•zweiunddreißig•

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Es baute sich vor mir auf. Groß und bedrohlich. Als es nach meiner Kehle schnappte, konnte ich nur schreien und um mich schlagen. Bevor seine Zähne mein Fleisch durchdringen konnten, wurde die Kreatur von mir gerissen. Die andere Kreatur hatte das Ungeheuer von mir gestoßen. Sie stellte sich zwischen uns. Als wollte sie mich beschützen.
Ich machte mir keine Gedanken über die Intention des Neuankömmlings. Ich musste mich in Sicherheit bringen. Ein schmerzerfülltes Stöhnen wich über meine Lippen, als ich mich abstützen wollte, um mich aufzurichten. Das Geräusch ließ die neue Kreatur sich zu mir herumdrehen. Als sorgte sie sich um mich. Doch es waren ihre gelbbraunen Augen, die mich gefangen hielten und mich Hoffnung schöpfen ließen. Ich konnte es noch schaffen. Mit seiner Hilfe konnte ich das hier überstehen.
Es war die Hoffnung, die mich das Ungeheuer übersehen ließ. Die mich nur entsetzt die Augen aufreißen ließ, als es seine Reißzähne in seine Haut rammte. Ich streckte die Hand aus. Er musste sich festhalten. Nicht loslassen. Ich wollte nicht Schuld sein. Nicht sein Verderben bedeuten.
Die gelbbraunen Augen sahen meine Hand an. Doch er handelte nicht. Er ließ sich von mir wegzerren. Um mich zu beschützen. Mich zu retten. Auch wenn es sein Ende bedeutete.
Fassungslos verfolgte ich sie mit meinem Blick. Das Ungeheuer ließ nicht locker. Es wollte ihn in den Tod bringen.
Er wollte, dass ich verschwand. Dass ich die Gelegenheit nutzte. Doch ich konnte es nicht. Ich konnte ihn nicht alleine lassen. Nicht nach allem, was er für mich getan hatte.
Ich krabbelte auf sie zu, hinter ihnen her. Es durfte ihn mir nicht wegnehmen. Mit aller Kraft warf ich mich auf das Ungeheuer und schlug auf ihn ein. Seine roten Augen erwarteten mich bereits...

Ich schlug die Augen auf.
Mein Alptraum nahm mich heute nicht so sehr mit wie die letzten Male. Ich hatte mich wohl schon so sehr an seine Gegenwart gewöhnt, dass er mich nicht mehr schocken konnte. Vielleicht war ich aber auch so emotional ausgelaugt, dass ich keine Kraft mehr aufbringen konnte, um mir Gedanken über meine Träume zu machen. Ich hatte weitaus Wichtigeres in meinem Leben.
Ich rollte mich auf die Seite und schloss die Augen.
Es hatte lange gedauert, bis ich endlich eingeschlafen war. Meine Gedanken waren noch um alles geschwirrt, was am gestrigen Tag geschehen war. Und das hatte ich als so nervenaufreibend empfunden, dass es mich lange wach gehalten hatte.
Umso ungünstiger war es für mich, dass ich jetzt wieder wach war. Vielleicht konnte ich wieder einschlafen. Ich hatte nicht die Kraft, mich weiter mit dem auseinanderzusetzen, was ich gestern gelernt hatte.
Ich kniff die Augen fester zusammen.
Ich musste einfach an etwas anderes denken. Etwas Unkompliziertes und Unproblematisches. Meine Mutter. Hatte mich mein Leben lang angelogen. Mein Vater. Hatte ebenfalls Geheimnisse vor mir, die er nicht vorhatte, mit mir zu teilen. Meine Freunde. Waren gleichfalls unehrlich zu mir. Mr. Schöff. War ganz sicher kein Mensch und hatte über eine Kraft gesprochen, die ich scheinbar besaß. Der Psycho. War ein Vampir, der mich zu seinem ominösen Boss bringen wollte. Kian.

Zu ihm hatte ich wohl eines der kompliziertesten und verwirrendsten Verhältnisse überhaupt. Er meinte, er bräuchte Abstand und müsste sich auf seine Arbeit konzentrieren. Dennoch war er in dem Moment zur Stelle, in dem ich Hilfe brauchte. Er schien mich küssen zu wollen und in der nächsten Sekunde überwältigte ihn sein Pflichtbewusstsein. Er wollte mir helfen, herauszufinden, wer ich war, durfte aber nichts verraten.
Zusammengefasst gab es also nichts in meinem Leben, das nicht verworren war und mich nicht vor tausend Fragen stellte.
Ein lautes Atmen neben meinem Bett bewies mir das Gegenteil. Dort lag das einzige Lebewesen, dem ich wohl ohne Bedenken vertrauen konnte. Cody.
Und mein Wolf. Dem konnte ich auch vertrauen. Die letzten Tage war ich nicht mehr bei ihm gewesen. Ich war in der Nacht draußen auf der Suche nach ihm gewesen, in der ich begriffen hatte, dass Kian mich mied. Leider hatte ich ihn nicht finden können. Danach war dann meine Abendlektüre hinzugekommen, weshalb ich noch weniger Zeit hatte, mich mit ihm zu treffen.
Vielleicht wäre das eine gute Beschäftigung. Rauszugehen und zu gucken, ob ich ihn finden konnte. Das würde mich auch von der erschreckenden Realität ablenken, die ich gestern kennengelernt hatte.

Zwischen Liebe und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt