Z w a n z i g

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Wer auch immer Lukas ist, ich beneide ihn um diese Wohnung: Altbau, hohe Decken, knarzende Holzdielen – und das mitten in der Münchner Altstadt. Pascale und ich können unmöglich die einzigen Gäste sein, die ihn nur flüchtig kennen. Kein Mensch hat so viele Freunde.

Musik dröhnt aus einem überdimensionierten Verstärker. Der Geruch von verschüttetem Bier, ein Hauch von Schweiß und Zigarettenqualm hängt in der Luft. Ich muss grinsen – ja, so riechen Partys. Vor allem die Sorte Keiner-weiß-eigentlich-so-genau-wer-der-Gastgeber-ist-WG-Party.

Pascale hat mich vor einer Viertelstunde allein gelassen, um sich auf der Toilette „kurz" mal frischzumachen. Da noch immer jede Spur von ihr fehlt, beschließe ich, auf Erkundungstour zu gehen. Mit meinen Krücken und einem Drink in der Armbeuge kämpfe ich mich durch das überfüllte Wohnzimmer. Der pulsierende Bass und die Euphorie der Gäste, die schon gut einen sitzen haben, sind ansteckend. 

Ich gelange in ein kleineres Zimmer – wahrscheinlich das Schlafzimmer. Auf einem improvisierten Bett aus Europaletten liegt eine dicke Matratze. Die Musik dröhnt hier nicht ganz so laut. Ein Beerpongtisch steht in der Mitte des Zimmers, und ein rothaariges Mädchen, deren Team haushoch am Verlieren ist, verfehlt gerade wieder einen Becher. Ihr Mitspieler stöhnt auf, während die Gegner jubeln. Eine weitere Gruppe hat es sich auf dem Boden bequem gemacht und verteilt Tequila-Shots. Beim Anblick dieses Teufelszeugs verziehe ich das Gesicht. Ich humpele an ihnen vorbei, hin zum geöffneten Fenster, stelle meinen Drink auf der Fensterbank ab und lasse mich auf die Bettkante sinken. Tief sauge ich die kühle Nachtluft ein. Ich fröstele ein wenig. Bald schon wird der Sommer vorbei sein. Mich durchzuckt ein Stich der Wehmut. Der Herbst hat etwas... Trostloses an sich. Etwas Unwiederbringliches.

Ich lehne mich ein Stück weiter aus dem Fenster – und staune. Der Ausblick über die Dächer Münchens ist atemberaubend. Ist das da hinten die Frauenkirche? Ich blende den dröhnenden Bass aus und lasse den Anblick auf mich wirken. Im Glanz der Nacht zeigt sich die Stadt von ihrer schönsten Seite. Lächelnd nehme ich einen Schluck von meinem Gin Tonic.

„Schöne Aussicht, oder?"

Ich zucke zusammen und fahre zu der Stimme herum. Ein Typ steht ein paar Schritte entfernt, eine Hand lässig in die Hosentaschen gesteckt, in der anderen ein Bier, von dem er gerade einen Schluck nimmt. Er ist nur ein kleines Stück größer als ich, hat braune Locken und kleine Grübchen, wenn er lächelt – so wie jetzt. „Und die Stadt ist auch nicht übel." Der Klassiker unter den miesen Anmachsprüchen.

Ohne dass ich etwas dagegen tun kann, muss ich grinsen. Ein bisschen schäme ich mich dafür, dass es sogar irgendwie funktioniert hat. „Wow, charmant", sage ich, halb amüsiert, halb spöttisch. „Funktioniert der oft?

Seine Grübchen vertiefen sich, während er sich mit einem gespielt unschuldigen Blick an den Fensterrahmen lehnt. „Nur, wenn ich Glück habe. Aber im Ernst, die Aussicht war der Grund, warum ich mich für die Wohnung entschieden habe."

„Du wohnst hier also", stelle ich überflüssigerweise fest. Super kombiniert, Sherlock.

„Das ist sogar mein Zimmer", sagt er und streicht sich durch seine Locken. „Ich bin übrigens Erik."

„Lena."

„Und welchem meiner Mitbewohner habe ich zu verdanken, dass du heute hier bist, Lena?" Er zwinkert mir zu und nimmt einen Schluck von seinem Bier.

„Ähm... Lukas." Ich lache nervös. „Meine Freundin Pascale hat ihn im Club kennengelernt, und er hat uns eingeladen. Also eigentlich hat er sie eingeladen, ich bin nur die Plus-Eins." Hör schon auf, zu plappern. Verlegen presse ich meine Lippen aufeinander.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt