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Ich kann nicht mehr. Wie ein immer wiederkehrendes Mantra wiederhole ich diesen Satz in meinem Kopf. Ich-kann-nicht-mehr.  Für jedes Wort setze ich einen weiteren Schritt nach vorne. Selten gab es motivierendere Ansprachen, um sich für den Sport der masochistisch Veranlagten zu quälen.

Ich hasse Joggen. Mal ehrlich, wer nicht? Noch kranker ist es nur, sich in einem geschlossenen Raum zu treffen, um Gewichte zu stemmen. Und da ich ungefähr das Ausdauervermögen eines Faultiers besitze, japse ich schon seit Kilometer eins nach Luft. Natürlich bin ich gerade heute auf die glorreiche Idee gekommen, meine nicht vorhandene Fitness aufzupolieren. Um 9 Uhr morgens. Bei 24 Grad. Klarer Fall von grenzenloser Selbstüberschätzung.

Ich ändere mein Mantra zu Ich-has-se-Sport gefolgt von Ich-bin-zu-alt-für-die-sen-Scheiß. Wohlwissend, dass ich mit meinen gerade 25 Jahren nicht zu alt für diesen Scheiß bin. Verdammt, ich gebe es ja zu. Ich bin einfach unsportlich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Park trotz der relativ frühen Stunde schon gut gefüllt ist. War ja auch irgendwie absehbar, ne? Mit einem Anflug von Seitenstechen und einem Kopf so rot, dass er jeder Tomate Konkurrenz macht, gleicht mein Joggen eher einem Spießrutenlauf, bei dem ich nicht nur Fußgängern und Hunden, sondern auch entgegenkommenden Radfahrern ausweichen muss. Gar nicht so einfach, wenn man so viel motorisches Feingefühl besaß wie ein Stück Holz.

Ich will gerade ein älteres Ehepaar überholen – da geht plötzlich alles sehr schnell. Wie aus dem Nichts schießt mir ein Rennradfahrer entgegen. Mit einer solch halsbrecherischen Geschwindigkeit, dass ich ihm nicht einmal mitteilen kann, was ich davon halte, dass er mit gut 30 Sachen über einen Fußweg brettert und ahnungslose Joggerinnen über den Haufen fährt. Was für ein Arschloch. In letzter Sekunde mache ich einen Hechtsprung zur Seite... und schaffe es gerade noch auf den bepflanzten Seitenstreifen. Leider sind meine koordinativen Fähigkeiten mit diesem Belagwechsel überfordert. Ich stolpere, verliere das Gleichgewicht, pralle gegen etwas Hartes – und knicke der Länge nach um.

Verwirrt blinzelnd sehe ich mich um.

Ich liege inmitten niedergetrampelter Blumen. In einem Blumenbeet. In. Einem. Blumenbeet. Kann ich bitte im Erdboden versinken? Im wahrsten Sinne des Wortes. Unmittelbar vor mir ein kleiner Baum und der Grund für meine pochende Stirn. Der penetrante Geruch von Rindenmulch steigt mir in die Nase. Ich meine sogar, ihn schmecken zu können. Instinktiv wische ich mir mit meinem schweißigen Handrücken über den Mund. Ganz blöde Idee. Das Zeug klebt überall an mir – und jetzt auch in meinem Gesicht. Ich spucke aus, doch der erdige Geschmack bleibt.

Bravo, Lena, eine echte Glanzleistung, die du da hingelegt hast. Ich traue mich kaum, meine Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen. Hat jemand etwas von meiner kleinen Einlage mitbekommen? Bitte, lass es niemanden mitbekommen haben!

Ich registriere, wie das ältere Ehepaar, das Zielobjekt meines missglückten Überholversuchs, sich in meine Richtung bewegt. Mit einer Mischung aus Bestürzung und Mitleid mustern sie mich, und auch andere Passanten sind bei meiner kleinen Einlage stehengeblieben. So viel dazu. Nur der Rennradraudi ist längst über alle Berge. Hat der noch nie etwas von Klingeln gehört?! 

Das Ehepaar ist schon fast bei mir angekommen. Verlegen winke ich ab, versuche mich schnell aufzurappeln. Die Betonung liegt auf versuche. Ein stechender Schmerz fährt mir durchs linke Bein. Oh, oh.

Vorsichtig, ganz vorsichtig, taste ich meinen Fuß, meinen Knöchel ab. Au! Tränen schießen mir in die Augen, als erneut ein siedend heißer Schmerz durch mein Bein fährt. Ich fluche leise, während ich panisch versuche, meinen Knöchel vorsichtig kreisen zu lassen. Entsetzt stelle ich fest, dass das nicht geht. Bitte, nicht das auch noch! Bleibt mir denn heute gar nichts erspart?

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt