•einunddreißig•

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Kian

"Wie geht es ihr? Wirkt sie glücklich? Ist sie häufig alleine? Fragt sie manchmal nach mir?"
Rafe stöhnte genervt auf. "Ehrlich, Mann, musst du mir die gleichen Fragen jeden Tag stellen?"
"Wenn es dich so sehr interessiert, warum siehst du nicht einfach selbst nach", schlug Pauline vor.
"Weil er sich nicht traut", antwortete Cavyn mit einem Grinsen, woraufhin er einen Schlag auf den Hinterkopf von mir kassierte. "Hey!"
"Ich bin euch keine Antworten schuldig", entgegnete ich lediglich. Ich war diese ganze Fragerei satt. Jeden Tag das Gleiche. Warum konnten sie mir meine Fragen nicht einfach beantworten?
Vielleicht war ich aber auch einfach nur gereizt, weil ich Lilith vermisste, es aber nicht über mich brachte, sie zu besuchen. Meinen Frust ließ ich dann einfach an meinen Freunden aus. Die waren das aber bereits gewöhnt und es kümmerte sie auch nicht weiter.
"Ja, es geht ihr gut. Keine Ahnung, ob sie glücklich ist, aber sie schien heute ziemlich müde zu sein. Außerdem war sie in den Pausen nicht bei uns, weil sie ständig jemanden gesucht hat. Ansonsten ist sie aber nicht alleine. Nein, heute hat sie nicht nach dir gefragt."
Ich nickte Walther dankbar zu, der sich aber gleich wieder seiner Lektüre zuwandte.
Letzteres war wohl meine Schuld. Die anderen Tage hatte sie stets nach mir gefragt, aber nach unserem gestrigen Gespräch konnte ich verstehen, dass sie sich nicht mehr nach mir erkundigte.

Ich war erleichtert, dass es Lilith gut ging. Das half mir ein wenig, das ungute Gefühl abzuschütteln, das seit mehreren Minuten in meiner Magengegend herrschte.
Es ging ihr gut. Ich musste mir nicht immer Gedanken um sie machen. Das war mein neues Hobby in den letzten Wochen geworden. Ständig musste ich an Lilith denken. Nicht dass ich an etwas anderes denken wollte. Es gab nichts Schöneres, mit dem ich mich beschäftigen wollte.
Aber es war nun mal ebenso nicht von der Hand zu weisen, dass mich meine Obsession mit Lilith meine Konzentration in anderen wichtigen Bereichen meines Lebens hatte vergessen lassen. Außerdem wollte ich nicht, dass Lilith mich als anstrengend wahrnahm.
Obwohl unser Fast-Kuss nicht den Eindruck erweckt hatte, dass sie so empfand. Aber das war egal, erinnerte ich mich. So konnte ich am besten für die Sicherheit aller sorgen und dazu gehörte nun auch einmal Lilith.
Mir durfte nicht erneut der gleiche fatale Fehler wie mit Yadier geschehen. Ein Abgesandter des Königshauses - es hätte nicht schlimmer kommen können. Yadier spielte gerne seine eigenen Machtspielchen. Es würde mich nicht wundern, wenn er Liliths bloße Anwesenheit für seine eigenen Zwecke ausnutzen würde. Vor allem weil ich nicht gerade gut verborgen hatte, welche Gefühle ich ihr gegenüber hegte. Ich hätte es Yadier nur noch leichter machen können, indem ich ihm alles, was er gesehen hatte, direkt ins Gesicht gesagt hätte.

Ich tat das Richtige, versicherte ich mir. Ich beschützte alle, so wie es meine Aufgabe war. Ein bisschen Abstand war genau das, was Lilith und ich brauchten.
Warum also wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich mich selbst belog? Und dass ich nicht gerade erfolgreich diesbezüglich war.
"Hey, Kian, du musst dich entspannen. Du bist total auf Zündung", forderte Rafe mich von seinem Sitz aus auf.
Das half der Anspannung in meinem Körper aber kein bisschen. Irgendetwas stimmte nicht. Ich konnte nur nicht sagen, was es war.
"Ich glaube, Lilith war ständig auf der Suche nach Mr. Schöff", meinte Beah. Sie saß neben Pauline und hatte gerade ihr Handy aus der Hand gelegt.
"Erinner mich bloß nicht an den!", stöhnte Cavyn qualvoll. "Sonst muss ich sofort wieder an Musik denken."
"Weißt du, warum sie ihn gesucht hatte?", wollte ich von Beah wissen.
Sie schüttelte den Kopf. "Nein, keine Ahnung. Es schien aber ziemlich wichtig zu sein, denn sie hat seinetwegen sogar den Bus verpasst."
Ich stockte in der Bewegung. "Lilith ist nicht zu euch nach Hause gefahren?" Meine Stimme war leise, doch es war ihr Tonfall, der alle aufblicken ließ.
Beah schluckte schwer und schüttelte erneut den Kopf.
"Keiner von euch hat gesehen, was mit ihr nach Schulschluss geschehen ist? Obwohl ich euch beauftragt hatte, ein Auge auf sie zu werfen?"
Es wunderte mich nicht, dass alle Anwesenden ein wenig kleiner wurden und meinen Blick mieden.

Zwischen Liebe und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt