F ü n f

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Etwas streift meinen Ellbogen. Erschrocken fahre ich hoch – ich muss eingeschlafen sein – und blicke in ein Paar kastanienbrauner Augen. Verwirrt blinzele ich.

„Nicht erschrecken, Frau Ritter. Ich komme mit dem Aufklärungsbogen für Ihre Operation morgen."

Noch immer überrumpelt versuche ich meine Gedanken zu sortieren: Joggen. Unfall. Krankenhaus. Ach ja. Mein Fuß ist gebrochen. Morgen die Operation. Kastanienbraune Augen? Dr. Sebastián Vega. Ich fahre durch meine Locken, als ob ich dadurch irgendwas retten könnte.

Als ich sein leicht amüsiertes Lächeln bemerke, halte ich mitten in der Bewegung inne. Ich unterdrücke ein Hüsteln und richte mich so gut es geht im Bett auf. Tief durchatmen. Und bloß nicht rot anlaufen. 

„Sind Sie bereit?"

„Klar", gebe ich betont locker zurück, in dem Versuch zu überspielen, wie es in mir wirklich aussieht. 

Ich bemühe mich, ihn nicht wie eine Erscheinung anzuglotzen, während mich Dr. Vega detailliert über die Risiken der morgigen Operation aufklärt. Ein Wissen, auf das ich lieber verzichtet hätte. In der Theorie weiß ich zwar, dass das zum normalen Prozedere gehört. Und dass es nicht allzu wahrscheinlich ist, dass Nervenverletzungen, Arthrose oder Blutgerinnsel wirklich auftreten. Aber bei meinem Glück... Ich kann nicht dagegen tun, als sich mein Herzschlag beschleunigt. Der altbekannte Druck auf der Brust wird stärker. Es hilft auch nicht gerade, dass mich Dr. Vega mit seinen großen, kastanienbraunen Augen aufmerksam beobachtet, während er mit der Spitze seines Kugelschreibers die beängstigend klingenden Worte nachfährt und sein Bestes gibt, mir den Sinn dahinter zu erklären. 

Um mich von Begriffen wie „Durchblutungsstörungen", „Zehenverlust" oder „Knocheninfektion" abzulenken, konzentriere ich mich auf seine Atmung und halte den Blick auf das Klemmbrett, den Kugelschreiber in seiner Hand und, oh, seine Unterarme gerichtet. Was ist es nur mit männlichen Unterarmen? Ich merke, wie der Druck in meiner Brust sich langsam löst. Sport. Er macht definitiv Sport. Mein Blick wandert weiter, zu seinem Hals. Ich bewundere seinen warmen, olivfarbenen Teint, der so ganz anders ist als meine Blässe zu jeder Jahreszeit. Selbst mit LSF50 bekomme ich noch einen Sonnenbrand. Zwischen leichenblass und krebsrot gibt es bei mir nicht viele Farbnuancen. Ich löse meinen Blick von seinen Hals und bleibe bei seinen Augen hängen – die mich abwartend mustern. Überhaupt hat er aufgehört zu sprechen. Mist!  Und wie lange schon? In dem Versuch meine aufsteigende Panik niederzukämpfen, habe ich nicht mehr auf seine Ausführungen geachtet. Und auch nicht mitbekommen, dass ich wohl wieder an der Reihe bin, etwas zu sagen. Hat er mir eine Frage gestellt? Ich entscheide mich für die plausibelste Variante und nicke einmal kurz. 

Wenn er etwas von meinem Aussetzer mitbekommen hat, dann lässt er er sich immerhin nicht anmerken. War das ein Zucken um seine Mundwinkel? Ich schließe kurz die Augen und wünsche mir, der Erdboden möge sich auftun. Natürlich lässt er mich – mal wieder – im Stich.

Als ich meine Augen wieder öffne, mustern mich kastanienbraune Augen mit einer Mischung aus Besorgnis und – scheiße, war das Mitleid?

„Es ist völlig normal, nervös vor einer Operation zu sein, Frau Ritter. Aber ich kann Ihnen versichern, eine OP wie die Ihre ist reine Routine. Die meisten Risiken stehen hier nur pro forma, kommen äußerst selten vor."

„Schon gut, wird schon schief gehen", winke ich ab. Erst fast eine Panikattacke bekommen und dann einen auf cool tun? Ist klar. Wem will ich hier eigentlich etwas vormachen?

Ungeschickt greife ich nach dem Kugelschreiber, den Dr. Vega mir reicht, und setze schwungvoll meine Unterschrift auf den Papierbogen. Was habe ich schon groß für eine Wahl? 

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt