•zweiundfünfzig•

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"Nochmal vielen Dank. Das hat mir wirklich sehr geholfen." Ich schenkte Beah ein kleines Lächeln, als sie aufstand und ihre Schulsachen in die Hand nahm.
Sie grinste mich breit an. "Das ist doch logisch. Ich kann das total verstehen, wenn man in Mathe mal nicht alles kapiert."
Ich verzichtete, sie darauf hinzuweisen, dass ich nie etwas verstand, wenn es im Zusammenhang mit Mathe stand.
In zwei Tagen schrieben wir unseren nächsten Test. Es war nicht verwunderlich, dass ich mich wieder mal nicht gut vorbereitet fühlte. Dieses Mal hatte ich aber entschieden, dass ich etwas dagegen unternehmen musste. Also fragte ich kurzerhand Beah, ob sie mir ein wenig Nachhilfe geben konnte. Sie hatte zugestimmt und sich daran gesetzt, mit mir an meinen Schwachstellen und Fragen zu arbeiten. Ich würde zwar nicht sagen, dass ich jetzt mit 14 Punkten rechnen sollte, aber es würden wohl auch mehr als fünf werden. Und mehr wollte ich gar nicht. Hauptsache, ich kam irgendwie durch.
Meine Schwäche in der Mathematik würde ich mit anderen Fächern wieder ausgleichen, die mir einfach besser lagen als dieses.

Während Beah ihre Stifte zusammen suchte, sprach sie: "Du sag mal, wie läuft es in deinem Leben eigentlich so? Alles super? Verstehst du dich mit allen gut? Oder gibt es mit jemandem neuerdings Probleme?"
Ich versteifte mich. Es war nicht schwer zu erkennen, worauf die Frage abzielte. Es verwunderte mich auch nicht, dass Beah sie überhaupt stellte. Man müsste schon blind sein, um nicht zu sehen, dass es zwischen Kian und mir Schwierigkeiten gab. Dennoch war ich nicht darauf vorbereitet, so direkt dazu ausgefragt zu werden.
"Nein, es läuft alles gut. Klar habe ich noch ein paar Probleme, mit allem zurechtzukommen. Aber ansonsten gibt es nichts, worüber man sich groß unterhalten könnte", log ich und hoffte, dass sie mich verstand. Ich wollte nicht darüber reden. Ich gehörte einfach nicht zu denen, die ihre Angelegenheiten mit jedem besprachen, um sich verschiedene Meinungen einzuholen und dann eine bessere Entscheidung treffen zu können.
Ich machte das immer mit mir selbst aus. Zumindest seit Neuestem. Früher war meine Mum meine Ansprechpartnerin gewesen.

Ich spürte Beahs Blick auf mir, gab mir aber keine Mühe, aufzusehen.
"Okay", kommentierte sie leise.
Überrascht begegnete ich ihrem Blick, dankbar, dass sie mich nicht dazu drängte, mit ihr darüber zu reden.
Sie gab mir ein schmales Lächeln, das mir einen kleinen Einblick darin bot, wie viel unsere Freunde tatsächlich von unseren Komplikationen wussten. Und dass es sie vielleicht mehr mitnahm, als ich anfangs erwartet hätte.
Ich senkte meinen Kopf und beschäftigte mich, indem ich meine Bücher fein säuberlich übereinander stapelte.
Beah war schon an der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte. "Ich weiß nicht, was zwischen euch abläuft. Und glaub mir, wir wissen auch, dass es uns nichts angeht." Sie presste die Lippen aufeinander, als zweifelte sie noch, ob sie weitersprechen sollte. "Aber ich möchte dir nur sagen, dass er ein guter Mann ist. Er trifft manchmal Entscheidungen, die nicht für jeden verständlich, aber für das Gemeinwohl am besten sind. Er zweifelt ab und zu, ob er der Richtige für seinen künftigen Job ist. Aber wir alle wissen, dass er dazu geboren wurde. Er wurde geboren, um ein Anführer zu sein und das nicht, weil sein Vater ihm diese Aufgabe vererbt hat, sondern weil keiner dafür geeigneter sein könnte als er. Was ich damit sagen will, gib ihm eine Chance. Er überlegt sich seine Handlungen immer sehr genau und es gibt für sie immer einen guten Grund, auch wenn man den zu Beginn manchmal nicht auf Anhieb erblicken kann."

¤¤¤

Ich war bereits in meine Schlafsachen gekleidet, als ich noch in meinem Zimmer hin und her tigerte und über Beahs Worte nachdachte. Das ging schon so lange, dass Cody gar nicht mehr aufsah, wenn ich an ihm vorbei ging. Das konnte aber auch an seiner Müdigkeit liegen.
Ich stoppte meinen erfolglosen Überlegungsgang, um nach ihm zu sehen. Vor einer halben Stunde hatte er bedenklich oft zu gähnen angefangen. Normalerweise würde ich mir darüber keine große Gedanken machen, allerdings gähnte er so häufig, dass ich mir Sorgen machte. Außerdem fielen ihm immer wieder die Augen zu, als wäre er besonders müde. Das wäre nicht weiter verwunderlich, wenn mir Gründe dafür einfallen würden. Wir hatten uns so viel bewegt wie die ganzen letzten Tage auch. Weiterhin war heute nichts geschehen, das stressig für ihn gewesen sein könnte. Zumindest nichts, was ich wahrgenommen hatte.

Ich kniete mich vor ihn, da er auf meiner Couch platz genommen hatte. Ich strich ihm über seinen Rücken und beugte mich vor, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. Er öffnete nicht einmal ein Auge als Reaktion.
Bedenklich kraulte ich ihn und nahm mir vor, ihn jetzt schlafen zu lassen und ihn morgen besonders genau im Augen zu behalten. Vielleicht würde sich dadurch eine Erklärung für sein Verhalten ergeben.
Ich schlurfte zu meinem Bett und ließ mich hineinfallen. Ich rechnete schon fest damit, dass ich lange brauchen würde, um einschlafen zu können, wie es bisher immer gewesen war. Überraschenderweise fielen meine Augen aber zu, sobald mein Kopf mein Kissen berührte. Ich hinterfragte nicht, was mich heute so sehr ermüdet hatte, sondern genoss die friedliche Stille um mich herum. Und als mich der Schlaf innerhalb von Sekunden fand, kuschelte ich mich eng in meine Bettdecke.

Ich rannte. Rannte durch den Wald. Zähne zerrissen mein Oberteil. Ich lief schneller. Doch es kam immer näher. Ich konnte nicht gewinnen. Die Angst übermannte mich. Sie lähmte mich, flüsterte mir zu, einfach loszulassen. Es wäre einfacher.
Aber ich konnte nicht. Mein Fuß stolperte über eine Wurzel. Ich fing mich auf, meine Hand brannte, als sie über einen spitzen Stein rutschte.
Das Knurren entfernte sich nicht. Es kam nur noch näher, entließ mich nicht aus seinem Griff.
Keine andere Beute war so aufregend wie ich.
Kein Ziel verführerischer.
Ich musste es abhängen. Doch wie konnte ich gegen diese Kreatur gewinnen?

Meine Augen erblickten nur Dunkelheit, dennoch wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich wachte nie so früh in meinem Traum auf. Meist erlebte ich ihn stets bis zum Ende, an dem er mich dann des Schlafes entraubte. Aber so früh... nein, das war noch nie vorgefallen.
Jedoch war das nicht das Einzige, was sich anders anfühlte. Ohne mich weiter bewegen zu müssen, spürte ich eine Veränderung in meinem Zimmer. Und es war weder Codys unnatürlich flaches Atmen, noch das Fehlen der Geräusche von draußen. Das Rascheln der Blätter, das Heulen eines Tieres, irgendetwas, das mir verriet, dass ich nicht allein auf dieser Welt war. Es war still. Zu still.
Aber ich bewegte mich dennoch nicht. Ich setzte mich nicht auf, um mich umzusehen. Mein Instinkt sagte mir, dass das keine gute Idee wäre. Also blieb ich still liegen und hielt meinen Atem bemüht leise, um so herauszufinden, was zur Hölle hier los war.

Warum wachte Cody nicht auf? Auch wenn er bei meinen Alpträumen jetzt stets durchschlief, war er doch immer zur Stelle, wenn ich ihn brauchte. Warum also spürte er das jetzt nicht?
"Sie brauchen nicht zu tun, als schliefen Sie", erklärte mir eine fremde Stimme amüsiert.
Erschrocken richtete ich mich auf und ignorierte meine Instinkte, die mir empfahlen, zu rennen.
Ich musste den Mann in meinem Zimmer nicht lange suchen. Er stand etwa zwei Meter von meinem Bett entfernt in meinem Zimmer, als wäre es das natürlichste der Welt.
Seine roten Augen ließen keinen Zweifel daran übrig, dass er sich als der Überlegenere in diesem Raum wahrnahm. Er hinterfragte nicht eine Sekunde, dass ich diejenige sein sollte, die ihn fürchten musste. Und ohne zu wissen, wer er war, wusste ich, dass er mit beidem richtig lag.
Meine Kehle war trocken und ich wagte es nicht, zu sprechen.
Ich konnte die Statur des Mannes nur erahnen, dafür war es zu dunkel und meine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Mein Herz pochte schnell.
Die roten Augen kamen näher. "Ich habe lange genug auf Sie gewartet. Meine Geduld ist an ihrem Ende angelangt."

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Wer könnte der mysteriöse Unbekannte wohl sein...? 🙊

Zwischen Liebe und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt