S e c h s u n d v i e r z i g

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Der Duft von geschmolzenem Käse, Limette und gebratenen Zwiebeln schlägt mir entgegen, als ich die Tür zum „Condesa" aufdrücke. Unser Stamm-Mexikaner – immer ein bisschen zu laut, immer ein bisschen zu klebrig, aber genau deswegen so gemütlich. Pascale sitzt schon am Fenster, wo die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos ihr Gesicht in wechselndes Licht tauchen.

„Entschuldigung, kennen wir uns?" Pascale zieht eine Augenbraue hoch und nippt an ihrem Cosmopolitan. „Du kommst mir irgendwie bekannt vor. Irgendjemand, den ich früher mal kannte."

Ich hebe abwehrend die Hände. „Wir haben uns zwei Wochen nicht gesehen – maximal drei!" Ich lasse mich auf die Bank gegenüber von ihr plumpsen. „Tut mir leid, kommt nicht wieder vor."

„Hier, mein Friedensangebot." Sie grinst und schiebt mir einen Gin Tonic zu. Bei dem Anblick krampft sich mein Magen zusammen. Ich zwinge mich, die aufsteigende Übelkeit zu ignorieren, und verziehe meine Lippen zu einem Lächeln. Es fühlt sich verkrampft an.

„Wie geht's dir? Und wie läuft's mit Tom?" Ich bemühe mich, locker zu klingen. Pascale hat Recht – ich habe unsere Freundschaft in letzter Zeit tatsächlich vernachlässigt. Aber in meinem Leben ist gerade so viel Chaos, dass ich kaum weiß, wo mir der Kopf steht.

Pascale zuckt mit den Schultern und nippt an ihrem Cosmopolitan. „Ganz gut. Und das mit Tom ist seit ein paar Wochen Geschichte."

„Oh... wirklich?"

Sie rollt mit den Augen. „Schau mich nicht so an. Diesmal ist es endgültig aus. Wirklich."

„Das tut mir leid. Wie geht es dir damit?"

„Blendend." Pascale verzieht das Gesicht und schwenkt die Flüssigkeit in ihrem Glas. „Aber lass uns nicht über ihn reden. Erzähl mir lieber, wie es mit Sebastián läuft." Sie überlegt kurz. „So hieß er doch, dein Chirurg? Wie war das Date?"

„Äh ... ja, das war ... schön." Hitze steigt mir ins Gesicht.

Pascale wirft mir einen zweifelnden Blick zu. „Warum siehst du dabei aus, als ob du gerade schlimme Zahnschmerzen hättest?"

Ich lache nervös. „Naja, ich ... äh ... hab's beendet." Ich spiele an meiner Serviette herum und versuche, die Welle an Schuldgefühlen zu unterdrücken, die immer dann hochkommt, wenn ich an Sebastián denke. An unser letztes Gespräch im Park.

„Lena Ritter, Dauer-Single seit einem Jahr, datet endlich mal jemanden, der ihren absurden Ansprüchen genügt – und dann das?" Pascale stöhnt theatralisch. „Woran hat's denn diesmal gelegen?"

„Erstens: Meine Ansprüche sind nicht absurd", sage ich und strecke ihr die Zunge raus. „Und zweitens ... Sebastián hat nichts falsch gemacht." Ich seufze. „Es war wegen Elias."

Pascale hält inne, ihre Augen werden schmal. „Elias? Der Typ, der dich gerettet hat? Der noch bei seiner Großmutter wohnt?"

„Genau der." Ich zögere kurz. „Du hast ihn sogar schon mal getroffen. Auf Lukas' WG-Party." Sie sieht mich abwartend an. „Der 'heiße' Kumpel von Lukas. Weißt du noch?" So hatte ihn Pascale genannt.

Sie blinzelt. Überraschung flackert über ihre feinen Gesichtszüge. Ich kann es ihr nicht einmal verübeln. Ich wäre auch überrascht, wenn mir jemanden erzählen würde, dass Elias ausgerechnet Interesse an mir hat. Bei dem Gedanken breitet sich ein warmes Prickeln in meiner Magengrube aus.

„Aber das war nicht unsere erste Begegnung", fahre ich mit einem schiefen Lächeln fort.

Also erzähle ich es ihr. Wie ich Elias nach meinem Jogging-Unfall kennengelernt habe. Wie wir uns von der ersten Minute an nicht ausstehen konnten. Wie sich diese Abneigung noch verstärkt hat, als er mich auf der WG-Party erst küsste – und mich dann so fies bloßstellte. Wie er mich gerettet hat (diesen Teil kannte Pascale schon). Wie aus Zankereien langsam echte Gespräche wurden, sich die Spannung zwischen uns immer mehr verdichtet hat – bis unser erstes Date alles verändert hat.

Pascale stützt das Kinn auf die Hand und hört mir aufmerksam zu.

„Hmm... klingt ja nicht gerade wie ein Märchenprinz", sagt sie schließlich, als ich mit meinen Ausführungen am Ende bin. „Weiß der Typ überhaupt, was er will?"

Ich zucke zusammen. Das ist die Frage aller Fragen. Vielleicht ist es ein Zugeständnis, dass ich ihm diesen Vertrauensvorschuss gewähre... Trotzdem – ich habe ein gutes Gefühl bei Elias. Meistens jedenfalls.

„Ich hoffe es", sage ich leise. „Aber es fühlt sich... anders an als mit Sebastián. Irgendwie richtig."

„Richtig?" Pascale hebt eine skeptische Augenbraue. „Und das weißt du nach nur einem Date? Ich hab Tom monatelang gedatet und wusste bis zum Schluss nicht, ob es richtig ist."

Ich schlucke schwer. „Was willst du damit sagen?"

„Nichts", sagt sie schnell. „Nur... pass auf dich auf, okay?"

„Tue ich doch immer." Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.

Stille breitet sich zwischen uns aus, die nur vom Klappern des Bestecks an den anderen Tischen durchbrochen wird. Da tritt der Kellner an unseren Tisch, um unsere Bestellung aufzunehmen.

„Einen alkoholfreien Strawberry Margarita, bitte", sage ich schnell. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Pascale die Augen verdreht.

„Ich habe Ibu genommen, wegen Kopfschmerzen", murmele ich und hoffe, dass das Thema damit erledigt ist. Pascale erklären zu müssen, warum ich keine Getränke mehr trinken kann, deren Zubereitung ich nicht überblicken kann... Ich vertreibe den Gedanken. Nicht heute.

„Ich muss dir noch etwas erzählen", wechsele ich schnell das Thema. Ich rutsche auf der Holzbank nach vorn, spiele mit dem Glas Salsa auf dem Tisch. „Kessler hat Anzeige wegen Verleumdung gegen mich erstattet."

Pascale blinzelt, ihre Augen plötzlich wachsam. „Du machst Witze."

„Leider nicht", erwidere ich ruhig und versuche die aufsteigende Panik zu ignorieren. „Sein Anwalt behauptet, ich hätte Kessler in der Öffentlichkeit diffamiert. Dabei habe ich nur die Wahrheit geschrieben."

„Hmm." Pascale legt den Kopf schief, nimmt einen Schluck von ihrem Cosmo und stellt das Glas wieder ab. „Es ist halt heikel, sowas öffentlich zu machen. Hast du nicht vorher überlegt, ob das Konsequenzen haben könnte?"

Ich starre sie an. „Das meinst du nicht ernst, oder? Soll ich einfach schweigen, damit Typen wie Kessler weiter machen können, was sie wollen?"

„Nein, natürlich nicht", sagt sie schnell. „Ich meine nur... du bist noch neu im Job. Vielleicht wäre es besser gewesen, erstmal unter dem Radar zu fliegen, keine Fehler zu machen."

„Fehler?", wiederhole ich tonlos. 

„Ich hab nicht gesagt, dass du die Böse bist, Lena", entgegnet sie ruhig. Warum hört es sich dann verdammt nochmal nach einem Vorwurf an? Und warum unterstützt mich meine beste Freundin nicht?

Meine Finger krallen sich um die Kante der Bank. Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken. „Ach, vergiss es", murmele ich schließlich und starre auf den unangetasteten Gin Tonic vor mir.

Pascale sagt nichts. Stattdessen nippt sie an ihrem Drink und schaut aus dem Fenster. Da kehrt der Kellner an unseren Tisch zurück und stellt meinen Strawberry Margarita vor mir ab.

„Danke", erwidere ich leise und nehme einen winzigen Schluck, doch der süße Geschmack ist alles andere als tröstlich.


Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt