D r e i u n d v i e r z i g

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„Ist dir kalt?" Seine Stimme ist leise, fast ein Flüstern, als wollte er die Stille der Nacht nicht stören.

„Geht schon", sage ich, obwohl das nicht ganz stimmt. Die Kälte kriecht mir schon seit einer Weile durch meine Jacke, doch ich will den Moment nicht zerstören.

„Hier." Elias zieht eine zweite Decke aus seinem Rucksack, gefolgt von einer Thermoskanne. „Nicht dass du dich noch in einen Eiszapfen verwandelst." Er zwinkert mir zu. „Und heiße Schokolade – gehört doch irgendwie zu einer Nacht unter den Sternen dazu, oder?"

Beim Anblick der Thermoskanne erstirbt mein Lächeln. Unwillkürlich spannt sich mein ganzer Körper an, und mein Herzschlag beschleunigt sich.

„Alles in Ordnung?" Seine Stimme ist sanft, besorgt.

Ich nicke, fixiere aber weiter die Kanne. „Seit..." Ich suche nach den richtigen Worten. „Ich bin bei Getränken... vorsichtig", presse ich hervor. Er muss denken, dass ich völlig durchgeknallt bin. Durchgeknallt und paranoid.

Aber Elias versteht sofort. Ohne Zögern öffnet er die Kanne, gießt etwas von der dampfenden Flüssigkeit in den Becher und trinkt selbst einen Schluck. „Hier sind keine K.-O.-Tropfen drin. Du bist bei mir in Sicherheit, Lena." 

Unsere Blicke treffen sich. Ich sehe darin keinen Spott, auch kein Mitleid. Nur Verständnis. Ich schlucke schwer. „Danke." Ich bringe ein schwaches Lächeln zustande, nehme die Tasse entgegen und nippe daran. Der Geschmack der süßen, heißen Schokolade ist tröstlich, und sofort fühle ich mich ein klein wenig besser.

Dann breitet Elias die Decke über uns beiden aus. Ich rutsche ein Stück näher, bis unsere Schultern sich berühren.

„Falls es dir zu viel wird, sag es mir", sagt er leise. „Ich mein's ernst."

Ahnt er, dass es mir schwerfällt seit dem Vorfall körperliche Nähe zuzulassen? Dass ich in meinen Albträumen sein Gesicht sehe? Und dass Elias mich in diesen Albträumen nicht rechtzeitig retten kann? Aber ich weiß auch, dass ein Wort von mir genügen würde, und Elias würde mich in Ruhe lassen, mich niemals bedrängen. Bei ihm bin ich sicher.

Ich atme tief durch und versuche, den Knoten in meiner Brust zu lösen. „Okay." Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.

Wir sitzen da, schweigend, unter den Sternen. Die Stille ist nicht unangenehm, sie fühlt sich... vertraut an. Und genau das macht sie so gefährlich. Nach einer Weile stellt Elias die Thermoskanne beiseite und und zieht die Decke enger um unsere Schultern. Seine Hand streift meine, und mein Herz setzt einen Schlag aus. 

Ich schließe die Augen, atme tief ein, lasse die Luft langsam entweichen. Als würde das irgendetwas bringen. Ich konzentriere mich auf meine Umgebung. Da ist der Geruch der kalten Herbstnacht – ein wenig erdig, mit einem Hauch von feuchtem Gras. Vermischt mit etwas anderem. Warm, holzig. Elias. Ich kann nicht anders, als mich zu ihm zu lehnen, noch einmal tief einzuatmen, meinen neuen Lieblingsduft –

„Woran denkst du?", holt mich seine Stimme in die Realität zurück.

Ich öffne die Augen und sehe ihn an. Habe ich gerade an ihm geschnuppert?! Seine blaugrauen Augen funkeln neugierig.

„Nichts", sage ich viel zu schnell. 

Ein wissendes Lächeln huscht über sein Gesicht. „Findest du etwa, ich rieche gut?"

Ich schnaube. „Davon träumst du wohl." Obwohl mich meine glühenden Wangen längst verraten haben.

Sein Grinsen wird breiter. „Schon gut." Er lehnt sich zurück, sein Blick wandert zu den Sternen. „Du riechst auch nicht schlecht." Ein nervöses Lachen entweicht mir, aber bei seinen Worten breitet sich eine angenehme Wärme aus.

Doch dann streift ein kühler Wind durch die Bäume, und und ich kann ein Frösteln nicht unterdrücken. Elias bemerkt es sofort. Er zögert kurz, dann legt er seinen Arm um mich, zieht die Decke enger um unsere Körper.

„Besser?" fragt er leise.

Ich nicke, wage es aber nicht, ihn anzusehen. Mein Herz schlägt zu laut, seine Nähe macht mich schwindelig, und doch fühlt es sich... irgendwie richtig an.

„Du bist so still. Ist alles okay?" Seine blaugrauen Augen liegen aufmerksam auf mir.

„Ich genieße die Aussicht." 

„Die Aussicht, hm?", fragt er, ein amüsiertes Funkeln in seinen blaugrauen Augen.

„Die Sterne", präzisiere ich und drehe meinen Kopf zu ihm. Genau in dem Moment hebt er die Hand, um eine Haarsträhne aus meinem Gesicht zu streichen. Seine Finger sind warm, und seine Berührung ist kaum mehr als ein Hauch – aber sie reicht aus, um mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper zu jagen.

Die Stille zwischen uns wiegt schwer. Ich könnte den Blick abwenden – sollte es vielleicht – aber etwas hält mich fest. 

„Du bist schwer zu lesen, weißt du das?" Seine Stimme ist rau, heiser.

Mein Herz schlägt schneller, und ich merke, wie meine innere Mauer langsam bröckelt.

Langsam überbrückt Elias den letzten Abstand zwischen uns. Mein Atem geht flach und ich halte seinem Blick stand, bis er sich zu mir hinunterbeugt. Und seine Lippen meine treffen.

Der Kuss ist sanft, fast schüchtern und voller Wärme. Seine Zunge streift meine, wartet darauf, dass ich mich ihm öffne. Ich erwidere den Kuss, zunächst vorsichtig, dann intensiver und lasse mich schließlich fallen.

Als seine Lippen mit mehr Dringlichkeit auf meine treffen, kann ich nicht anders, als ihn an mich zu ziehen. Meine Hände finden den Stoff seiner Jacke. Er reagiert sofort, schlingt seine Arme enger um mich und ich fange Feuer. Will mehr. Brauche mehr

Als ich sanft auf seine Unterlippe beiße, entweicht ihm ein leises Stöhnen. Das Geräusch jagt einen Schauer durch meinen ganzen Körper. Die Grenzen zwischen uns verschwimmen, der Kuss wird intensiver – 

Bis er sich plötzlich zurückzieht.

Ich blinzele verwirrt, kann meine Enttäuschung nur schwer verbergen. „Stimmt etwas nicht?", stoße ich atemlos hervor, meine Stimme noch rau vor Verlangen.

Seine Augen flackern, dann seufzt er leise und schüttelt fast unmerklich den Kopf. „Doch... alles ist gut."

„Das... fühlt sich aber nicht so an", widerspreche ich, unsicher, warum sich mein Herz plötzlich so schwer anfühlt.

Seine Hand streift meine Wange, seine Berührung ist sanft. „Lena, ich..." Er hält inne, schluckt schwer. „Ich will das mit dir richtig machen. Nicht einfach so, verstehst du? Es ist das erste Mal mit dir, und..." Sein Blick sucht meinen. „Es soll etwas Besonderes sein." Besonderer als nachts unter dem Sternenhimmel? 

Ich starre ihn an, versuche zu verstehen. Seine Worte wirken aufrichtig, aber sie hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. „Bist du sicher, dass das alles ist?"

Elias zieht er mich wieder in seine Arme, bevor er mich erneut küsst, sanft, zärtlich. „Ja", sagt er leise, aber in seiner Stimme liegt ein Hauch von... Bedauern?

Ich schließe die Augen, lehne mich an ihn und verdränge meine Zweifel, auch wenn ein Teil von mir nicht ganz glauben will, dass es so einfach ist. Aber hier, unter den Sternen, fühlt es sich an, als wäre die Welt ein bisschen weniger schwer. Ein bisschen weniger kompliziert. Und ich will diesen Moment festhalten, solange ich kann.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt