•einhundertfünf•

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"Ich hatte dich gewarnt."
Yadiers Stimme war in meiner Nähe, direkt an meinem Ohr. Sie klang wie jene eines Freundes, der mir einen Ratschlag geben wollte. Beinahe wäre ich auf ihn herein gefallen. Beinahe hätte ich ihm vertraut.
"Aber du wolltest nicht auf mich hören." Verständnislos schüttelte er den Kopf.
Ich konnte nicht auf ihn achten. Meine Augen waren fest auf Kian gerichtet. Auf den von Blut überströmten, reglosen Kian. Hatte er sich zuvor noch geregt, hob sich jetzt gerade so sein Brustkorb in regelmäßigen Abständen.
"Du warst dir so sicher, zu wissen, was das Beste für dich sei."
Seine Stimme klang gereizt. Abweisend. Als fragte er sich, wieso ich bloß so dumm gewesen war. Als könnte er nicht annähernd meine getroffenen Entscheidungen nachvollziehen.
"Ich wollte das hier nicht. Wäre es nach mir gegangen, wäre es nie so weit gekommen. Das hier ist allein deine Schuld."

Ich hatte solche Schmerzen. Alles tat mir weh, doch besonders mein Kopf pochte. Ich war mir nicht sicher, ob es meine Kopfschmerzen waren oder die Platzwunde an meinem Kopf, die ich spürte. Mein Fall auf den Boden hatte mir mehr zugesagt, als ich gedacht hätte. Mein Kopf war so hart aufgestoßen, dass ich daran zweifelte, ob dabei nicht etwas zu Schaden gekommen war.
"Du hast es dir so ausgesucht." Er sprach immer weiter.
Ich erlag meinen Schmerzen und ließ mich auf den Boden sinken. Es tat so weh. Die Ruhe und Bewegungslosigkeit war zu verlockend, als dem nicht nachzukommen.
"Jetzt wirst du so untergehen, wie sie es damals tat."
Ich wusste nicht, was ich tun konnte. Ich war machtlos. Ich konnte nichts daran ändern.
"Bist du wahnsinnig? Wir brauchen sie noch."
Eine andere Stimme. Es war der Vampir, der ebenfalls sehr angeschlagen klang und sich etwas weiter entfernt befand. Jetzt wirkte er nicht mehr belustigt. Eher panisch.
Ich glaubte nicht, dass er sich selbst mit "wir" meinte. Das hatte er zu verstehen gegeben. Doch wen meinte er dann damit?
Das Denken schmerzte meinen Kopf.

"Wenn ich sie nicht kriege, dann bekommt sie keiner."
Schwarze Stiefel, seine Stiefel, traten in mein Blickfeld. Sein Gesicht näherte sich meinem. Seine Hand tastete nach meinem Haar, wickelte sich eine rote Strähne um den Finger.
"Was für eine Schande." Der Druck der Finger verstärkte sich, bis sich ein Ziehen an meiner Kopfhaut bildete. Ich konnte ihm meine Haare nicht entziehen.
"Du bist nicht so dumm, sie umzubringen." Der Vampir klang nicht überzeugt von seiner eigenen Aussage.
Yadier wandte sich von mir ab zu ihm.
"Das Mädchen bereitet mir mehr Probleme, als es Lösungen erbringen kann."
Jetzt sahen die Augen wieder zu mir. Ein Lächeln schob sich in Yadiers Mundwinkel.
"Ich glaube, ich werde es genießen, dich leiden zu sehen."
Ich wollte ihm das Grinsen aus dem Gesicht schlagen. Doch ich konnte nicht einmal meinen Finger bewegen.
"Nicht..."
Meine Augen suchten automatisch nach Kian. Er hatte seine Hand nach mir ausgestreckt. Hätte er die Kraft dazu gehabt, wäre er zu mir gekommen. Erneut öffnete er den Mund. Aber es kamen keine Laute heraus.
Meine Erleichterung, dass er die Augen geöffnet hatte, dass er sich bewegen konnte, war nicht von Dauer.
"Ach, die Liebe... sie ist so süß, dass sie einem beinahe das Herz zerreißt." Yadiers Stimme war voller Spott.
Seine schwarzen Stiefel entfernten sich von mir. Sie traten zu Kian.
"Wie es wohl wäre, sie dir zu entreißen? Sie dir vor deinen Augen zu nehmen?"

Yadier lachte verächtlich. Sein Stiefel trat Kian in die Seite. Er genoss sein schmerzerfülltes Stöhnen, das darauf folgte.
"Zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich bestrafe dich für deinen Ungehorsam und beschere ihr den größten Schmerz, den wir jemals verspüren können."
Yadier wandte sich wieder zu dem Vampir.
Meine Finger gruben sich in den harten Boden. Sie versuchten, Halt zu finden, um mich zu Kian zu ziehen. Ich wollte ihn berühren. Ihm sagen, dass alles gut werden würde. Ihm all diese Lügen erzählen, damit er nur meine Liebe spürte, die ihn seine Schmerzen vergessen ließ. Ich wollte ihm irgendwie helfen, so wie er mir immer geholfen hatte.
"Nun schau doch nicht so angewidert." Yadier klang beinahe empört.
"Diese Art von Schmerz..." Der Vampir stockte. "Die verdient niemand."
Seine Worte überraschten mich. Zog er dort eine Grenze?
"Verweichlicht. Ihr alle. Ihr seid schwach. Ihr habt nicht, was es braucht, um zu führen." Ich glaubte, ihn etwas leiser "Ich verdiene es, sie anzuführen. Ich habe, was es braucht" sagen zu hören.

Zwischen Liebe und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt