Pascale hört mir schweigend zu, ihre Augen sind vor Entsetzen geweitet. Kaum bin ich fertig, bricht es aus ihr heraus: „Ich fasse es nicht. Ich fasse es einfach nicht."
Sie fährt ruckartig hoch, tigert durch mein Wohnzimmer und schüttelt dabei fassungslos den Kopf. „Gibt es eine schlechtere Freundin auf diesem Planeten als mich?!"
„Nein, qua–"
„Hätte ich dich nicht überredet, mit in den Irish Pub zu kommen, und hätte ich dich nicht allein gelassen, wäre das alles niemals passiert!" Ihre Stimme ist rau und voller Schuld, während sie vor der Couch auf und ab geht. „Was für eine Katastrophe! Ich ... ich hätte besser auf dich aufpassen müssen."
„Es konnte doch keiner wissen, dass so etwas passiert," sage ich, doch meine Stimme klingt hohl. Pascale ignoriert meine Worte, fährt sich hektisch durch die Haare, bevor sie mir einen fast schon verzweifelten Blick zuwirft. „Ich weiß nicht, ob ich mir das jemals verzeihen kann, Lena ..."
Sie bleibt stehen, sieht mich mit Tränen in den Augen an. „Wirst du mir jemals verzeihen können?" Ich unterdrücke ein Seufzen. Wer braucht hier eigentlich gerade wessen Trost? Ich zwinge mich zum Nicken, und als hätte ich sie damit erlöst, kehrt sofort das Strahlen in ihr Gesicht zurück.
Die letzten drei Tage waren hart, jede Nacht ein neuer Kampf. Ich wache nachts auf, verschwitzt und mit pochendem Herzen. Unruhig wälze ich mich hin und her, bis ich es irgendwann schaffe, in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Und die Albträume verfolgen mich auch tagsüber, legen sich wie ein düsterer Schatten über mich. Ich habe das Gefühl, als hätte mir vor drei Tagen jemand den Boden unter den Füßen weggezogen... und seitdem befinde ich mich im freien Fall.
Seit dem Vorfall am Samstagabend war ich noch einmal in der Bar gewesen. Die 50 Euro, die Elias mir für das Taxi gegeben hat, haben für einen kleinen Umweg zum Irish Pub gereicht. Mit klopfendem Herzen und schwitzigen Händen betrat ich die Bar, das vertraute, aber bedrohliche Summen der Gespräche und das Klirren von Gläsern verstärkten den Kloß in meinem Hals. Alles dort fühlte sich falsch an. Ich fragte den Barkeeper, ob eine Handtasche abgegeben wurde. Er wandte sich um und zog dann tatsächlich meine Tasche unter dem Tresen hervor. Alles war noch da: Portmonee, Handy, Schlüssel. Ich habe die Tasche fest an mich gedrückt, mechanisch ein „Danke" gemurmelte und bin nach draußen geflohen, kaum fähig, meinen Atem unter Kontrolle zu bringen.
Lange habe ich hin- und herüberlegt, ob ich Pascale überhaupt davon erzählen soll. Mein Entschluss, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, ist mit jedem Tag schwächer geworden. Was soll das überhaupt bringen? Ich weiß weder, wie dieser Typ aussieht noch wie er heißt. Außerdem... die Vorstellung, dass mich das Ganze für den Rest meines Lebens als „die Frau, der das passiert ist" definiert, schnürt mir die Kehle zu.
Ich räuspere mich, doch bevor ich länger darüber nachdenken und einen Rückzieher machen kann, frage ich: „Könntest du mich morgen nach der Arbeit zur Polizeistation begleiten?"
„Natürlich, Girl!" Pascale nickt energisch. „Aber ich dachte, du erinnerst dich an nichts von dem Abend?"
„Schon, aber vielleicht kann die Polizei in der Bar nachfragen... Vielleicht hat ihn jemand gesehen." Ein bestimmtes Gesicht taucht in meinen Gedanken auf, und mein Herz setzt einen Schlag aus. Elias. Er muss ihn gesehen haben. Und doch habe ich es bisher nicht über das Herz gebracht, ihn danach zu fragen. Vielleicht weil ein Teil von mir kein Gesicht zu alldem haben will.
Ich schlucke schwer, schaue Pascale direkt an. „Denkst du, es ist verrückt, überhaupt zur Polizei zu gehen?"
„Überhaupt nicht verrückt," antwortet sie sofort. „Das ist genau das Richtige! Dieses Schwein muss bezahlen." Ihre Augen funkeln entschlossen, und dank ihres Zuspruchs kann ich ein bisschen freier atmen.
Trotzdem entgeht mir nicht, dass mich Pascale immer wieder verstohlen mustert, während wir eine Folge New Girl schauen. Schließlich kann ich sie davon überzeugen, dass ich „keine bleibenden Schäden davongetragen" habe. Dass ich „noch einmal Glück" hatte. Dank Elias.
„Stimmt, dein Ritter in schimmernder Rüstung," grinst sie und schüttelt dann den Kopf, „Auch wenn er ein bisschen... eigen ist. Wer wohnt denn noch bei seiner Großmutter?"
Ich sage nichts. Den wahren Grund, warum er bei seiner Großmutter lebt, habe ich ihr verschwiegen. Genauso, dass es sich bei dem Retter-Elias um Arschloch-Elias aus dem Krankenhaus handelt. Pascale glaubt, Elias sei zufällig zur Richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen – was ja auch irgendwie stimmt, versuche ich mein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Ich weiß selbst nicht, warum ich meine beste Freundin anlüge und ihr Elias' und meine Vorgeschichte verschweige: die hitzigen Wortwechsel im Krankenhaus, den Flirt auf der WG-Party – die anschließende Demütigung – das Knistern zwischen uns, die Hitze, die ich spüre, immer wenn ... Ich stoße langsam die Luft aus.
Vielleicht weil ich selbst nicht genau weiß, was das zwischen uns ist... Falls da etwas zwischen uns ist.
„Hast du es Nicole schon erzählt?", reißt mich Pascales Stimme aus den Gedanken. Ich blicke überrascht auf. „Ich meine ... heute ist schon Mittwoch, Girl. Wie konntest du das die ganze Zeit für dich behalten?" Ein Ausdruck tiefer Sorge steht auf ihrem Gesicht, doch ich ahne, was wirklich dahintersteckt.
„Du bist die erste Person, der ich davon erzähle", sage ich etwas gepresst. Diese Antwort scheint Pascale zu beruhigen, und sie lächelt erleichtert.
Ich schließe kurz die Augen. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, es Nicole zu erzählen –doch etwas hat mich davon abgehalten. Trotz allem, wie sich unsere Beziehung in den letzten Monaten verbessert hat, habe ich Angst vor ihrer Reaktion. Man muss kein Orakel sein, um vorherzusehen, was sie darüber denken wird, dass ich mir K.-o.-Tropfen ins Getränk habe schütten lassen. Immer wenn Pascale in einer unserer Party-Erinnerungen schwelgt, sehe ich das verdrehte Augenpaar meiner Schwester förmlich vor mir. Nein, danke, auf diese Verurteilung kann ich gerade gut verzichten.
Hinzu kommt, dass Nicole mich erst gestern angerufen hat. Zuerst hatte ich Panik, weil ich dachte, sie hätte von meinem Krankenhausaufenthalt erfahren. Doch dann fragte sie nur, ob ich das nächste Wochenende für einen Überraschungsbesuch in unserer alten Heimat freihalten könnte. Ich habe abgesagt. Und obwohl sie es gefasst nahm, blieb dieser bittere Nachgeschmack von Enttäuschung in der Leitung hängen.
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Between Heartbeats
Romance***Band 1 abgeschlossen*** Lena dachte, mit 25 hätte sie ihr Leben im Griff - falsch gedacht. Ein Jogging-Unfall bringt sie nicht nur ins Krankenhaus, sondern mitten in eine Achterbahn der Gefühle. Elias, der arrogante, aber faszinierende Assistenza...