S e b a s t i á n

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Raus. Ich muss hier raus. Ohne einen letzten Blick auf sie zu werfen, stürme ich aus dem Raum. Auf dem Flur treffe ich Schwester Johanna, sage ihr, sie solle die Überwachung von Lena übernehmen. Blind stürme ich weiter. Weiter. Immer weiter. Ins Badezimmer. Kaltes Wasser spritzt mir ins Gesicht. Ich raufe mir durchs Haar. Starre mein Spiegelbild an. Ein Fremder starrt zurück. Meine dunklen Haare stehen wirr in alle Richtungen ab. Trotz meines dunklen Teints ist mir alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Ein wilder Ausdruck in den Augen.

Es ist nicht wahr.

Es kann nicht wahr sein.

Steffi ist die Person, die ich schon ewig kenne. Die mich besser kennt als jeder andere. Seit dem ersten Moment, als ich sie im Hörsaal gesehen habe, dem Professor Kontra gegeben hat, so selbstbewusst, so schlagfertig, da wusste ich es: Sie ist es. Die Frau, die mich zum Lachen bringt, wenn ich mal wieder ganz ernst bin. Die mich herausfordert, wenn ich mich zu sehr in meiner Komfortzone verstecke. Sie ist die Frau, mit der ich alt werden wollte. Es gibt keine andere. Es gab immer nur Steffi.

Doch dann taucht ein anderes Bild vor meinem inneren Auge auf. Eine Steffi, die in letzter Zeit ihre Schichten so legen musste, dass wir kaum noch Feierabend zusammen hatten. Die mich nur flüchtig küsst, zu müde für körperliche Nähe. Die unsere Hochzeitsvorbereitungen aufschiebt, weil sie an einem neuen Projekt forscht. All die langen Nächte... Elias Meyer. Mir wird schlecht.

Habe ich es nicht geahnt? Dass sie etwas verborgen hält?

Nein, das muss ein Missverständnis sein. Lena Ritter hat die Narkose nicht gut vertragen. Ich bin nur länger geblieben, um sie zu überwachen. Menschen fantasieren so viel unter dem Einfluss von Narkosemitteln. Aber das, was sie sagte... Die Namen, die sie nannte – sie stimmten. Hat Elias Meyer nicht erst kürzlich darum gebeten, sich für den Sanitätsdienst einteilen zu lassen?Ich habe mir nichts dabei gedacht, war sogar stolz, dass er sich endlich für mehr interessierte als das Aufschneiden von Patienten. Und Steffi... gestern erst klagte sie beim Frühstück darüber, dass ihre Fähigkeiten dort unterfordert sind.

... und Steffi ... die sich erst gestern beim Frühstück darüber beklagt hat, dass sie als erfahrene Ärztin ihre Fähigkeiten besser einsetzen könnte als beim Sanitätsdienst...

Ich bin so ein Idiot.

Ein Teil von mir will sie in Schutz nehmen. Aber der andere Teil... zerbröckelt gerade.

So oder so: Ich muss zu ihr.

Ich stürme los, weiß nicht, wohin genau, bis mir einfällt, wo sie sich um diese Zeit aufhalten könnte. Ich drücke auf den Fahrstuhlknopf. Einmal, zweimal. Das dauert mir zu lange. Entnervt rausche ich ins Treppenhaus, die Stufen fliegen an mir vorbei. Ich durchquere die Eingangshalle, gehe mit langen Schritten auf die Cafeteria zu. 

Da sehe ich sie. Schon von Weitem erkenne ich ihren blonden Pferdeschwanz. Sie sitzt allein in einer Ecke, über eine Tasse Kaffee gebeugt – den Blick auf das Handydisplay geheftet. Wut steigt in mir hoch. 

Ich lasse mich auf den Stuhl ihr gegenüber sinken. Überrascht blickt sie auf. Sie wirkt erschöpft. Von langen Nachtschichten, habe ich immer gedacht. Der wahre Grund könnte ein anderer sein ...

„Hey, Basti", sagt sie und schenkt mir ein müdes Lächeln. Doch ihre Augen sind wachsam.

„Schläfst du mit Elias Meyer?", stoße ich atemlos hervor.

Einen Moment lang sieht sie mich geschockt an, zieht ihre perfekt geformten Augenbrauen nach oben. „Was? Wer erzählt denn sowas?"

„Spielt das eine Rolle?", frage ich. Stille. „Stimmt es?" Meine Stimme zittert.

„Basti ..."

Ich beiße die Zähne zusammen, so fest, dass es schmerzt „Stimmt es?", presse ich hervor. Ich muss es aus ihrem Mund hören. 

„Ja."

Und da ist es. Das Wort, das unsere gemeinsame Zukunft zerstört. Das Bild von Kindern, mit ihren blonden Haaren und meinen dunklen Augen, zerplatzt wie eine Seifenblasen. Ein Wort, das alles, was ich je geplant habe, infrage stellt.

Ich blinzele. Einmal. Zweimal.

„Basti, bitte." Ihre Stimme klingt ruhig, gefasst. Fast berechnend. Als hätte sie diesen nächsten Schritt geplant, für den Fall, dass ich davon erfahre.„Lass uns darüber reden. Wirf nicht alles weg, was wir uns aufgebaut haben."  Ich starre sie an. Wer ist diese Frau? Ich erkenne sie nicht wieder.

„Ich will, dass du ausziehst."

Die Worte sind raus, bevor ich über deren Tragweite genauer nachdenken kann. Seit drei Jahren war die Wohnung unser gemeinsames Zuhause. Eigentlich sollte es nur eine Zwischenlösung sein, als Steffi bei mir einzog. Wir wollten uns etwas Größeres suchen, doch bei dem Arbeitspensum im Krankenhaus blieb keine Zeit für Besichtigungen. So war aus meiner Wohnung irgendwann unsere geworden. Wie falsch es sich anfühlen würde, dort ohne Steffi zu wohnen. Aber noch falscher würde es sich anfühlen, gemeinsam darin wohnen zu bleiben. Nein, sie hat mich betrogen. Sie soll ausziehen.

„Und ich will den Ring zurück." Der Ring meiner Abuelita.

„Was?" Sie sieht mich an, als hätte ich ihr eine verbale Ohrfeige verpasst.

„Du hast mich gehört."

Sie runzelt die Stirn. Als sei diese Trennung nichts weiter als eine lästige Formalität. Schließlich zieht sie sich den Verlobungsring vom Finger und legt ihn wortlos vor mir auf den Tisch.

Ich nehme ihn an mich. Er fühlt sich schwer an in meiner Hand. 

Ohne ein weiteres Wort stehe ich auf. 

Ohne noch einmal zu ihr oder unserem gemeinsamen Leben zurückzublicken.


Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt