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„Sind Sie schwanger?", fragt mich ein kleiner, dunkelhaariger Arzt im blauen Dress, der sich mir als Dr. Dieter Hahn, Radiologie, vorstellt.

„Nein."

Er beäugt mich kritisch durch seine schmalen Brillengläser. „Sind Sie sicher?"

War das ein verdammtes Verhör über mein Liebesleben, oder was?

„Solange Luftbestäubung noch kein Ding ist", gebe ich trocken zurück. Entgeistert starrte er mich an. Nein, das fand er jetzt nicht so witzig. Ich seufzte. „Ja, ganz sicher."

Muss er ja nicht wissen, dass ich das letzte Mal vor über einem Jahr Sex hatte. Überhaupt erst mit zwei Männern in meinem Leben geschlafen habe. Und das war ... sagen wir es so, ich verstehe den Reiz an Sex, Affären und dem Ganzen einfach nicht. Oder wie Pascale sagen würde: Du wurdest einfach noch nie so richtig durchgevögelt.

Bevor ich Pascale auf der jährlichen Betriebsfeier – sie arbeitet in der Marketingabteilung im selben Verlagshaus – kennen- und lieben gelernt habe (sie ließ mir dabei kaum eine Wahl), habe ich die Abende allein auf meinen 26-Quadratmetern verbracht. Der Wasserhahn in der Küche (und mit Küche meine ich 1,5 Meter Küchenblock, der direkt an Flur, Wohn- und Schlafbereich angrenzt) leckt, das Badezimmer riecht nach den Essensgerüchen der Nachbarwohnung und die Isolation nicht vorhanden. Trotzdem liebe ich jeden Quadratzentimeter dieser Wohnung. Denn es sind meine 26 Quadratmeter. Mein erster, eigener Safe Space – ohne den Penner. Ohne Nicole. Ohne den verurteilenden Blick meiner Eltern. Und alles, was ich mir derzeit bei den horrenden Münchner Mieten und meinem Redakteurinnengehalt leisten kann.

Mit ihrer offenen und selbstbewussten Art ist Pascale so ganz anders als ich – und hat wenig bis keine Probleme neue (vorzugsweise männliche) Bekanntschaften zu schließen. Natürlich hilft auch ihre elfenhafte Figur gepaart mit einer kleinen Stupsnase, Sommersprossen und sonnenblondem Haar. Zusammen müssen wir wirklich einen seltsamen Anblick bieten. Wie Ying und Yang. Eine Erscheinung und eine ... hm. Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden mit meinem Äußeren, wirklich! Ich mag mein dunkelbraunes Haar, das einen schönen Kontrast zu meiner blassen Haut darstellt. Aber hier und da habe ich eben meine Komplexe. Ich meine, wie auch nicht, wenn einem bei Filmen wie Love Actually eingeredet wird, dass Natalie dick sei? Habt ihr die Frau gesehen? Sie ist verdammt noch mal eine Erscheinung!

Das Röntgen dauert zum Glück nicht lange. Ein Krankenpfleger schiebt meinen Rollstuhl in ein Behandlungszimmer, wo er mich allein lässt. Gleich soll ein Arzt vorbeikommen und die Ergebnisse des Röntgens mit mir besprechen. Allein im Behandlungszimmer atme ich tief durch. Meine Augen brennen von dem grellen Neonlicht. Eine alte Erinnerung will sich Bahn brechen, aber ich stopfe sie ganz tief in eine Box. Tief durchatmen.

Ich ziehe mein Handy heraus – 12:45 Uhr – und zucke zusammen, als sich die Tür des Behandlungszimmers öffnet. Und ein Gott in Weiß betritt den Raum. 

Arzt, ich meine natürlich Arzt. 

Ich sauge scharf die Luft ein. Ich bin ja keine Expertin in Mythologie, aber dieser Mann hat sich den Spitznamen der Ärzte mehr als verdient. Er muss ihr verdammtes Oberhaupt sein.

Hätte ich nicht so starke Schmerzen, hätte ich bei seinem Anblick laut aufgelacht. Ich war immer noch in genau dem lächerlichen Aufzug unterwegs, in dem ich hier eingeliefert wurde, dreckverschmiert und Rindenmulch-Gestank inklusive, und werde nun von einem Mann behandelt, der der nichts geringeres ist als eine Erscheinung. 

Warmer, olivfarbener Teint, dunkelbraune Haare, deren Spitzen sich leicht locken, kastanienbraune Augen, die mich direkt anschauen. Er muss um die Mitte 30 sein. Die Tatsache, dass er selbst in diesem schrecklichen Kunstlicht, umwerfend aussieht, ist einfach nur unfair! Was ist das hier für ein Laden, an dem nur lächerlich attraktive Menschen zu arbeiten schienen? Ist das eine Einstellungsvoraussetzung?

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt