Kapitel 27: Okay. Gut

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War sie zu weit gegangen?

Vielleicht dachte Draco, dass sie nun irgendetwas von ihm erwartete und ging ihr deshalb aus dem Weg. Vielleicht war ihm aufgegangen, dass er sich nicht mit einem Schlammblut abgeben wollte. Vielleicht war es ein Versehen gewesen. Oder sie hatte ihn missverstanden. Vielleicht hatte er es ernst gemeint, als er gesagt hatte, dass er gehen wollte. Und sie hatte sich ihm aufgedrängt.

Immer wieder blitzte die Erinnerung an seine Lippen auf. Wie Dracos Hände sich um ihr Gesicht gelegt hatten. Wie er sie an sich gezogen hatte, als hätte er schon lange darauf gewartet, mit den Fingern durch ihre Haare zu streichen.

Das ganze Wochenende hatte sie keine Gelegenheit gehabt, mit Draco zu sprechen. Ihr einziger Versuch war unterbrochen worden und der stechende Schmerz in ihrer Brust flüsterte ihr zu, dass es keinen weiteren mehr geben würde. Dass Draco genug von ihr hatte. Vielleicht hatte er bekommen, was er wollte. Oder er hatte erkannt, dass das alles ein Fehler war.

Sie saß am Schreibtisch im Kaminzimmer und versuchte, sich ganz auf den Aufsatz über Kruskal-Zauber für Arithmantik zu konzentrieren, doch sie ertappte sich immer wieder dabei, wie sie kleine Kreise auf den Rand ihres Pergaments malte.

Die Unsicherheit breitete sich wie ein kalter Knoten in ihrem Bauch aus.

Draco hatte sie geküsst – aber sie hatte auch Draco geküsst. Sie hatte sich warm und flatterig gefühlt und obwohl das Gefühl langsam verblasste, konnte sie noch immer die Erinnerung seiner weichen Lippen an ihren spüren.

Was hatte sie sich dabei gedacht? Ja, er hatte zugestimmt, sich vom Orden verstecken zu lassen und Voldemort Plan zu hintergehen, doch bedeutete das, dass er all seine Vorurteile und Beleidigungen abgelegt hatte? Sie hatten über die Theorien der Vererbung geredet und die Einflüsse von Muggeln auf die Magie, aber sah er sie deshalb als gleichwertig an? Vielleicht dachte nicht mehr so schlecht von ihr, doch was machte das für einen Unterschied, wenn er jeden anderen noch immer verabscheute?

Sie hatte seit Wochen versäumt, das Thema wieder anzuschneiden. Seit den Ferien war sie nicht mehr darauf eingegangen, als hätte das Gespräch mit Dumbledore und seine Freundlichkeit ihn ohne Vorbehalte zu einem anderen Menschen gemacht. Dabei wusste sie nicht, worüber er mit seinen Freunden im Gemeinschaftsraum sprach. Wen er vielleicht, ohne dass sie es mitbekommen hatte, schikanierte. Menschen änderten sich nicht einfach so.

Aufgebracht fuhr sie sich durch die Haare und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie konnte unmöglich Draco Malfoy mögen. Momentan musste sie ihren Umgang aus anderen Gründen verheimlichen, doch in Wahrheit versteckte sie sich gerne dahinter. Ihre Freunde würden das nie verstehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Harry, der sich mit Draco seit Jahren einen Kleinkrieg lieferte, neben ihm auf dem Sofa saß und lachte.

Vielleicht war es besser, dass Draco ihr aus dem Weg ging, aus welchen Gründen auch immer. Was auch immer sie wollte – wusste sie überhaupt, was sie wollte? – es hatte keine Zukunft. Sie durfte nicht zulassen, dass sie sich in irgendeinen Wunschgedanken verrannte. Was auch immer sie glaubte, zu fühlen, es war wahrscheinlich nur der Isolation von ihren Freunden zuzuschreiben. Sie klammerte sich an dem klitzekleinen Bisschen Aufmerksamkeit fest, das Draco ihr zukommen ließ.

Sie ließ den Kopf auf den Tisch vor ihr sinken und schloss die Augen.

Sie hätte sich nicht von der merkwürdigen Stimmung mitreißen lassen dürfen. Es gab ein paar ungeschriebene Regeln und auch wenn ‚dem Feind dabei helfen, keine Dummheiten zu machen' vielleicht eine Ausnahme darstellte, war ‚den Feind küssen' keine davon.

Regen prasselte gegen das Fenster und ihre Gedanken verlangsamten sich, während sie im Schein des Feuers über dem Tisch lehnte.

Beinahe konnte sie sich vorstellen, dass Draco auf dem Sofa hinter ihr saß und in einem Buch blätterte. Wie seine Finger an der oberen Kante der Seite entlang strichen, um die Ecke fuhren und sie dann hochhoben, um umzublättern. Sie wünschte sich die endlose Weite der Schneelandschaft zurück und die zerbrechliche Vertraulichkeit, die sie in den Weihnachtsferien verbunden hatte.

MetamorphoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt