S e b a s t i á n

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Ich starre noch lange auf die Tür, durch die sie gerade gegangen ist. Sie hat es auch gespürt, da bin ich mir sicher. Als ich ihre Hand gehalten habe – wie sie mich aus diesen großen, bernsteinfarbenen Augen angesehen hat. Diese elektrisierende Spannung zwischen uns...

Doch im Gegensatz zu mir war sie stark genug gewesen, den Blick zu lösen. Ein Seufzer entweicht mir, tief und erschöpft.

Sie ist deine Patientin. Reiß dich verdammt nochmal zusammen. 

In all den Jahren, die ich nun schon als Arzt praktiziere, habe ich immer penibel darauf geachtet, dass die Grenzen zwischen Arzt und Patientin niemals verschwimmen. Habe immer professionellen Abstand gewahrt. Und doch... Bei Lena scheint diese Linie zu verschwimmen. Sie bringt etwas in mir hervor, das ich nicht kontrollieren kann. Das ich vielleicht auch nicht will.

Ich schüttele den Kopf. Natürlich gab es niemanden, der mich an meinen Prinzipien hätte zweifeln lassen. Ich hatte ja Steffi.

Mein Kiefer spannt sich. Unwillkürlich presse ich die Zähne zusammen.

Jetzt nicht mehr.

Ein altbekannter Schmerz durchzuckt mich, wie immer, wenn ich an sie denke. Wie lange wird es dauern, bis der Schmerz endlich nachlässt? Bis ich nicht mehr diese Leere in mir spüre? Bis ich nicht mehr das Gefühl habe, dass ohne sie ein Teil von mir fehlt?

Dass ich ihr fast täglich im Krankenhaus über den Weg laufe, macht die Sache nicht gerade leichter. Wie sie sich erst gestern in der Cafeteria einfach neben mich gesetzt hat, als wäre nichts passiert. Als hätte sie mich nicht mit meinem eigenen Assistenzarzt betrogen. Und ich? Wie ein Idiot habe ich meinen Pieper gezückt, so getan, als ob ein Notfall hereingekommen wäre, nur um der Situation zu entfliehen. Feige, lächerlich. Aber ich bin einfach nicht bereit, so zu tun, als wäre alles okay.

Meine Hände arbeiten mechanisch weiter, während ich die Gipssäge säubere und die übrigen Utensilien in die für sie vorgesehenen Fächer sortiere. Die monotonen Abläufe haben eine beruhigende Wirkung. Gleichzeitig helfen sie mir, einen klaren Kopf zu bekommen. Und den brauche ich gerade dringend, denn Lena... sie bringt mich durcheinander.

Es ist viel zu früh, um überhaupt an eine andere Frau zu denken. Der Schmerz über Steffi sitzt noch tief, viel zu tief. Aber Lena – sie löst etwas in mir aus, das ich nicht ignorieren kann. Nicht ignorieren will.

Dabei ist sie so anders als Steffi. Ich schnaube. Das ist noch untertrieben – es ist, als würde man Feuer mit Wasser vergleichen. Steffi ist immer stark, selbstbewusst und sich ihrer Wirkung mehr als bewusst. Lena hingegen ist entwaffnend ehrlich. Ihre Gefühle spiegeln sich in jeder ihrer Bewegungen, jeder Geste. Sie ist tiefgründig – und so verletzlich, dass es mich tief trifft, wenn ich in ihre bernsteinfarbenen Augen sehe. Da ist dieser unbändige Drang in mir, sie zu beschützen, sie vor allem Unheil abzuschirmen. Etwas in mir will sie halten, stützen, ihr die Sicherheit geben, nach der sie sich vielleicht nicht einmal bewusst sehnt. Es ist ein Instinkt, der stärker ist, als ich es je erlebt habe.

Vielleicht liegt es an ihrem Alter. Wie ich aus ihrer Patientenakte weiß, ist sie sechs Jahre jünger als ich. Sechs Jahre! Ich suche doch eigentlich jemanden, mit dem ich mein Leben planen kann, oder? Hochzeit, Kinder... all diese Dinge, die ich mit Steffi wollte. Aber jetzt? Jetzt kann ich mir diese Zukunft mit niemandem mehr vorstellen.

Und doch, wenn ich Lena ansehe... da ist etwas, das mich tief berührt. Ein Gefühl, das schwer zu greifen, geschweige denn zu ignorieren ist. Ein sanftes Lachen schleicht sich auf meine Lippen, während ich den Kopf schüttele. Eine 25-Jährige? Was mache ich mir da eigentlich vor? Vielleicht bin ich verrückt.

Aber... wenn es sich richtig anfühlt, vielleicht ist sie auch das Risiko wert.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt