Kritisch betrachte ich mein Spiegelbild: Der schwarze Rock schmiegt sich eng um meine Taille, das gefällt mir. Deutlich weniger gefällt mir, dass der dunkle Rollkragenpullover meine Haut noch blasser wirken lässt, als sie ohnehin schon ist. Seufzend fahre ich mir durch meine braunen Locken, die ich zu einer halbwegs akzeptablen Frisur gebändigt habe, und ignoriere das nervöse Ziehen in meiner Magengrube. Ich kann es immer noch nicht fassen: Ich gehe heute wirklich mit Sebastián aus!
Noch etwas Wimperntusche, ein Spritzer Parfüm, ein letzter skeptischer Blick auf mein Spiegelbild. Ich setze mich aufs Sofa, schlüpfe in meine schwarzen Stiefeletten und versuche, mich auf die Folge Friends im Hintergrund zu konzentrieren – vergeblich. Kein Grund nervös zu sein, Lena. Sebastián ist nur der attraktivste Typ, den du je gedatet hast. Falls er es sich nicht doch anders überlegt und mich sitzen lässt...
Da klingelt es.
Ich zucke zusammen und stürze zur Gegensprechanlage: „Hi! Ich... äh, ich komme gleich runter!"
Ich schnappe mir meinen dünnen Wollmantel und haste die Treppe hinunter – so schnell, dass ich die letzte Stufe übersehe.
Mit einem erschrockenen Keuchen stolpere ich, sehe mich schon kopfüber auf dem Steinboden aufschlagen, da spüre ich einen sanften Ruck und warme Hände, die mich sicher umfangen. Als ich aufblicke, bleibt mir für einen Moment die Luft weg.
In seinem dunkelblauen Wollpullover, die dunklen Locken leicht zerzaust, sieht Sebastián noch besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. In seinen kastanienbraunen Augen blitzt Besorgnis auf, während er mich eindringlich mustert, als wolle er sicherstellen, dass ich mir nicht schon wieder irgendetwas gebrochen habe. Ich schlucke schwer.
„Hey," sagt er leise, seine Stimme tief und rau. Als wäre ihm eingefallen, dass er mich noch immer in seinen Armen hält, lässt er schnell die Hände sinken und tritt einen Schritt zurück. „Wow, du siehst... wunderschön aus."
„Danke," murmele ich verlegen und spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt. Es ist, als ob wir beide kurz den Atem anhalten.
Schließlich räuspert er sich, schiebt verlegen die Hände in die Jackentaschen und lächelt. „Komm, lass uns gehen."
„Du hast mir noch gar nicht verraten, wo es hingeht", sage ich und stupse ihn leicht an, als wir die Straßenbahnhaltestelle passieren und weiter in Richtung Isar schlendern.
„Geduld, Frau Ritter." Er zwinkert mir zu.
„Sind wir jetzt wieder beim Sie angelangt?" Ich seufze in gespielter Frustration.
Ein Lächeln umspielt seine Lippen, und in seinen Augen flackert etwas Unergründliches auf. „Es war schwerer als du denkst. Professionelle Distanz zu bewahren, immer wenn du zur Untersuchung kamst." Sein Ton wird leiser, und mir läuft ein warmer Schauer über den Rücken. „Ich bin froh, dass das jetzt vorbei ist."
„Ich auch", sage ich sanft.
Nach ein paar Minuten erreichen wir ein kleines Restaurant – San Carlo. Warmes Licht strahlt aus den Fenstern und der Duft von frisch gebackener Pizza vermischt sich mit der kalten Nachtluft.
„Ich hoffe, du magst Italienisch", sagt Sebastián lächelnd, als er mir die Tür aufhält.
„Sehr sogar!" Mit einem Grinsen trete ich ein.
Das Innere des Restaurants ist klein und charmant. Es gibt nur wenige Tische mit rot-weiß-karierten Tischdecken, und in der Mitte steht ein alter Pizzaofen, der einen wunderbaren Duft verströmt. Ein Mann mit Schürze und weißem Haar kommt lächelnd auf uns zu: „Sebastián! Ciao, bello – und bella! Wer ist denn deine hübsche Begleitung?"
„Carlo, das ist Lena", stellt mich Sebastián vor. Die Art, wie er meinen Namen sagt, bringt mein Herz zum Stolpern.
Carlo führt uns zu einem kleinen Tisch in der Ecke und zündet eine Kerze an, deren Flamme sanft über Sebastiáns Gesicht tanzt. Wir bestellen Pizza und Wein, und das Gespräch fließt mühelos – mal leicht und humorvoll, mal tief und ehrlich.
Sebastián hebt sein Weinglas und hält meinen Blick fest. „Weißt du, ich habe lange gezögert, dich überhaupt nach einem Date zu fragen," sagt er schließlich leise.
„Warum?" Ich lege den Kopf leicht schief und lächele neugierig.
„Am Anfang... da hatte ich das Gefühl, als würde ich mit dir eine Grenze überschreiten." Er lächelt leicht, sein Blick wird sanft. „Aber je mehr Zeit verging, desto mehr ist diese Grenze verschwommen. Irgendwann hab ich sogar vergessen, warum sie überhaupt noch da ist. Ergibt das Sinn?", fragt er leise, und für einen Moment wirkt er unsicher, fast verletzlich.
Ich nicke langsam. Sein Geständnis bringt mich zum Lächeln, und ich spüre, wie meine Wangen warm werden.
„Aber du musst doch gemerkt haben, dass ich dich gut finde. Mein verlegenes Gestammel, jedes Mal, wenn ich rot anlief... ich war nicht gerade subtil."
Er lacht leise, doch es klingt auch ein wenig angespannt. „Vielleicht habe ich es gemerkt. Aber ich musste vorsichtig sein – du weißt schon, Arzt und Patientin und so."
Ein Ziehen in meiner Magengrube. Ist das wirklich alles? Oder steckt mehr dahinter? Das Bild von Steffi, zusammen mit Elias, flackert vor meinem inneren Auge auf. Ich kann es ihm wohl kaum zum Vorwurf machen, wenn seine Ex-Verlobte immer noch einen Schatten auf seine Gefühle wirft. Es ist erst Monate her... Wie lange dauert es, über die Liebe seines Lebens hinwegzukommen? Der Gedanke ist schmerzhaft, und ich verbanne ihn schnell in eine dunkle Ecke.
Stattdessen funkele ihn herausfordernd an und nippe an meinem Wein. „Jetzt bist du also frei, mich anzustarren, ohne deine Professionalität zu riskieren."
Er beugt sich ein Stück vor, seine Augen blitzen amüsiert. „In der Hinsicht bin ich völlig frei."
Sebastiáns Hand ruht nah an meiner. Schließlich lässt er seine Finger über meinen Handrücken gleiten. Mein Herz klopf schneller, als er kurz innehält und meinen Blick sucht.
„Lena..." Sein Blick wird weich, und ich erkenne darin die gleiche zarte Unsicherheit, die ich empfinde. „Ich... bin wirklich froh, dass du hier bist."
„Ich auch", antworte ich leise, und ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln. Mein Herz zieht sich zusammen. Ich will ihn festhalten, diesen Moment. Doch da ist auch etwas anderes... ein flüchtiges, kaum greifbares Gefühl. Zweifel? Sehnsucht? Bedauern? Es ist doch alles perfekt... vielleicht zu perfekt?
Ich verdränge den Gedanken, als seine Finger sich fester um meine Hand schließen, warm und tröstlich. Für diesen Augenblick will ich nichts anderes als genau hier sein, bei ihm – alles andere kann warten.
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Between Heartbeats
Romance***Band 1 abgeschlossen*** Lena dachte, mit 25 hätte sie ihr Leben im Griff - falsch gedacht. Ein Jogging-Unfall bringt sie nicht nur ins Krankenhaus, sondern mitten in eine Achterbahn der Gefühle. Elias, der arrogante, aber faszinierende Assistenza...