D r e i z e h n

679 20 2
                                    

Es klingelt. Ich klappe den Laptop zu und atme tief durch. Wird schon schiefgehen, sage ich mir, obwohl ich das Gefühl habe, dass es mehr als nur schiefgehen wird.

Ich humpele zur Sprechanlage. „Hallo?"

„Ich bin's", plärrt Nicoles Stimme durch den Lautsprecher. Ich verziehe gequält das Gesicht und betätige den Türöffner.

Es ist später Freitagnachmittag. Nicole hat mir vor einer halben Stunde geschrieben, dass ihr Bewerbungsgespräch vorbei ist und sie mich gleich abholen kommen würde. Ich werfe noch schnell meinen Laptop in die Reisetasche, die schon mit allem Möglichen vollgestopft ist: Kosmetiktasche, ein paar T-Shirts, Unterwäsche (diesmal nicht die gute) und meine neuen Schmerzmittel aus der Apotheke. Das Chaos darin passt zu meiner Stimmung.

Ich ergebe mich meinem Schicksal und humpele zur Wohnungstür.

„Hi." Nicole nickt mir zu, ein schmales Lächeln auf den Lippen. 

„Hi", erwidere ich angespannt. Wir umarmen uns nicht. Schon lange nicht mehr.

„Na, wie geht's deinem Fuß?" Sie deutet auf meinen Gips und versucht, locker zu klingen.

„Blendend." Ich ziehe eine Grimasse. „Brauche nur noch zwei Ibuprofen am Tag."

„Du weißt schon, dass das Zeug süchtig macht, oder? Mit Medikamentenabhängigkeit ist nicht zu spaßen, Lena." Und da ist sie wieder. Die vorwurfsvolle Nicole.

Ich verdrehe innerlich die Augen und nicke nur.

Stille.

Ihr Blick wandert prüfend durch den Raum. „Nett hast du's hier." Es klingt wie Kritik. „Zumindest gemütlicher als letztes Mal."

Obwohl ich schon fast ein Jahr hier wohne, war Nicole erst einmal zu Besuch. Was sie natürlich nicht davon abhält, über meinen Einrichtungsstil zu urteilen. Mir doch egal, was sie von meiner Wohnung hält.

„Wie waren dein Vorstellungsgespräch?", ignoriere ich ihren Kommentar. Eine leiste Hoffnung schwingt in meiner Stimme mit. Vielleicht bekommt sie den Job ja gar nicht. Vielleicht mache ich mir umsonst Ge–

„Die Pflegedirektorin war hin und weg von mir!" Während ich bei der Selbstzweifel-Lotterie den Jackpot geknackt habe, hat Nicole den Hauptgewinn von einem unerschütterlichen Ego abgestaubt. „Und das Krankenhaus erst – es ist alles so modern! Kein Vergleich zu dem in Friedberg", schwärmt sie weiter. So viel zu meiner Hoffnung.

Ich verabschiede mich im Stillen von meinem geliebten Apartment, dann machen wir uns an den Abstieg (hey, ich bin nur einmal fast gestolpert!). Unten angekommen lädt Nicole meine Reisetasche in den Kofferraum ihres babyblauen Fiat Panda. Ich werfe meine Krücken auf die Rückbank und sinke erschöpft auf den Beifahrersitz.

Die Autofahrt verläuft größtenteils schweigend. Nicole lässt ihre Hip-Hop-Playlist laufen. Ich kann mit Hip-Hop nichts anfangen. Nur bei den alten Klassikern wie Gangsta's Paradise oder Can't tell me nothing wippe ich mit meinem gesunden Fuß den Beat mit. Da klingelt mein Handy.

„Hey Pascale." Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Nicole argwöhnisch die Augenbrauen hebt. Ich ignoriere sie.

„Hey Girl!" Sie hält inne. „Seit wann hörst du Hip-Hop?„Und mir sagst du immer, wir können nicht auf den Hip-Hop-Floor, weil du das Zeug nicht ausstehen kannst. Naja, ich rufe auch eigentlich nur an, um dich etwas Wichtiges zu fragen: Weiß oder Rosé?"

Scheiße. Das Treffen mit Pascale habe ich total vergessen.

„Mist, Pascale, tut mir total leid, können wir das verschieben?" Ich beiße mir auf die Unterlippe.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt