•siebenundsiebzig•

314 20 0
                                    

Ich folgte dem Kobold durch sein Haus. "Wartet mal, seid Ihr etwa Kenai?"
Ohne sich zu mir umzudrehen, beantwortete er meine Frage: "Scheinst ja, ein bisschen Grips zu haben. Ja, das stimmt. Ich bin Kenai. Wenn du willst, kannste mich auch duzen."
Dann hatte ich wohl Glück gehabt, dass er derjenige gewesen war, der Kian und mich gefunden hatte. Vielleicht hätte jemand anders mich gar nicht erst hierher geführt. Außerdem wusste ich so, dass Kenai mich nicht noch abweisen würde. Schließlich hatte er mir schon bestätigt, mir helfen zu wollen.
"Leg deinen Hund da hin." Kenai klopfte auf einen länglichen Tisch, der so weit unten stand, dass ich mich hinknien musste, um Cody vorsichtig darauf abzulegen. Für Kenai allerdings hatte der Tisch die perfekte Höhe.
"Was kannst du mir über seinen Zustand sagen?" Während er sprach, inspizierte er Cody. Er legte eines seiner großen Ohren an Codys Bauch. Erneut verriet nichts an ihm, was er dachte.

"Er schläft. Das ist alles, was er tut. Weder frisst er, noch öffnet er auch nur ein Auge. Aber er atmet." Als ich seine Symptome aufzählte, konnte ich nicht anders, als Traurigkeit zu empfinden. Ich wollte meinen besten Freund wiederhaben. Er sollte mich mit seinen klugen, wachen Augen ansehen und mit mir wieder spazieren gehen.
"Warst du es, die ihn in diesen Schlaf versetzt hat?"
"Was?" Perplex starrte ich den Kobold an. Ich konnte gar nicht fassen, was er mir gerade unterstellte.
Mein Tonfall hatte meine Entrüstung wohl preisgegeben, denn Kenai hob seinen Kopf. Er ließ Codys Kopf wiederum wieder vorsichtig auf den steinernen Tisch sinken. "Du bist noch eine junge Hexe. Vielleicht ist ein Zauber schiefgegangen. Ich will dich nicht beleidigen, aber ich muss es nun einmal wissen."
"Nein, ich war es nicht", presste ich hervor, jetzt aber schon etwas gefasster. "Woher willst du wissen, dass ich noch eine junge Hexe bin?"

Kenai verließ Cody, um zu einem der Wandschränke zu gehen. Er verschwand mit seinem Kopf fast vollständig darin, bis nur noch ein Rütteln und Klirren zu vernehmen war. Dennoch antwortete er mir: "Wärste schon erfahrener, wüsstest du, was mit deinem Hund los ist. Vielleicht hättest du ihm sogar selbst geholfen."
Ich mochte es gar nicht, so durchschaubar zu sein. Nicht nur hatte der Kobold offensichtlich keine Sorge, ich könnte ihm etwas antun. Zudem wusste er, dass, selbst wenn ich das tun wollte, ich höchstwahrscheinlich keinen großen Schaden bei ihm anrichten konnte. Einfach, weil ich nicht wusste, wie.
"Also war ne andere Hexe schuld? Warum? Habt ihr euch zerstritten?"
"Ich kenne die Hexe nicht, die dafür verantwortlich ist. Sie hat nicht aus eigenem Interesse gehandelt."
"Tun die wenigstens heutzutage."

Endlich hatte er, was er suchte. Als er aus dem Schrank herauskam, hatte er zwar nichts in der Hand, um ihn herum schwebten aber zwei Gefäße, die aussahen, als wären sie aus Ton geformt worden. Sie folgten ihm gehorsam, wo er auch hinging.
"Kannst du meinem Hund helfen?" Sogar ich hörte die Hoffnung in meiner zittrigen Stimme.
"Helfen kann ich ihm. Aber heilen kann ich ihn nicht."
Unsicher, was ich davon halten sollte und welche Bedeutung das nun für mich hatte, hakte ich nach: "Das heißt, was genau?"
"Am leichtesten wäre es, wenn die Hexe, die deinen Hund verzaubert hat, ihren Zauber wieder aufheben würde. Das scheint wohl nicht möglich zu sein. Ich kann ihm jedoch etwas geben, das ihn nach und nach wieder zu dem macht, der er früher war. Es könnte aber ein paar Tage dauern."
"Das ist mir egal", unterbrach ich Kenai schon beinahe. "Hauptsache, es geht ihm wieder besser." Ich trat an Cody heran und hockte mich vor ihn. Langsam strich ich ihm durch das weiche Fell.

"Ich dachte, nur Hexen wären in der Lage, zu zaubern", meinte ich abwesend, als ich im Augenwinkel bemerkte, dass die beiden Gefäße Kenai noch immer folgten, während er gegenüber des Wandschranks nun begann, etwas anzumischen.
"Sind se auch. Kobolde können nicht zaubern. Das, was du hier siehst", er deutete um sich herum, "ist uns angeboren. Ist ein Teil von uns. Die Telekinese ist die einzige Form von Magie, die man uns nachsagen könnte. Wir zehren jedoch von uns, wenn wir sie benutzen. Wir haben keinen Impulsgeber, wie es die Natur für euch ist."
"Trotzdem kannst du einem Zauber entgegenwirken?"
"Wir leben mit der Natur im Einklang. Über die Jahrhunderte haben wir herausgefunden, was wir für uns nutzen können. Es gibt zu allem ein Gegenmittel. Das muss es, sonst gibt's kein Gleichgewicht."
"Auch zum Tod?", wollte ich wissen und fing Kenais Blick auf, der mich jetzt nachdenklich ansah.
"Natürlich. Das Leben. Menschen, Hexen oder Werwölfe sterben, damit andere leben."

Zwischen Liebe und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt