihn tief einatmen, beinah wie eine Erleichterung.
"Hey."
Und dann nichts weiter. Ich liege hier, starre ins Dunkle meines Zimmers und lausche seinem Atem. Im Hintergrund höre ich Grillen zirpen. Irgendwann beginnt er zu sprechen. Seine Stimme wirkt irgendwie verändert, kratziger womöglich.
"Ich hatte an meiner alten Schule mal einen Lehrer, der meinte man würde nie wieder so frei lieben wie mit 16 oder 17. Nicht,weil man danach keine großen Lieben mehr erfahren würde, sondern weil man zu jener Zeit noch nicht so viel von der Dunkelheit der Welt wissen würde. Und ich dachte damals schon, wie wenig dieser Typ von der Dunkelheit anderer Menschen weiß."

Ich weiß nicht, ob das ein Phänomen der Nacht ist, aber manchmal erscheint es mir, als würden solche Momente wie diese hier, Momente in denen man sich getraut Dinge auszusprechen, die aus ganz tiefen verborgenen Stellen in unserem Inneren kommen, viel häufiger Nachts passieren. Vielleicht weil man das Gefühl hat, die Nacht würde wie eine Art schützender Schleier sein, der sich über die Dinge legt.
Ich kann seinen Atem hören, und schließe die Augen. Beinah fühlt es sich an, als würde er hier neben mir liegen.
"Die Vorstellung, dass wir uns kein Zimmer mehr teilen könnten hat mir wirklich Angst gemacht."
Ich muss schwer schlucken bei seinem erneuten Geständnis.
"Ich kann es eigentlich kaum erwarten von hier wegzukommen", er klingt ein bisschen außer Atem, "aber jetzt habe ich einfach Angst was mich im Einstein erwarten wird. Einerseits will ich nichts mehr, als dass dieser verdammte Sommer vorbei ist und ich endlich aus diesem Kaff und von meinen Eltern weg komme, aber bei der Vorstellung an einen neuen Mitbewohner wird mir einfach schlecht."
Ich überlege einen Wimpernschlag lang, dann sage ich: "Du hättest diesen Sommer zu mir kommen können."
Keine Ahnung, warum ich das jetzt sage, denn nach unserem letzten gemeinsamen Moment im Einstein hätte er vermutlich lieber ne Wurzelbehandlung ohne Narkose bekommen, anstatt den Sommer mit mir zu verbringen. Trotzdem ist es mir in diesem Moment wichtig, dass er weiß, dass er hier willkommen ist.
"Wollten wir nicht Abstand voneinander?" Jetzt klingt er ein bisschen belustigt. Fast als wollte er mich necken.
"Ich hätte dich im Geräteschuppen im Garten schlafen lassen können. Das wäre Abstand genug."
"Das klingt ausgesprochen einladend. Wobei ich tatsächlich lieber im sitzen auf einem Rasenmäher geschlafen hätte, als hier in einem bequemen Bett."
"Mir war nicht klar, wie ungerne du zuhause wärst. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir wirklich angeboten mit mir zu kommen."
"Das glaube ich dir sofort." und was er sagt klingt ehrlich.
Eine ganze Weile schweigen wir wieder. Aber es fühlt sich nicht unangenehm an. Eher so, als würden wir beide unseren Gedanken nachhängen, und hätten kein Problem damit, dass der andere dabei an unserer Seite ist.

Ein Stein ist hart zu brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt