•einundzwanzig•

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Codys feuchte Nase an meinem Bein riss mich aus meinem Halbschlaf, den ich sehr genossen hatte. Fragend hob ich die Augenbrauen in die Höhe. Cody richtete seinen Kopf in Richtung Tür. Stöhnend ließ ich meinen Kopf zurück in die Kissen fallen.
“Danke, mein Großer. Was würde ich nur ohne dich tun?”
Cody gab einen Laut von sich, der wohl aussagen sollte: Das frage ich mich auch.
Das brachte sogar ein kleines Schmunzeln aus mir heraus. Ein kleines Anzeichen der Freude, das verschwand, als es an meiner Tür klopfte, so wie es Cody vorausgesagt hatte.
“Herein.”
Beah stürmte in mein Zimmer, als hätte sie nur darauf gewartet, dass ich sie endlich hinein bat. Doch es war nicht nur das abrupte Eindringen in meine Privatsphäre, das mich aus der Fassung brachte. Ich wusste nicht mehr, wohin mit mir, als sie sich über mich rollte und so neben mir in meinem Bett lag.
Ich war mir sicher, mein Blick sprach Bände. Beah schien das aber geflissentlich zu ignorieren. Ihre Augen fokussierten einen Punkt an meiner Decke, bevor sie klagte: “Mein Leben ist so langweilig. Erzähl mir was aus deinem!”
Lausiger konnte mal wohl nicht verpacken, dass man mich zum Reden bringen wollte. Weil mir nur eine Person einfiel, die jemand anderen vorschicken würde, da sie wusste, sie könnte mich nicht zu einem Gespräch bewegen, fragte ich Beah vorwurfsvoll: “Hat mein Vater dich geschickt?”

Entsetzt wandte sie den Kopf in meine Richtung und sah mich verletzt an. “Glaubst du etwa, es gäbe für mich keinen anderen Grund, mit dir zu reden?”
Darauf reagierte ich nicht, sondern deutete ihr an, dass ich noch immer auf eine Antwort wartete.
Beah seufzte, bevor sie zugab: “John wollte schon, dass ich subtil etwas nachfrage. Aber er kam nur auf die Idee, mich damit zu beauftragen, weil ich sowieso mit dir sprechen wollte. Ich war gerade auf dem Weg zu deinem Zimmer. Ich schwöre es dir.” Sie lächelte mich so freundlich an, dass ich gar nicht anders konnte, als ihren Worten Glauben zu schenken. 
“Wenn mein Vater etwas von mir will, soll er mich selbst danach fragen.”
“Das ist das Ding. Ich glaube, er würde das gerne tun, aber du gibst ihm nicht immer das Gefühl, als würdest du gerne mit ihm sprechen.”
Ich blickte Beah skeptisch an. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit mir reden will. Manchmal bilde ich mir viel mehr ein, er hätte Angst vor mir. Er würde mich meiden. Bevor ich hier ankam, hattet ihr gewiss mehr gemeinsame Abendessen.”
Sie wandte sich von mir ab, was mir die Antwort gab, die ich erwartet hatte.
“Möglich”, bestätigte Beah mir zusätzlich, “aber ich denke, seine Entscheidungen hängen jetzt auch mehr davon ab, was dich glücklich stimmt. Und zwischen euch ist offensichtlich einiges unausgesprochen. Vielleicht will er dir einfach den Gefallen tun und dich so entlasten.”

Ich schnaubte abfällig. Sicher. So kannte ich meinen Vater. Immer bereit, alles zu tun, damit sich seine Tochter wohlfühlte. Deshalb hatte er sie auch verlassen. Sie nie besucht. Sie nicht mal eines Briefes gewürdigt. Deshalb hatte er auch nie mit seiner Tochter nach dem Tod ihrer Mutter ein Gespräch gesucht, um sie zu fragen, wie es ihr ging. Ob sie glücklich war bei dem Gedanken, aus ihrer Heimatstadt wegzuziehen und somit aus der Reichweite von allem, was sie kannte. Deshalb ging er mir aus dem Weg und schien nicht die geringste Intention zu besitzen, unsere Beziehung zu verbessern. Letzteres musste ich ihm zugute halten, denn ich hatte ebenfalls nicht die Absicht, unser Vater-Tochter-Verhältnis aufzubessern. 
“Wenn du gekommen bist, um über meinen Vater zu reden, muss ich dich enttäuschen und dir mitteilen, dass meine Antworten teils sehr lustlos und kurz ausfallen könnten.”
Beahs Gesicht hellte sich auf, als sie sich auf die Seite drehte und ihr Gesicht auf ihrer Hand abstützte. “Bei anderen Themen erhalte ich also lange Antworten. Das ist gut zu wissen.”
Ich hätte sie nicht in mein Zimmer lassen dürfen. Das war ein großer Fehler gewesen. Einer, den ich sicherlich nicht wiederholen würde. 
“Wie wäre es mit einer Antwort auf die Frage, was wirklich mit deinem Rücken passiert ist?”
Ich kniff die Augen zusammen. “Das hat Kian dir erzählt, nicht wahr?”
“Nein”, lehnte sie ab, betrachtete mich nun aber noch interessierter. “Das ist aber auch ein spannendes Thema. Du und Kian.”

Um dem Thema aus dem Weg zu gehen, war ich sogar bereit, über meine Wunden auf dem Rücken zu reden, die ich sehr umständlich mit einem Pflaster abgeklebt hatte, sobald ich zu Hause war. Wahrscheinlich hoffte ich, dadurch auch meine Erinnerungen an die Geschehnisse auf dem Flur fest zukleben zu können. 
“Woher weißt du dann von meinem Rücken?”, wollte ich wissen und lenkte sie damit sehr offensichtlich von etwas anderem weg. Beahs Blick verriet, dass sie genau wusste, was ich vorhatte. Sie tat mir aber den Gefallen und spielte mit. 
“Polk hat deine Wunden gesehen.”
“Und da erzählt er dir direkt davon?”
“Er berichtet mir davon, weil er weiß, dass ich deine Freundin bin.”
“Hm.” Ich war nicht überzeugt.
“Wirst du mir sagen, woher du deine Wunden hast?”
“Ich kann dir nur das Gleiche sagen, was ich Kian geantwortet habe. Ich habe mich gekratzt.”
“Hm.”
Ich begegnete Beahs Blick mit einem Nasenrümpfen. Sie war offensichtlich stolz auf sich, meine eintönige Reaktion gegen mich verwendet zu haben. 

“Interessiert dich gar nicht, was dein Vater dir mitteilen wollte? Wenn du willst, kann ich es dir sagen, aber vor ihm beteuern, dass du es nicht wissen wolltest und ich dir nichts gesagt habe. Weiß du was? Der Plan ist genial. So machen wir das. Damit machen wir alle glücklich und ich habe nicht das Gefühl, meine Aufgabe nicht erfüllt zu haben.” Zufrieden mit sich richtete sie ihren Blick wieder zur Decke und begann mit einem breiten Lächeln wiederzugeben, was mein Vater mir ausrichten ließ: “John möchte, dass du weißt, dass er immer für dich da ist. Wenn du also durch irgendwelche Veränderungen gehen solltest - vor allem jene, die du dir nicht erklären kannst - kannst du gerne zu ihm gehen. Er wird versuchen, dir alles zu erläutern. Es mag für dich überraschend sein, was in letzter Zeit passiert ist, was in dieser Stadt geschieht, aber du sollst wissen, dass alles seine Ordnung hat und dass auch du deinen Platz finden wirst. Selbst wenn es länger dauert, als es üblich ist. Du hast viele Personen um dich herum, die dich unterstützen und dir zur Seite stehen. Allen voran kannst du dich natürlich immer an Kian wenden.”
Perplex richtete ich mich auf und sah sie verwirrt an.
Beah brach in Lachen aus und ich wollte schon erleichtert ausatmen, als sie aber meinte: “Den letzten Satz habe ich einfach mal dazu gedichtet. Von dem, was du so durchdringen lässt, schien mir das ganz passend.”
Sie zwinkerte mir zu, bevor sie von meinem Bett hüpfte. “Ich bin froh, dass wir mal reden konnten. Das müssen wir definitiv wiederholen.”
So schnell, wie sie gekommen war, verließ sie mein Zimmer auch wieder und ließ mich mit der Erkenntnis zurück, dass mein Vater sein Geschwafel offensichtlich ernst meinte. Was aber noch viel schlimmer war, war, dass er scheinbar mehr wusste, als ich ihm zugetraut hatte.

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Zwischen Liebe und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt