Was für ein peinlicher Abgang war das denn? Wie ein hormongesteuerter Teenie bin ich aus dem Behandlungszimmer gestürzt. Habe ich mich überhaupt verabschiedet? Oder bedankt? Ich stöhne innerlich. Und wie Sebastián mich angesehen hat – als hätte ich den Verstand verloren. Womit er ja nicht ganz Unrecht hatte.
Unsicher stehe ich im Flur, meine Knie ganz weich von der letzten Stunde. Meine Gedanken schwirren um Sebastián, die Art, wie er mich berührt hatte, wie seine Hand kurz meine gehalten hatte – dieser Moment, der sich angefühlt hat, als stünde die Zeit still. Dann fällt mir plötzlich wieder ein, wo ich bin. Elias kann jeden Moment um die Ecke biegen. Die Vorstellung, ihm jetzt gegenüberzustehen, lässt meinen Magen absacken. Ich muss hier weg.
Schnell eile ich weiter, den Kopf gesenkt, steuere auf den Fahrstuhl zu. Ich will nur raus hier. Da kommt mir plötzlich ein verrückter Gedanke.
Dem Impuls nachgebend biege ich ab, gehe einen Flur entlang und nehme die nächste Abzweigung links. Eine leise Stimme in meinem Kopf flüstert, dass das hier eine Schnapsidee ist – aber jetzt gibt's kein Zurück mehr.
Ich atme ich tief durch und klopfe vorsichtig.
Ein genervtes „Was isch denn jetzet scho widder?!" dringt durch die Tür, und ich muss schmunzeln. Vorsichtig drücke ich die Klinke und trete ein.
Karl-Heinz liegt in seinem Bett, mürrisch wie eh und je. Sein weißes Haar steht in alle Richtungen ab, und sein grimmiger Blick bleibt unverändert, als er mich erkennt. Keine Spur von einem Lächeln, kein Anzeichen, dass er sich über meinen Besuch freut. Aber trotzdem, in diesem kurzen Moment, bevor er schnaubt, meine ich, ein Funkeln in seinen Augen zu sehen. Unwillkürlich wandert mein Blick zu der Stelle unter der Decke, die seltsam flach war, wo sie sich hätte wölben müssen. Es gab nur eine Wölbung auf der rechten Seite – nur ein Bein. Ich schlucke schwer.
„Hallo", sage ich unsicher. Plötzlich fühlt sich meine Idee, ihn mit meinem Besuch zu überraschen, wahnsinnig dämlich an. Erinnert er sich überhaupt an mich?
„Du", schnaubt er amüsiert. Das heißt dann wohl ja. „Was willsch du hier, Mädle?"
„Ich hatte heute einen Termin und dachte, ich sehe mal, wie es Ihnen geht", nuschele ich verlegen. Ich merke selbst, wie lahm das klingt. Wie soll es jemandem schon gehen, der gerade sein Bein verloren hat?
„Blendend, wie auch sonscht?" Ohne Vorwarnung schlägt er die Decke zurück und entblößt seinen verbundenen Beinstumpf. Mein Hals schnürt sich zu.
„Kriegsch di wieder ein, Mädle. Isch halb so schlimm. Aber wenn i bis nägscht Woch hier ned rauskemm, verklag i diesn Sauladn."
Ein bitteres Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. „Nur zu verständlich", murmele ich leise. Für einen Augenblick mustert mich Karl-Heinz mit einer Mischung aus Überraschung und Neugier.
„Die Leud hier san ned zu fassn. Sogar schlimmer als du warsch", fährt er ungerührt fort und nickt in Richtung der Frau im Bett nebenan. Eine Frau mit rundlichem Gesicht und kurzem weißen Haar liegt jetzt dort, wo ich vor sechs Wochen lag. Sie trägt Kopfhörer und hält den Blick fasziniert auf den kleinen Fernseher an der Zimmerdecke gerichtet. „Die schaut den ganzn Tag Seifenoperettn, und obendrein muss i ihr Gschwätz ertragen."
„Halber Drei", stöhnt Karl-Heinz. „Rote Rosen." Ich unterdrücke ein Lachen.
Und dann: „Brauchsch gar ned grinsen, Mädle. Mit dia hatt i's au ned leicht."
In diesem Moment kann ich nicht anders – das Lachen bricht aus mir heraus, und ich fühle mich gleich viel leichter. Wir plaudern noch eine ganze Weile. Trotz der Tatsache, dass er ein griesgrämiger, vulgärer alter Kauz ist, der an allem und jedem etwas auszusetzen hat, erweist sich das Gespräch als überraschend angenehm.
„Hasch di jetztet eigntlich vom junga Herrn Doktor vögeln lassen?" fragt Karl-Heinz unvermittelt.
Ich japse empört nach Luft und schiele zu der Frau nebenan. Zum Glück ist sie zu sehr in das ARD-Nachmittagsprogramm vertieft, um etwas mitzubekommen.
„Also ned", stellte Karl-Heinz kopfschüttelnd fest. „Immer no a Stock im Arsch."
Habe ich wirklich gesagt, dass das Gespräch angenehm ist? Ich schaube und ignoriere seinen Kommentar. Es wird Zeit, mich zu verabschieden. Ich räuspere mich. „Ich muss dann mal. Ich wünsche Ihnen eine alles Gute", sage ich und meine es so.
„Ned so förmlich, Mädle. I bin der Karl-Heinz. Sonst fühl i mi no älter, als i scho bin."
„Lena", erwidere ich lächelnd.
„Weiß i doch, Mädle, weiß i doch."
Ich verlasse sein Zimmer, nicht ohne ihm vorher zu versprechen, wiederzukommen, mein Herz ein wenig leichter als zuvor.
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Between Heartbeats
Romance***Band 1 abgeschlossen*** Lena dachte, mit 25 hätte sie ihr Leben im Griff - falsch gedacht. Ein Jogging-Unfall bringt sie nicht nur ins Krankenhaus, sondern mitten in eine Achterbahn der Gefühle. Elias, der arrogante, aber faszinierende Assistenza...