A c h t u n d z w a n z i g

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„Die sind alle so nett, Lena. Wirklich kein Vergleich zu den Kollegen aus Friedberg," verkündet Nicole mit einer Selbstzufriedenheit, die nur sie an den Tag legen kann.

„Das freut mich für dich." Mein Unterton ist wohl etwas zu enthusiastisch, aber es gibt etwas, das ich wissen muss. „Auf welcher Station bist du eigentlich?" Ich versuche so beiläufig wie möglich zu klingen. Nicht Orthopädie und Unfallchirurgie. Nicht Orthopädie und Unfallchirurgie.

„Ich bin der Kardiologie zugeteilt." Ein erleichtertes Ausatmen. „Obwohl zurzeit überall Not am Mann ist."

Ich stelle Nicole auf Lautsprecher und kämpfe gleichzeitig mit meinem widerspenstigen Wäscheständer. Das blöde Ding scheint zu vergessen, dass seine einzige Aufgabe darin besteht, stabil zu stehen. Etwas, dass wir wohl gemeinsam haben.

Nicole senkt plötzlich ihre Stimme, als würde sie mir ein Staatsgeheimnis anvertrauen. „Aber in der Kantine habe ich mich mal umgesehen. Und was soll ich sagen, Lena? Einfach wow." 

Ich verdrehe die Augen, doch mein Herzschlag beschleunigt sich. „Die Ärzte sind ja vielleicht attraktiv! Aber die Konkurrenz schläft nicht, sag' ich dir. Die Ärztinnen und Krankenschwestern sehen aus, als hätten sie einen Vertrag mit Victoria's Secret. Da bekomme sogar ich Komplexe." Wem sagt sie das?

„Du weißt aber schon, dass das dein Arbeitsplatz ist und nicht deine persönliche Dating-Börse, oder?" erinnere ich sie vorsichtig.

„Warum geht denn nicht beides?" An ihrer Stimme höre ich, dass sie grinst. Typisch Nicole.

Je mehr Zeit wir miteinander verbringen, auch wenn es nur durch gelegentliche Anrufe ist, desto mehr gewöhne ich mich an das, was man als schwesterliche Beziehung bezeichnen könnte. Und wenn ich ehrlich bin, hat mir das mehr gefehlt, als ich zugeben will.

„Ich will dich nicht abwürgen, aber ich muss noch meinen Artikel für kommenden Montag fertigschreiben."

Fast wäre mir die Frage herausgerutscht, ob sie heute Abend mit Pascale und mir in den Irish Pub kommen will. Aber ich breche im letzten Moment ab – habe ich Pascale doch versprochen, dass wir mal wieder einen Abend nur zu zweit verbringen, wie früher.

„Aber es ist Samstag." Ich kann förmlich sehen, wie sie missbilligend den Kopf schüttelt, ihre dunkelbraunen Locken dabei wild umherfliegen. Ein Stich des schlechten Gewissens durchzuckt mich, weil ich ihr unsere Pläne verschweige. Aber ich habe keine Lust auf Streit – weder mit Pascale noch mit Nicole – und genau das würde passieren, wenn ich – Option 1, Nicole mitbringen würde, oder – Option 2, Nicole von Pascale und meinen Plänen erzählen würde. Also entscheide ich mich für die feige Option 3: Schweigen. 

„Naja, musst du wissen. Ich gehe jedenfalls gleich mit Michael auf den Viktualienmarkt. Außerdem wollte er mir noch den Englischen Garten zeigen." Drei Wochen in München und Nicole hat mehr von der Stadt gesehen als ich in einem Jahr. Das passiert wohl, wenn man sich Hals über Kopf in seine Arbeit stürzt und dabei untergeht.

„Na dann viel Spaß euch zwei", sage ich ein bisschen zu hastig. Unwillkürlich frage ich mich, ob hinter Michaels Stadtführungsdrang mehr steckt als reine Freundlichkeit. Hat er Interesse an meiner Schwester? Um Nicoles hoffe ich, dass sie nicht so unvernünftig ist, etwas mit ihrem Mitbewohner anzufangen. Und sich Hals über Kopf in etwas zu stürzen, das am Ende in einem Scherbenhaufen endet. Ich schnaube. Wo kommt auf einmal dieses beschützerische Gefühl her?

„Dir auch beim Arbeiten," reißt mich Nicole aus meinen Gedanken und legt auf.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und werfe einen Blick auf den Wäscheständer, der nun endlich so steht, wie er soll. Nach vier mehr oder weniger produktiven Stunden hängt die Wäsche und mein Artikel ist fertig. Es wird mir sicher nicht nochmal passieren, dass ich nur auf den letzten Drücker meinen Abgabetermin einhalten kann. Wer weiß schon, ob ich mir heute Abend nicht wieder ein Bein breche und das restliche Wochenende im Krankenhaus verbringen muss. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: 17 hours ago ⏰

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