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Kian

Ich verließ das Herrenhaus meiner Familie, um die Ankunft meiner Freunde auf dem Platz davor abzupassen. Mit ruhigen Schritten stieg ich die Stufen hinunter, während ich die Neuankömmlinge abzählte. Wie jeden Vollmond versammelten wir uns, um diese Nacht gemeinsam durchzustehen. An sich war eine Vollmondnacht wie jede andere. Jedoch zwang uns ein Vollmond zur Verwandlung. Auch das wäre wohl nicht weiter schlimm, wenn der Vollmond unsere Instinkte und Wahrnehmungen nicht auf das Äußerste reizen würde. Jede noch so kleine, falsche Bewegung konnte in der heutigen Nacht einen Kampf bedeuten.
Da wir als Gruppe den Vollmond seit Jahren zusammen durchstanden, wussten wir bereits, was uns erwartete. Deshalb würden wir uns einen ruhigen Abend machen, bis der Mond seinen Höhepunkt erreichte und er uns zur Verwandlung zwang. Die ersten Strahlen des Sonnenscheins würden uns dann wieder erlösen.

Nicht, dass die Verwandlung etwas Schlimmes war. Jeder Werwolf liebte es, zwischen beiden Gestalten zu wechseln. Es war wie eine zweite Haut, mit der man allerdings geboren war, sodass sie sich ebenso natürlich anfühlte, wie die andere auch.
Erleichtert stellte ich fest, dass alle pünktlich gekommen waren, sodass es keine Sorgen bezüglich jeglicher besonderer Vorkommnisse geben musste. Ich war nicht jeden Monat so nervös. Ganz im Gegenteil. Nur leider waren die Bedingungen dieses Mal andere.
Samy kam auf mich zu und gab mir einen Klaps gegen die Schulter. Ich warf ihm einen abschätzenden Blick zu, woraufhin er meinte: "Du bist zu verspannt. Das sehen wir dir deutlich an. Und es sorgt nicht gerade dafür, dass wir ruhiger sind."
Ich holte tief Luft und rollte die Schultern nach hinten. Dummerweise konnte ich es mir nicht erlauben, mir meine Nervosität ansehen zu lassen. Ebenso wie mein Dad. Als geborener Anführer richteten sich andere Werwölfe instinktiv nach den Emotionen ihrer Alphas. Zwar war ich noch kein Alpha, aber Anführer einer Gruppe war ich dennoch, und das bereitete mich genügend auf mein späteres Leben als Inhaber der Position meines Dads vor.

"Verzeihung, es gab viel, um das ich mich kümmern musste. Aber jetzt ist alles geklärt." Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen, von dem ich mir nicht ganz sicher war, ob es seinen Zweck erfüllte.
Zumindest Pauline konnte ich damit nicht überzeugen. Sie stand neben mir und beobachtete, wie unsere anderen Freunde bereits ihren Weg ins Herrenhaus fanden, bevor sie mich fragte: "Es ist wegen der Neuen, nicht wahr?"
Auf Lilith angesprochen zu werden, sorgte nicht gerade dafür, dass ich meine Gefühle besser in den Griff bekam. Dafür hatte sie mir in den letzten Tagen zu viel Ärger bereitet. Eine Unwissende und weiterhin eine, von der ihr Vater auch wollte, dass sie es bleibe, bedeutete für Personen, die sich für eine Nacht verwandelten und unkontrolliert durch die Wälder streiften, nichts Gutes.
Deshalb war es auch besonders wichtig gewesen, dafür zu sorgen, dass keine Gefahr für Lilith entstand. Dad war schon mit anderen Aufgaben beschäftigt, weshalb ich diese Herausforderung übernommen hatte.

"Ich denke, Lilith würde es positiv aufnehmen, wenn wir ihr von uns erzählen würden." Überrascht stellte ich fest, dass Cavyn am Eingang des Hauses stand und keine Anzeichen machte, hinein zu gehen. Ich unterdrückte ein genervtes Nasenrümpfen. Wieso hatte ich ihn dort nicht stehen hören? Zumindest sein Atmen hätte mir ein Signal sein sollen, dass Pauline und ich nicht alleine waren. Ich war abgelenkt. Und das durfte nicht sein.
"Sie ist wirklich nett", ergänzte er mit einem schiefen Grinsen.
Ich seufzte und stieg die Treppenstufen wieder hinauf. "Ich habe nie das Gegenteil behauptet. Es macht aber einige Umstände, einen Menschen in der Stadt zu haben, der nichts von allem weiß, was um ihn herum passiert."
"Wir kriegen das schon hin. Du hast dich darum gekümmert, also wird alles klappen." Pauline lächelte mich aufmunternd an und betrat das Haus.
Auch wenn ich mich über ihre Worte freute, bedeuteten sie dennoch einen hohen Druck auf meinen Schultern. Aber ich erledigte meine Arbeit gut. Wenn sich alle an den Plan hielten, würde nichts geschehen. Solange Lilith bei sich Zuhause blieb, würde alles gut werden.

Zwischen Liebe und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt