D a m a l s

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Es ist ein angenehm warmer Spätsommertag. Daniel und ich sind eigentlich erst für den Abend verabredet, aber ich möchte ihn überraschen. Es gibt keinen besonderen Anlass, kein Geburtstag, unser Zweijähriges haben wir erst vor ein paar Wochen gefeiert. Ich will ihm einfach eine Freude machen. Ihm dafür danken, dass er mein Fels in der Brandung ist. Dass er mich auffängt, seit ich mit ihm zusammen bin, und ich dadurch die Vorwürfe meiner Eltern besser ertragen kann. Also verlasse ich früher als geplant die Unibibliothek, erledige die Einkäufe und fahre zu ihm nach Hause. Dank meines Zweitschlüssels ist das kein Problem. Während er noch im Krankenhaus arbeitet, bereite ich schon mal alles für das Drei-Gänge-Menü vor.

Ich zerkleinere Zwiebeln, koche Tomatensoße und schichte Lasagneplatten – sein Lieblingsessen. Als nächstes ziehe ich die Eismaschine aus dem Küchenschrank. Da ich das Rezept nicht im Kopf habe und sein Laptop auf der Theke steht, klappe ich ihn auf und logge ich mich ein. Ich gebe "Vanille-Macadamia-Eis Rezept" ein – ping – da taucht eine Nachricht von "Nicole" am oberen Bildschirmrand auf. Zuerst denke ich mir nichts dabei. Wahrscheinlich eine seiner Kolleginnen oder eine Freundin. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die das Handy ihres Partners durchsuchen. Ich vertraue Daniel –

Da sehe ich ihr Profilbild.

Mein Herz setzt einen Schlag aus. Nur um daraufhin in doppelter Geschwindigkeit zu pochen.

Meine Finger zittern, als ich die Nachricht öffne.

16:12 – Ich vermisse dich.

Ist das ein schlechter Scherz?

Wie in Trance starre ich auf den Bildschirm, als unvermittelt seine Antwort erscheint.

17:13 – Das lässt sich ändern ;)

17:14 – Ich hab gleich 20 Minuten Pause

17:14 – Bereitschaftszimmer?

Luft. Ich bekomme keine Luft. 

Atmen, Lena, atmen. 

Verzweifelt versuche ich, Luft zu schnappen, aber es fühlt sich an, als würde mich etwas von innen heraus zerquetschen. Ein japsendes Geräusch entweicht mir.

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich zu Boden gesunken bin. Tränen verschleiern mir die Sicht. Ein Schluchzer bahnt sich den Weg. Atmen. Ein weiterer Schluchzer. Der Damm ich gebrochen. Schluchzer um Schluchzer schütteln meinen Körper. Ich zittere, habe die Kontrolle verloren. Ich kann nichts tun, außer zu weinen – bitterlich, heftig, bis ich keine Tränen mehr übrig habe.

Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß, zusammengekauert auf dem kalten Fliesenboden. Leer.

Als sich mein Atem wieder halbwegs beruhigt hat, erhebe ich mich langsam. Ohne einen weiteren Blick auf den Chatverlauf klappe ich den Laptop zu.

Ich stehe in seiner Küche. Der Duft von überbackenem Käse hängt in der Luft. Alles wirkt so friedlich, so normal, so vertraut. Als ob nicht gearde unsere gemeinsame Zukunft in tausend Stücke zerbrochen ist. Ich weiß nicht, welcher Verrat schwerer wiegt. Der Schmerz ist überall. Ich heiße ihn willkommen, lasse mich ganz von ihm ausfüllen.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich hier stehen kann, bevor ich breche. Deshalb kämpfe ich den Fluchtinstinkt nieder und fasse einen Entschluss: Es muss enden. Heute. Sonst werde ich vielleicht niemals die Kraft dafür aufbringen. Also setze ich mich an den Küchentisch und warte.

Als ich den Schlüssel im Schloss höre, zucke ich zusammen. Die Lasagne ist längst kalt.

Als Daniel mein verquollenes, erbärmliches Ich am Küchentisch sieht, bleibt er überrascht stehen. „Du bist ja schon da. Wir waren doch erst für später–" Er stockt, als er mich richtig ansieht. „Ist was passiert, Lena?"

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt