D r e i u n d z w a n z i g

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Was zum Teufel tue ich hier eigentlich?

Gebe ich mir ernsthaft die Kante? Wegen eines Kerls?

Ich starre in die klare Flüssigkeit in meinem Becher, als könnte sie mir Antworten geben. Spoiler: tut sie nicht. Aber die Kohlensäure prickelt angenehm auf der Zunge. Also, Prost.

Ich lehne an der Wand im Wohnzimmer, Erik steht dicht neben mir – für meinen Geschmack etwas zu nah, aber was soll's. Etwas Trost kann ich gerade gut gebrauchen. Ich nehme einen Schluck von meinem Gin Tonic.

Dumme Sau...

Elias' Worte schwirren mir immer noch im Kopf herum. Warum muss er auch so ein Mistkerl sein?

Erik schiebt sich ein Stück näher an mich heran. Ich widerstehe dem Drang, von ihm abzurücken. Stattdessen nehme ich einen weiteren Schluck.

Ist es wirklich Elias' Gemeinheit, die mir so zusetzt? Oder ist es vielleicht eher die Tatsache, dass ich ihm am Arsch vorbeigehe? Verärgert runzele ich die  Stirn. Lena, reiß dich zusammen. Und hör auf, so tiefsinnige Fragen zu stellen, wenn du Gin Tonic intus hast.

Ich hasse mich dafür, dass mich nicht einmal Elias' offensichtliche Abneigung davon abhalten kann, mir etwas vorzustellen, was niemals sein wird. So erbärmlich kann doch kein Mensch sein. Ich schließe die Augen.

„Alles okay bei dir?", höre ich Eriks Stimme.

„Klar, warum?"

„Deine Augen sind zu."

Ups. Ich öffne sie und blicke in Eriks, die mich intensiv mustern. „Dein Drink ist fast leer. Komm, ich hole dir einen neuen", sagt er entschlossen. Ich nicke dankbar. Das Zeug schmeckt verdammt gut.

Während er sich seinen Weg in Richtung Küche bahnt, lasse ich mich gegen die Wand sinken, beobachte die Menge. Da! Pascale und Lukas! Aber ehe ich sie auf mich aufmerksam machen kann, sind sie in der Menge verschwunden. Ach, was soll's. Ich nehme einen weiteren großen Schluck.

Da sehe ich ihn.

Elias.

Ich erstarre mitten in der Bewegung, schlucke schwer, lasse langsam meinen Becher sinken. Hat er mich entdeckt?

Ein Teil von mir will aufspringen und weglaufen, der andere – der dumme, betrunkenen Teil, der nicht mit dem Gehirn denkt – bleibt stur stehen, als er sich zielstrebig in meine Richtung bewegt. Er kommt näher. Ich versuche, das plötzliche Ziehen in meinem Bauch zu ignorieren.

Lässig lässt er sich neben mir an die Wand sinken, verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich aus dem Augenwinkel. Ich spüre, wie sich mein Herzschlag beschleunigt.

„Wo haste denn den Pitbull gelassen?", murmele ich, ohne ihn anzublicken, nehme stattdessen einen weiteren Schluck von meinem Gin Tonic.

Als er nicht sofort antwortete, riskiere ich einen Blick. Ein amüsiertes Funkeln ist in seine Augen getreten und – ist das Erleichterung? Das Ziehen in meinem Bauch wird stärker. Unwillkürlich heben sich meine Mundwinkel. Blöder Reflex, denke ich verärgert. Schnell korrigiere ich meinen Fehler und verscheuche das Lächeln aus meinem Gesicht.

„Maria?" Elias zieht eine Augenbraue hoch. „Die hat sich längst 'nen Neuen gesucht." Er zuckt mit den Schultern, als ob ihn das nichts weiter anginge. Als ob er nicht erst vor einer Stunde seine Hand unter ihren Rock geschoben hätte.

Ich schnaube. „Ach, schon auf der Flucht vor dir? Das ging ja schnell."

Er lacht leise. Bei dem Geräusch überläuft mich ein Schauer. Habe ich ihn gerade zum Lachen gebracht? Wow, eine Prämiere.

„Meinst du nicht, du hattest schon genug?" Mit einem vielsagenden Nicken deutet er auf den Becher in meiner Hand.

„Neee", sage ich und schwenke demonstrativ meinen Drink. „Außerdem geht dich das gar nix an."

Er hebt eine Augenbraue. „Du solltest wirklich besser auf dich aufpassen, Lena." Seine Augen finden meine, sodass ich in ernsthafte Gefahr laufe, im Blaugrau zu versinken. „So wie damals im Krankenhaus, als du hingefallen bist...", murmelt er, seine Stimme kaum mehr als ein leises Raunen. „... in deinem schwarzen Spitzenslip." 

„Sag mal, flirtest du etwa mit mir?!" Die Worte rutschen mir raus, bevor ich sie zurückhalten kann. Ups.

In gespieltem Erstaunen heben sich seine Augenbrauen. „Glaubst du wirklich, dass du in der Verfassung bist, das zu erkennen?"

„Ach, halt doch die Klappe." Ich stupse ihn mit meinem Becher an. „Du bist doch nur hier, um mich wieder zu demütigen." Ich merke selbst, wie verbittert ich klinge.

Sein Blick verdunkelt sich kurz, dann kehrt wieder dieses Funkeln in seine Augen zurück. Er lehnt sich näher an mich heran. „Oder... ich bin hier, weil du genau das willst." Seine Stimme ist tief, rau und – verdammt, warum muss er so sexy klingen?

Ich schnappe nach Luft und nehme schnell einen weiteren, tiefen Schluck. Mir wird heiß – und das zur Abwechslung mal nicht im Gesicht.

„Ich will gar nichts von dir du... du... Arsch!" Gott, wie kreativ.

Elias lacht, diesmal lauter. „Du bist wirklich süß, wenn du sauer bist."

Dann beugt er sich vor, sein Atem streift mein Ohr, und ich spüre, wie sich die Hitze weiter ausbreitet. „Weißt du, Lena", flüstert er, „du kannst weiter so tun, als würdest du mich hassen. Aber wir beide wissen, dass du das nicht tust."

Aus großen Augen starre ich ihn an, unfähig irgendetwas zu tun, außer in diese blaugrauen Augen zu schauen, in ihnen zu versinken.

Er steht dicht neben mir. Ich kann sein Parfüm riechen, seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren. Alles, was ich tun müsste, wäre den Kopf ein wenig zu drehen und ... 

Als hätte er meine Gedanken gelesen, beugt er sich langsam, ganz langsam zu mir herunter. Ich widerstehe dem Drang, mich vorzubeugen, die letzten Zentimeter zwischen uns zu schließen. Mich ihm hinzugeben. 

Und schließlich tue ich es doch.

Er ist roh, brutal. Seine Zunge dringt in meinen Mund, fordert, erforscht, nimmt sich, was sie will. Rücksichtslos. Ohne Skrupel.

Panisch stoße ich ihn von mir weg.

Seine Lippen verziehen sich zu einem höhnischen Grinsen. Entsetzt weiche ich einen Schritt vor ihm zurück. Ich berühre mit der Hand meine Lippen, als könnte ich seine Grobheit ungeschehen machen. Fassungslos starre ihn an.

„Hast du wirklich geglaubt, dass ich dich auch nur mit der Zange anfassen würde?" Seine Stimme trieft vor Spott.

Seine Worte geben mir den letzten Rest. Mein Kopf dreht sich. Alles dreht sich. 

Er hat er mir etwas genommen. Ein Stück meines Selbstwerts, der jetzt irgendwo auf dem Boden liegt, zerschmettert. Und das obwohl ich mir geschworen habe, einen Mann nie wieder auch nur in dessen Nähe kommen zu lassen.

Ich empfinde Abscheu vor mir selbst. Ich kann es nicht allein auf den Alkohol schieben. Wider besseres Wissen habe ich mich diesem Mistkerl hingegeben. Ich hätte es besser wissen müssen.

Es ist zu viel, viel zu viel.

Ich spüre, wie meine Augenwinkel brennen.

Nicht jetzt. Nicht hier.

Diese Genugtuung werde ich ihm nicht auch noch geben.

Ohne ihn noch einmal anzublicken, stolpere ich in die Menge. Weg. Weg von ihm.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt