E l i a s

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Die Tür schlägt zu, und das Geräusch hallt nach. Dumpf. Endgültig. Ich stehe reglos da. Mein Blick bleibt auf die weiße Holztür gerichtet, die Lena von mir trennt. Dahinter höre ich nichts. Keine Schritte, keinen Atemzug. Nur Stille.

Die Stille ist unerträglich.

Meine Lippen verziehen sich zu einem zynischen Lächeln. Ich war schon immer ein Experte darin, mich selbst zu sabotieren – und die Menschen, die mir am Herzen liegen, zu verletzen.

Nur dass ich diesmal nichts davon wusste. Erst, als es zu spät war. 

Ich atme schwer aus, schließe die Augen und lehne mich gegen die Wand neben der Tür. Vor ein paar Monaten – es hätte genauso gut in einem anderen Leben sein können – war die Nacht, die alles kaputt gemacht hat.

Diese braunen Rehaugen... sie haben mich schon damals verfolgt. Mein schlechtes Gewissen wegen meiner Aktion auf der WG-Party wurde immer lauter. Also habe ich Ablenkung gesucht, Ablenkung gebraucht.

Der Club war laut, überfüllt, stickig. Ich wusste nicht, wer sie war. Sie hat mich angesprochen, wir haben geflirtet, sie war sehr direkt. Ein paar Stunden später landeten wir im Bett. Es war bedeutungslos. Ich habe nicht darüber nachgedacht, wer sie war – bis sie es hinterher gesagt hat. Dass wir uns kennen. Von der WG-Party. 

Da hat es Klick gemacht. Ich konnte den Beer-Pong-Tisch sehen, Lena daneben, ein konzentrierter Ausdruck auf ihrem Gesicht, während sie den Becher anvisierte. Pascale war dort. Natürlich war sie dort.

Vielleicht hatte sie es damals schon geplant. Vielleicht war ich nur eine Schachfigur in ihrem Spiel. Aber das ist keine Entschuldigung.

Es war dumm, impulsiv – typisch für mich. 

Hinterher habe ich Pascales Nachrichten ignoriert, versucht, die Sache abzuschließen, als könnte ich einfach einen Strich daruntersetzen. Ich bin nicht stolz darauf, aber es war mir nicht wichtig genug. Alles, was zählte, war Lena. Auch wenn ich wusste – tief im Inneren wusste, dass unser Glück nur flüchtig ist. Dass es geliehene Zeit war. Bis Pascale die Bombe platzen lässt. Und ich war zu feige, um selbst reinen Tisch zu machen und Lena alles zu erzählen. Weil ich einmal nicht die Person sein wollte, die alles zerstört...

Ich wusste, ich hätte mich für Sebastián entscheiden sollen.

Der Gedanke, dass sie zurück in seine Arme rennen könnte und er nichts lieber tun würde, als sie aufzufangen, ihr die Sicherheit zu geben, die sie bei mir nicht gefunden hat... Es schnürt mir die Kehle zu. Sebastián war immer die sichere Wahl. Der Typ, der alles richtig macht, der ihr eine Zukunft bieten kann, ohne dass sie ständig Angst haben muss, dass alles auseinanderbricht.

Ich presse meine Hände gegen meine Schläfen, als könnte ich die Erinnerung daran ausradieren, wie Lena mich angesehen hat. Ihre Augen. Ich habe gesehen, wie etwas in ihr gebrochen ist. Und das... das ist etwas, das ich mir nie verzeihen werde.

Lena.

Der Gedanke an sie ist wie ein Stachel, der sich tiefer in mein Bewusstsein bohrt, je mehr ich versuche, ihn zu ignorieren. 

Lena, die...

Mein Atem stockt, als sich ein Gedanke formt. Er schiebt sich in den Vordergrund, verdrängt alles andere, und in diesem Moment sehe ich klar. Schmerzhaft klar.

Lena ist nicht nur jemand, der mir wichtig ist. Sie ist... sie ist die eine Person, in die ich mich verliebt habe.

Die Wahrheit schwappt über mich wie eiskaltes Wasser, raubt mir die Luft zum Atmen. 

Ich habe mich in sie verliebt.

Das Gefühl ist schon länger da, versteckt hinter Sorge. Vertrautheit. Begehren.

Und ich bin ein verdammter Idiot, dass ich so lange gebraucht habe, es mir einzugestehen.

Ich ziehe scharf die Luft ein. Mein Herz hämmert gegen meine Rippen, wütend, panisch. Ich habe mich in Lena verliebt.

Und ich habe sie verloren.

Diese Erkenntnis zwingt mich fast in die Knie.

Ich sollte gehen. Doch ich kann nicht.

Denn so verrückt das auch klingt – ich glaube immer noch daran. An uns. An Lena und Elias. Ich weiß nicht, wie ich es ihr beweisen soll, wie ich jemals diesen Bruch heilen soll, aber ich muss. Ich muss.

„Elias?" Pascales Stimme dringt aus dem Treppenhaus zu mir, kommt näher. Ich merke, wie sich meine Schultern anspannen.

Sie kommt vor mir zum Stehen, seufzt leise. „Ich hab's wirklich vermasselt, was?" Doch es klingt nicht so, als ob es ihr leidtut. Nicht wirklich.

Ich antworte nicht. Mein Blick bleibt stur auf die Tür vor mir gerichtet. Lena ist dahinter – sie ist der einzige Mensch, der zählt.

„Elias, hör zu. Du weißt doch genau, dass ich nicht –"

„Pascale." Meine Stimme ist schneidend. Ich sehe sie direkt an. „Es ist mir egal, was du zu sagen hast. Du hast genug angerichtet."

Sie zieht die Augenbrauen hoch, dann verziehen sich ihre Lippen zu einem dünnen Strich. „Okay, ich bin weg. Aber..." Ihr Blick gleitet zur Tür, und sie lacht leise. „Du weißt, dass sie dir das nie verzeihen wird, oder? Sie wird dich ansehen und jedes Mal daran denken, was du getan hast – was wir getan haben."

Ihre Worte treffen mich tief. Doch ich lasse mir nichts anmerken, starre sie nur weiter an, bis sie auf dem Absatz kehrt macht und verschwindet.

Als ihre Schritte verhallen, schließe kurz die Augen, atme tief durch. Dann trete ich einen Schritt zurück. Es fühlt sich an wie ein Abschied. Auch wie ein Versprechen.

Denn ich weiß eins mit absoluter Klarheit: Lena ist es wert, für sie zu kämpfen. Ich muss ihr zeigen, dass ich es ernst meine, dass das, was wir haben – oder hatten – echt war. Dass ich es nie wieder vermasseln werde, wenn sie mir nur die Chance dazu gibt.

Eine zweite Chance. Ich weiß, dass ich vielleicht keine verdiene. Aber... ich werde alles tun, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Auch wenn am Ende ich derjenige bin, der mit einem gebrochenen Herz dasteht.

Für Lena... für Lena nehme ich das Risiko in Kauf.

Ich erreiche die Haustür und bleibe kurz stehen.

Ich werde alles tun.

Für sie. Für uns.

Und mit diesem Gedanken trete ich in die eisige Nacht hinaus.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt