E i n u n d z w a n z i g

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Das Spiel ist hart umkämpft. Die Jungs schlagen sich nicht schlecht, aber Pascale und ich, wir schlagen uns besser. Erik und Lukas wechseln verwirrte Blicke, als langsam die Erkenntnis durchsickert: Wir sind nicht die leichte Beute, für die sie uns gehalten haben. Ein Ball nach dem anderen landet im Becher, und der Sieg rückt in greifbare Nähe. Noch zwei Treffer und es ist vorbei.

Doch das gestaltet sich zunehmend schwieriger. Mit jedem Treffer der Jungs – und damit jedem Becher, den wir trinken müssen – wird unsere Zielgenauigkeit schlechter und schlechter. Jetzt weiß ich auch wieder, warum dieses Spiel so teuflisch ist.

Pascale bückt sich, um den Tischtennisball aufzuheben, den Erik knapp an der Tischkante vorbeigeworfen hat. Ihr weinrotes Schlauchkleid rutscht dabei ein paar Zentimeter nach oben, und ich beobachte Lukas –  und Erik – dabei, wie sie meine beste Freundin lüstern taxieren. Pascale, die ihre Blicke registriert, aber sich im Gegensatz zu mir nicht weiter daran stört, reicht mir einen der beiden Bälle und setzt selbst zum Wurf an.

Der Ball segelt im hohen Bogen durch die Luft und – plop – trifft genau ins Ziel. „Ahhh!", kreischt Pascale, stürzt sich lachend auf mich und bringt mich dabei fast aus dem Gleichgewicht. Nicht weniger euphorisch schlinge den einen Arm um ihre Schulter, den anderen reiße ich jubelnd nach oben –

Da sehe ich ihn.

Das schmerzlich schöne Gesicht, das sich mir ins Gedächtnis gebrannt hat. Ich sehe, wie er Lukas mit Handschlag begrüßt, wie er Erik knapp zunickt – sehe, wie sich seine Lippen zu diesem verdammten überheblichen Grinsen verziehen. 

Ungläubig starre ich ihn an.

Er ist es, daran gibt es keine Zweifel.

Elias.

Was zur Hölle?

Mein Magen zieht sich zusammen. Lukas sagt etwas, was ich durch die Lautstärke nicht verstehen kann. Die beiden wechseln ein paar Worte miteinander, Elias lacht. Er lacht. Völlig fasziniert von diesem Anblick, blinzele ich. Ist dieser attraktive Mann dort drüben wirklich der aufgeblasene Assistenzarzt aus dem Krankenhaus? Er wirkt so... jung. Und sogar noch attraktiver, mit schlichtem schwarzem T-Shirt, Jeans und Sneakern. Ich knirsche mit den Zähnen. Da fällt mir wieder unsere letzte Begegnung ein. Als ich ihm fast an die Gurgel gesprungen bin, weil er mich – völlig zu Recht – beschuldigt hat, Sebastián von der Affäre erzählt zu haben. Mist. Ich bezweifle irgendwie, dass er Begeisterungssprünge macht, wenn er mich entdeckt. Das hat er nicht – noch nicht. Doch es ist nur eine Frage der Zeit.

Rückzug, schreien alle meine Instinkte. Aber das geht nicht. Pascale und ich sind mitten im Spiel, ich kann nicht einfach verschwinden. Leise fluchend versuche ich, überall hinzuschauen, nur nicht zu ihm.

„Was ist los?", fragt Pascale verwundert.

„Ach, nichts", sage ich atemlos und lache nervös, es klingt beinahe hysterisch.  Ich will nicht – verdammt, ich will wirklich nicht hinübersehen, aber meinem verräterischen Körper ist das egal, mein Blick wird von ihm angezogen wie die verdammte Motte vom Licht.

Eine Frau ist neben ihn getreten. Er reagiert nicht mal, als sie ihren Arm um seine Taille schlingt. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich erstarre. 

Nein.

Nein, nein, nein.

Es ist die Frau aus dem Wohnzimmer. Die Frau, die ich beim wilden Rumknutschen beobachtet – na gut, gestalkt habe. Mit einem Mann, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte, weil er mit dem Rücken zu mir stand, und – wenn ich so genauer darüber nachdenke – dessen Statur und Haarfarbe, der von Elias verdächtig ähnlich sahen. Nein, nicht ähnlich. Es war Elias, der erst vor 20 Minuten seine Hand unter ihren Rock geschoben hat. Wie ein Pitbull steht sie jetzt neben ihm, bereit ihn gegen jeden weiblichen Angriff zu verteidigen. Ist sie seine Freundin? Hat er sie auch mit Steffi betrogen, so wie Steffi Sebastian? Ich schnaube.

Der Griff des Pitbulls schraubt sich fester um seine Taille. Zufrieden registriere ich, dass sich Elias langsam aus ihrem Klammergriff befreit. Dann sagt sie etwas und bringt ihn erneut zum Lachen. Mein selbstgefälliges Schnauben bleibt mir im Hals stecken.

Hat der sich irgendetwas eingeworfen?

Gut, ich gebe es ja zu. Es stört mich, dass er scheinbar unbeschwert und freundlich mit Menschen kommunizieren kann – nur nicht mit mir. Selbst am Tag unserer ersten Begegnung hatte er nur arrogante Blicke und ein überhebliches Grinsen für mich übrig. Von da an ging es nur Berg ab, denke ich bitter und frage mich, ob ich eigentlich noch alle Latten am Zaun habe. Ich sollte lieber einen Abflug machen, und zwar pronto, bevor er mich bemerkt und –

Verdammt.

Hilfe.

Gerade noch deutet der Pitbull auf den Beerpongtisch zwischen uns, Elias' Blick folgt ihrem Finger, schweift über die vier roten Becher vor uns, wandert hoch zu Pascale, runter zu ihren langen Beinen, ihrem kurzen Kleid, wandert weiter...

Blaugraue Augen bohren sich in meine.

Ein ungläubiger Ausdruck huscht über sein Gesicht, dann sehe ich Verärgerung darin aufblitzen. Sein Blick wandert zu meinem Gipsfuß, als müsste er sich vergewissern, dass ich wirklich diejenige bin, für die er mich hält, nämlich seinen persönlichen Antichristen oder sowas. Schnell wende ich den Blick ab. Mein Gesicht steht in Flammen.

Pascale stupst mich in die Seite. „Girl, auf was wartest du? Du bist dran."

Alle Augen sind auf mich gerichtet. Erik, Lukas, sogar die Leute um den Tisch herum warten auf meinen nächsten Zug. Hat irgendjemand etwas bemerkt? Mit weichen Knien bringe ich mich in Position und setze hastig zum Wurf an. Aber der Ball rutscht mir aus den Fingern und verfehlt den Becher um einen halben Meter. Noch mehr Röte schießt mir ins Gesicht. Pascale seufzt frustriert.

Ohne dass ich etwas dagegen tun kann, schiele ich wieder zu Elias, und sehe, wie sich seine Lippen zu einem höhnischen Grinsen verziehen. Ich schließe kurz die Augen. Warum? Warum muss ausgerechnet er hier sein?

Die Jungs sind wieder am Zug. Erik wirft daneben – doch Lukas trifft. Fast hätte ich erleichtert aufgeseufzt. Mit einem genervten Stöhnen greift Pascale nach dem Becher und will schon zum Trinken ansetzen, da schnappe ich ihr den Becher blitzschnell aus der Hand und leere ihn in einem Zug. Schon klar, Alkohol löst keine Probleme, aber das tut Wasser schließlich auch nicht. Und einen Schluck Bier kann ich gerade wirklich gut vertragen. 

Pascale und ich liegen noch immer knapp in Führung. Noch ein Becher, und wir haben gewonnen. Pascale geht in Position, ihre Lippen verziehen sich zu einem amüsierten Grinsen. Stirnrunzelnd folge ich ihrem Blick und sehe, wie Lukas ihr Blicke à la Christian Grey zuwirft. Ich verdrehe die Augen. Doch triebgesteuert wie Pascale ist, ist Lukas' Ablenkungsmanöver genauso billig wie wirkungsvoll: Der Ball segelt weit über die Tischkante. Ein Raunen geht durch die Menge. 

Jetzt bin ich dran. Ich greife den Ball und humpele zur Tischkante. Meine Mundwinkel zucken nervös. Ich darf mich nicht schon wieder blamieren. Nicht vor ihm

Ich kneife die Augen zusammen, halte den Atem an – und werfe.

Als nächstes spüre ich Pascales Umarmung, die mich fast zu Boden reißt. Jubel um uns herum. Wir haben gewonnen. Ich habe tatsächlich getroffen.

„Yes, Giiirl! Wir haben gewonnen!", jubelt Pascale.

Mein Blick wandert zum gegnerischen Team. Lukas schüttelt enttäuscht den Kopf, während Eriks Blick den meinen sucht und anerkennend nickt. Ich lächele schief, schiele hinter Erik zu der Stelle, wo Elias gerade eben noch gestanden ist.

Er ist weg.

Ein Stich der Enttäuschung durchzuckt mich. Einmal im Leben blamiere ich mich nicht und ausgerechnet dann muss er sich in Luft auflösen. Auch den Pitbull kann ich nirgends entdecken. Haben die beiden wieder Stellung im Wohnzimmer bezogen? Ein bitterer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus.

Verärgert über mich selbst runzele ich die Stirn. Soll mir doch recht sein. Das heißt dann hoffentlich, dass er mich für den Rest des Abends in Frieden lassen wird. Er ist wohl ebenso wenig an einem Aufeinandertreffen interessiert wie ich. Wer's glaubt, Lena.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt