A c h t z e h n

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Ich bleibe vor dem Marienhospital stehen. Mir zusammengekniffenen Augen mustere ich meinen Erzfeind. Das Ding ist riesig. Warum ist mir das nicht früher aufgefallen? Und für ein Krankenhaus eigentlich ziemlich schick mit seiner Glasfassade und der modernen Eingangshalle. Ich hätte fast Bewunderung empfunden – hätte ich nicht so eine panische Angst vor Krankenhäusern... Und wäre da nicht das Personal... zu dem bald auch meine Schwester gehört. Ich seufze leise.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ich hier ausgerechnet Sebastián – oder Elias – oder Steffi – oder Karl-Heinz (Verdammt, die Liste ist lang), über den Weg laufe, ist doch minimal. Und nur weil mir beim letzten Mal ein winziges Missgeschick unterlaufen ist, heißt das noch lange nicht, dass es wieder passiert. Wen versuche ich eigentlich zu überzeugen? Wo andere in ein Fettnäpfchen treten, veranstalte ich darin eine Poolparty.

Ich akzeptiere mein Schicksal, atme tief durch und humpele nach drinnen.

Wohin muss ich noch gleich? Leicht desorientiert scanne ich die Schilder. Orthopädie und Unfallchirurgie, 3. OG. Das klingt richtig. Ich folge dem Wegweiser. Als ich im dritten Stock ankomme (der Flur kommt mir schon mal bekannt vor), sage ich dem Mann am Schalter Bescheid und setze mich eine Tür weiter ins Wartezimmer. Erleichtert atme ich auf. Hier bin ich abgeschirmt von neugierigen Blicken. Trotzdem ertappe ich mich dabei, wie mich ständig umschaue.

Nach 20 Minuten kommt eine Krankenschwester herein. Meine Lippen formen ein breites Lächeln. Es ist Theresa.

„Magdalena Ritter?" Sie sieht auf ihr Klemmbrett. Erkennt sie mich?

Da fällt mir wieder ein, dass ich bei unserer letzten Begegnung wegen der anstehenden OP ziemlich unfreundlich war. Mein Fehler.

„Ja", sage ich zögerlich und rappele mich auf. „Einmal hier entlang, bitte." Ihre Miene bleibt verschlossen.

Entweder sie erkennt mich nicht oder ich hab's wirklich vergeigt.

Theresa führt mich zu einer dunkelblauen Tür und wartet, bis ich zuerst eintrete. Drinnen steht ein Arzt im weißen Kittel. Mein Herz setzt eine Sekunde aus – ich kenne ihn nicht. Groß, graumelierte Schläfen, ein kleiner Bauchansatz. Kein Sebastián.

„Dr. Huber", stellt er sich vor. Ich atme auf. Nicht auszudenken, wenn es Sebastián gewesen wäre, der mich behandelt hätte... Ja, du bist wirklich sehr erleichtert.

„Wie ich sehe, sind Sie zur Nachkontrolle da", beginnt Dr. Huber ohne Umschweife, während er meine Krankenakte überfliegt. „Ah, eine Luxaktionsfraktur des Mittelfußes. Na, dann sehen wir uns das mal an."

Er begutachtet meinen Gips, fragt, ob ich Beschwerden hatte. Ich schüttele den Kopf. Dann schickt er mich zum Röntgen. Dort begrüßt mich ein alter Bekannter (nein, Dieter, ich bin immer noch nicht schwanger) und positioniert meinen Fuß für das Röntgengerät.

Auf dem Rückweg ins Behandlungszimmer schiebt Theresa meine Rollstuhl, auf den ich verfrachtet wurde. Als ob ich im Alltag nicht auch mit den Krücken klarkommen muss... Da blitzt eine verschwommene Erinnerung vom Tag meiner Operation auf.

„Vor drei Wochen war ich schon mal hier", sage ich vorsichtig, um die unangenehme Stille zwischen uns zu durchbrechen. 

„Ich weiß", antwortet sie. „Sie waren die Journalistin mit dem ungehobelten Zimmernachbarn."

Ich muss lachen. „Jep, das war ich. Ist Karl-Heinz immer noch hier?"

„Leider ja." Sie klingt bedrückt. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, aber ich spüre die Schwere in ihren Worten.

„Dann hat er wohl nicht mit dem Rauchen aufgehört?" Ich zögere. „Und sein Bein...?"

Wir mochten uns nicht besonders, Karl-Heinz und ich. Aber der Gedanke, dass er wenige Türen entfernt mit nur einem Bein liegen könnte, lässt mich frösteln. Theresa antwortet nicht. Ihr Schweigen ist Antwort genug.

„Oh."

„Selbst die beste Medizin kann nichts ausrichten, wenn die Patienten sich nicht helfen lassen wollen", sagt sie leise.

Bevor ich etwas erwidern kann, lenkt ein bekanntes Gesicht meine Aufmerksamkeit auf sich.

Scheiße. Steffi.

Sebastiáns Verlobte.

Oder Ex-Verlobte?

Panisch scanne ich den Flur, aber es gibt keinen Fluchtweg. Weiß sie, wer ich bin? Oder besser gesagt: Was ich Sebastián aus Versehen verraten habe? Vielleicht ist die Verlobung aber auch gar nicht geplatzt? Vielleicht hat Sebastián ihr verziehen? Und ganz vielleicht, Lena, ist das nicht deine Angelegenheit.

Ob absichtlich oder nicht, ich habe mich definitiv genug eingemischt.

Steffi marschiert direkt auf uns zu. Mein Puls rast. Schnell senke ich den Blick und betrachte interessiert meinen weißen Sneaker und den eierschalenfarbenen Gips.

Sie ist schon fast an uns vorbei, als sie plötzlich stehen bleibt. Mein Herz setzt aus.

„Frau Lohmeier, haben Sie die Werte von der Zwei?", fragt Steffi kühl, fast gelangweilt. Theresa versteift sich hinter mir. „Ich bringe sie Ihnen gleich, Dr. Jahn."

Unter gesenkten Wimpern schiele ich zu Dr. Jahn hoch. Sie nickt Theresa streng zu, will gerade ihren Weg fortsetzen – da streift mich ihr Blick, bleibt für einen Herzschlag an mir hängen. Sie runzelt leicht die Stirn, als überlege sie, woher sie mich kennt. Ich halte den Atem an. Aber dann geht sie weiter.

Erleichtert atme ich auf, und auch Theresa scheint sich zu entspannen.

Zurück im Behandlungszimmer lässt man mich allein warten, bis die Röntgenbilder bereitstehen. Dr. Huber verkündet, dass meine Genesung gut verläuft. In zwei Wochen kommen die Drähte raus. Ich verabschiede mich von Theresa, die mir schon etwas freundlicher zum Abschied winkt, und humpele zum Aufzug.

Während ich warte, überlege ich, ob ich Karl-Heinz besuchen sollte – verwerfe den Gedanken aber wieder. Wahrscheinlich ist ein Überraschungsbesuch von mir das Letzte, was er gebrauchen kann. Trotzdem ... wenn er sein Bein wirklich verloren hat, muss er eine schwere Zeit durchmachen. In Gedanken schicke ich ihm einen stillen Genesungswunsch.

Als ich endlich auf dem Parkplatz stehe, fühle ich mich 10 Kilo leichter.  Ich bin heilfroh, dass mein Fuß so weit in Ordnung ist. Und erleichtert, dass ich weder auf Elias noch auf Sebastián getroffen bin – und doch ... auch ein bisschen enttäuscht.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt