E l f

695 19 1
                                    

Ich schließe die Wohnungstür auf und atme den vertrauten Geruch meiner Wohnung ein: kein Desinfektionsmittel, kein abgestandener Zigarettenqualm, kein Krankenhaus. Endlich zu Hause. Der Taxifahrer, der so freundlich war, mir mit meiner Reisetasche zu helfen, wartet geduldig an der Tür. So schnell wie eine Schnecke auf Melatonin (der Tag war lang, okay?) humpele ich zur Garderobe und fische mein Portemonnaie aus der Handtasche.

Mit einem müden Lächeln drücke ich ihm ein paar Scheine in die Hand. „Danke, stimmt so." Er nickt freundlich und tritt den Rückzug an. Mit einem Seufzer schließe ich die Tür hinter ihm und lehne mich erschöpft dagegen. Endlich allein.

Draußen ist es dunkel. Kaum zu fassen, dass ich erst gestern hochmotiviert zur Joggingrunde aufgebrochen bin. Größter Fehler meines Lebens – den ich sicher kein zweites Mal machen werde. Sport ist Mord.

Ich krücke durch den Flur in den Wohn-Ess-Schlafbereich. Dass meine Wohnung so winzig ist, hat durchaus seine Vorteile – lange Fußwege sind schon mal kein Problem. Mein Magen knurrt laut, und ich schleppe mich weiter in Richtung Küche. Wobei „Küche" ein übertriebener Ausdruck ist für eine Spüle, zwei Herdplatten und einem Mini-Kühlschrank. 

Dabei bleibe ich mit meiner Krücke an der Ecke meines Buchregals hängen, verliere das Gleichgewicht, fuchtle panisch in der Luft. Für einen Herzschlag bin ich sicher, dass ich (schon wieder) krachend zu Boden gehe. Doch im letzten Moment umklammere ich die rettende Küchenzeile. Ich atme tief durch. Ernsthaft, noch so ein Stunt und ich kann gleich wieder im Marienhospital einziehen. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Als ich den Kühlschrank öffne, verziehe ich das Gesicht: ein Glas Essiggurken, Ketchup und eine Flasche Roséwein. So viel dazu.

Meine letzte Hoffnung ist das Gefrierfach –ha, Jackpot! Triumphierend ziehe ich eine Tiefkühlpizza Margherita heraus (die Gute von Gustavo Gusto! ). Ich schnappe mir mein Handy, um den Timer auf acht Minuten zu stellen. Da fällt mir auf, dass ich noch immer den Nicht-Stören-Modus aktiviert habe. Sechs ungelesene Nachrichten von Pascale und drei verpasste Anrufe von – Nicole. 

Echt jetzt?! Wenn meine Schwester anruft, kann das nur eins bedeuten: Dass sie etwas von mir will. Dass sie mir den Freund ausgespannt hat, scheint sie nicht zu kümmern – genauso wenig wie mein Wunsch, unseren Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren. Doch da ich offenbar das Rückgrat einer Amöbe habe, spiele ich dieses Spiel im stummen Protest einfach mit.

Aber heute bin ich durch. Nicole kann warten. Stattdessen öffne ich Pascales Nachrichten.

18:23 – Er hat mich versetzt.

18:23 – WTF! Tom hat mich wirklich versetzt!

18:24 – Gestern wollte er mich seinen Eltern vorstellen und jetzt das?!

19:13 – Girl, warum antwortest du nicht? Ich bräuchte jetzt echt deinen Support...

20:18 – OH SHIT. Ich hab's total vergessen!!!

20:19 – Es tut mir sooooo leid!!! Ist die OP gut verlaufen???

Ich runzle die Stirn. Morgen werde ich sie anrufen, um mir das Drama mit Tom in aller Ausführlichkeit anzuhören. Hatte sie nicht selbst darauf bestanden, dass es etwas Lockeres bleiben sollte? Doch ihre Reaktion spricht Bände.

Dass sie meine OP vergessen hat, stört mich nicht. Meine Erwartungen an Freundschaften (und Beziehungen) haben sich nach all den Jahren (dem Penner sei Dank) der Realität angepasst. Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden. So einfach ist das. Und Pascale gehört zu den wenigen Menschen, die wirklich für mich da sind, wenn es zählt – wie gestern, als sie meine Sachen ins Krankenhaus gebracht hat.

Ich tippe eine Antwort.

21:58 – Kein Stress. Ich bin gerade erst heimgekommen. Die OP war okay. Viel Drama. Ich rufe dich morgen an.

21:59 – Wie konnte er dich versetzen??? Kam wenigstens eine Entschuldigung? Oder eine Erklärung?!

Pascale antwort nur zwei Minuten später.

22:01 – Auf dich ist immer Verlass <3 

22:01 – Zum Glück lief alles gut. Oh, Drama klingt aufregend, ich bin gespannt!

22:02 – Es kam kein Wort von ihm. Ich wusste, dass das ein Fehler war. Es ist definitiv over.

Erschöpft lege ich das Handy beiseite. Während die Tiefkühlpizza im Ofen vor sich hin brutzelt, ringe ich mit der Müdigkeit und versuche, die Augen offenzuhalten.

Der Geruch von geschmolzenem Käse durchzieht die Luft. Ich schalte den Fernseher ein, in der Hoffnung, dass das monotone Dröhnen meine Gedanken ablenkt. Doch sie kehren immer wieder zu den Ereignissen des Tages zurück – zu heute morgen, als ich noch dachte, mein Artikel sei meine größte Sorge. Ich schnaube. Bis sich die Ereignisse überschlagen haben und ich in diese chaotische Dreiecksgeschichte mit Sebastián, Steffi und Elias reingezogen wurde. Okay, vielleicht habe ich mich auch selbst reingezogen. Und dabei womöglich eine Verlobung zerstört... Verdammt, dafür musste ich nicht mal mit jemandem ins Bett steigen. Im Gegensatz zu Elias. Ich seufze und kämpfe gegen das immer drängendere schlechte Gewissen an. 

Als hätte ich nicht genug mit meinem eigenen Drama zu tun. Und Nicoles Anruf ist nur ein Vorbote.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt