F ü n f z e h n

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„Also, wenn ich mich recht erinnere, lief das eher... parallel", gebe ich Nicole zur Antwort.

„Was? Das mit Maja und mir?" Nicole legt den Schöpflöffel beiseite und sieht mich überrascht an.

„Eh, nein. Das mit dir und mir."

Sie wirft mir einen verständnislosen Blick zu. „Hä?"

Ich stöhne. „Muss ich das wirklich laut aussprechen?" Als keine Antwort kommt, fahre ich fort: „Also gut: Als er sich von mir getrennt hat, lief das mit euch doch schon längst. Ganz abgesehen davon, dass er nur mit mir Schluss gemacht hat, weil ich von eurer Affäre erfahren habe. Wer weiß, wie lange er mich sonst mit dir betrogen hätte." Ich ignoriere den bitteren Geschmack in meinem Mund. „Und dann erzählst du mir eine Woche später, dass du ihn liebst. Das war irgendwie ... ernüchtern", füge ich trocken hinzu.

Nicole reagiert nicht, also rede ich weiter: „Keine Ahnung, warum er sich von dir getrennt hat, aber es hatte definitiv nichts mit mir zu tun. Von wegen, dass er nicht über mich hinweg war." Ich lache bitter. „Wir hatten das letzte Mal Kontakt, als er mir vor einem Jahr meine Sachen gebracht hat."

Nicole starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an.

„Lena!"

„Was denn?"

Sie bricht in hysterisches Lachen aus, ringt nach Luft.

„Was ist denn?" Jetzt hat sie endgültig den Verstand verloren.

Als sie sich wieder halbwegs beruhigt hat, stößt sie atemlos hervor: „Wir waren so dumm. Ich– ich war so dumm." Ein weiterer Lachanfall schüttelt sie. Das kommt also dabei heraus, wenn ich mit Nicole über den Penner spreche. Notiz an mich: Thema in Zukunft besser meiden, um neurotischen Anfall zu vermeiden.

„Lena, verstehst du denn nicht?" Verständnislos sehe ich sie an. Nein, ich verstehe gar nichts. „Daniel hat mir versichert, dass ihr längst getrennt wart!" ruft sie aus. „Naja gut, vielleicht nicht längst, aber er hat mir gesagt – nein, versprochen –, ihr seid seit ein paar Wochen auseinander. Daniel und ich... das ist erst passiert, als ich dachte, dass mit euch endgültig Schluss ist." Sie ringt nach Worten. „Sonst hätte ich doch nie..." Sie wird rot, spricht aber nicht weiter.

Ich werfe ihr einen argwöhnischen Blick zu. „Und wann soll das gewesen sein?"

„Im Juli."

Dass der Penner mich betrügt, habe ich Ende August herausgefunden – was bedeutet ... Mein Herz setzt einen Schlag aus. Es bedeutet, dass die beiden mindestens einen Monat hinter meinem Rücken etwas miteinander hatten. Doch wenn es stimmt, was Nicole sagt ... ja, was dann? Dann hätte Nicole mich nicht wissentlich mit dem Penner betrogen. Dann hätte meine große Schwester mir nur den Ex-Freund ausgespannt, und das bloß ein paar Wochen, nachdem er angeblich mit mir Schluss gemacht hat. So viel besser ist das jetzt auch nicht.

Verärgert schüttelte ich den Kopf. „Und warum hast du mir dann nie etwas gesagt, wenn wir angeblich schon getrennt waren?"

„Weil ich ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte! Er war schließlich dein Ex!" Ich ziehe eine Grimasse. „Zumindest dachte ich das", fügt sie hastig hinzu. „Und als ich endlich mit dir darüber sprechen wollte, dir alles erklären wollte, bist du einfach weggelaufen."

„Damals in deinem Zimmer", sage ich langsam, als sich alles Stück für Stück zusammenfügt.

Sie nickt stumm.

„Das war eine Woche, nachdem ich herausgefunden habe, dass er mich mit dir betrogen hat", sage ich leise. Bei dem Wort "betrogen", zuckt Nicole zusammen. „Weißt du eigentlich, wie ich es herausgefunden habe?" Natürlich weiß sie es nicht. Woher auch? Ich habe nur Pascale davon erzählt. „Ich habe euren Chat gelesen. Ihr hattet euch zum Sex im Bereitschaftszimmer verabredet." Bei der noch immer lebhaften Erinnerung daran beiße ich die Zähne zusammen. „Als ich ihn zur Rede gestellt habe, meinte er nur, dass es mit uns sowieso nie die große Liebe war – und hat Schluss gemacht."

„Scheiße, Lena. Hätte ich das gewusst... ich wollte dir nie wehtun." Tränen steigen ihr in die Augen. „Ich weiß, es war nicht richtig, deinen Ex zu daten. Aber zu wissen, dass er dich mit mir betrogen hat ..." Ihre Stimme beginnt zu zittern. „Es tut mir so unfassbar leid. Alles. Ich weiß, das macht es nicht wieder gut. Ich war so blind vor Liebe. Und ich Idiotin dachte, er liebt mich auch."

Die plötzliche Verletzlichkeit in ihrer Stimme versetzt mir einen Stich. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass die kurze Beziehung zwischen dem Penner und Nicole eher körperlicher Natur war. Aber zumindest Nicole war mit dem ganzen Herzen dabei gewesen. Bei dem Schmerz in ihren Augen frage ich mich, ob das vielleicht noch immer so ist.

Ich suche nach den richtigen Worten, finde aber keine. Also sage ich bloß: „Und er hat wirklich behauptet, dass der Grund für eure Trennung war, dass er nicht über mich hinweg ist?" Ich schnaube belustigt.

„Ja." Nicoles Mundwinkel heben sich zu einem schiefen Lächeln.

Ich pruste los. Das ist einfach zu absurd. Feige noch dazu, dass er ihr nie den wahren Grund gesagt hat, warum es zwischen ihnen aus war. Aber was erwartet man schon von einem narzisstischen Egomanen? Nicole stimmt in mein Lachen ein, aber es erreicht ihre Augen nicht ganz.

„Weißt du, was ich heute gemerkt habe?", frage ich unvermittelt.

Sie schüttelt den Kopf.

„Ich hasse ihn nicht mehr. Er ist mir einfach egal." Und es stimmt. Wie viele Nächte habe ich wegen ihm geweint, mich gefragt, womit ich das verdient habe, so behandelt zu werden. Ich bin in Selbstmitleid zerflossen. Ich habe ihn gehasst. Ich habe Nicole gehasst. Und ich habe mich gehasst für meine emotionale Abhängigkeit von ihm. Aber das Aufeinandertreffen heute hat mir gezeigt: Ich mag mein neues Leben, in dem er keinen Platz hat. Und er verdient es auch nicht, länger Teil davon zu sein.

Und ich habe begonnen, mir selbst zu vergeben. Vielleicht ist es an der Zeit, auch Nicole zu verzeihen. Nach allem was passiert ist, scheint sie noch immer unter dem Penner zu leiden.

„Meinst du, wir können das alles hinter uns lassen?", fragt Nicole zögernd, als hätte sie meine Gedanken erraten.

Ich nicke langsam und lächele.

„Komm her", sagt sie, ihre Augen glänzen feucht. Ich bekomme einen Kloß im Hals, als sie mich  zu sich herunter in ihre Arme zieht und fest drückt. Auch wenn Nicole die große Schwester ist, körperlich bin ich diejenige, die Nicole um ein gutes Stück überragt. Ach ja, und diejenige von uns mit dem missratenen Gleichgewichtssinn. „He, Vorsicht!", ruft sie lachend, weil ich schon wieder drauf und dran bin, Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Ich stimme in ihr Lachen mit ein, und für einen Moment fühlt es sich so leicht an, wie schon lange nicht mehr. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, Nicole in München öfter um mich zu haben.


Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt