V i e r u n d d r e i ß i g

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„Wie war Ihr Name noch gleich?", fragt der Mann in blauer Polizeiuniform, der mir gegenüber am Schreibtisch sitzt. Er stellt geräuschvoll seine Kaffeetasse ab, die nun eine Ecke des Formulars mit meinen Personalien bedeckt. Ein brauner Kaffeerand zeichnet sich darauf ab. Ich schlucke schwer und widerstehe dem Drang, die Augen zu verdrehen. Mein Name steht klar und deutlich in der ersten Zeile des Formulars, direkt vor ihm.

„Magdalena Ritter", presse ich hervor.

„Aha. Dürfte ich nochmal Ihren Personalausweis sehen?" Er greift mit seinen dicken Pranken nach meinem Ausweis, gleicht ihn ohne Eile mit dem Formular ab. Hinter ihm steht eine junge Polizistin, die mir einen entschuldigenden Blick zuwirft.

„Sie sagten, Sie waren in einer Bar namens ‚Reillys'–"

„O'Reillys", verbessere ich ihn leise, doch er redet unbeirrt weiter.

„... und dass Sie vermuten," – das Wort betont er überdeutlich – „dass Ihnen jemand etwas in Ihr Getränk gemischt hat. Und dann sind Sie angeblich am nächsten Morgen ohne Erinnerung aufgewacht." Er macht eine bedeutungsvolle Pause. „Allerdings nicht bei der Person, die Ihnen das angeblich angetan hat. Ist das so korrekt?"

Ich beiße die Zähne zusammen. „Ja, aber wie schon gesagt: Elias Meyer" – er wirft mir einen verständnislosen Blick zu – „der Mann, der mich zu sich nach Hause genommen hat, er hat ihn gesehen. Außerdem ist er Arzt und hat mir Blut abgenommen. Die Ergebnisse sind noch nicht da, aber er hatte keine Zweifel, dass es sich um K.-o.-Tropfen handelte."

„Dann würde ich vorschlagen, dass Sie warten, bis die Blutergebnisse da sind, und anschließend nochmal hierherkommen, Frau Ritter. Tut mir leid, aber so kann ich nichts für Sie tun." Er setzt ein zufriedenes Lächeln auf.

Es tut ihm ganz und gar nicht leid. Es ist offensichtlich, dass er mir nicht glaubt. Heißer Zorn steigt in mir auf. Es war schwer genug, hierher zu kommen. Dass nun genau das eingetreten ist, wovor ich so große Angst hatte, ist wie ein Schlag ins Gesicht.

Bevor ich in meiner Wut eine Erwiderung finden kann, meldet sich die Polizistin mit fester Stimme: „Dürfte ich Sie kurz sprechen, Polizeioberkomissar Busch?" Er schnaubt verärgert, steht aber auf. Die beiden verschwinden für eine gefühlte Ewigkeit. Irgendwo hinter mir höre ich leise Stimmen, Schritte, gedämpftes Gemurmel, die mich nur noch mehr verunsichern. Ein eisiger Schauer läuft mir über den Rücken, und ich frage mich, ob Pascale, die in der Eingangshalle auf mich warten wollte, überhaupt noch da ist – oder ob auch sie die Geduld mit mir verloren hat.

Endlich kehren die beiden zurück. Die junge Polizistin nickt mir aufmunternd zu, während Busch sich nur mit verkniffenem Blick setzt. Er starrt kurz auf seine Unterlagen, als bereite es ihm körperliche Qualen, dann spricht er weiter: „Worauf die Kollegin mich freundlicherweise hingewiesen hat", knurrt er, „gab es am Samstagabend tatsächlich einen Einsatz im ‚O'Reillys'. Ein gewisser Elias Meyer alarmierte die Polizei um 00:14 Uhr, nachdem Sie bewusstlos waren. Er bestand darauf, Sie mit nach Hause zu nehmen. Die Kollegen vor Ort ließen ihn, da er sich als Arzt ausweisen konnte. Eine offizielle Zeugenaussage hatten Sie leider versäumt." Seine Stimme trieft vor Sarkasmus. „Aber viel würde die ja auch nicht bringen, da Sie sich ja sowieso an nichts erinnern."

Ich starre ihn ungläubig an. Elias hat die Polizei gerufen? Während ich bewusstlos war? Er hat darauf bestanden, mich mitzunehmen? Warum warum hat er mir nichts gesagt? Ich verbiete mir einmal mehr, irgendwas in sein Verhalten reinzuinterpretieren – keine dummen Fantasien mehr. Das habe ich hinter mir.

Doch bevor mein Kopfkino so richtig in Fahrt kommen kann, fährt die Polizistin mit sanfter Stimme fort:„Ein Mann namens Erik Springer wurde in der Nacht auf Sonntag festgenommen – wegen dringenden Tatverdachts der versuchten sexuellen Nötigung." Sie hält kurz inne. „Elias Meyer konnte den Täter identifizieren und hat uns sogar dessen Anschrift nennen können."

Mein Magen verkrampft sich, und ich ringe nach Atem, meine Hand beginnt unkontrolliert zu zittern. „Erik... Springer? Sind Sie sicher?"

Das wäre ein zu großer Zufall... aber... Elias kennt seine Adresse. Und habe ich nicht geglaubt, ihn in der Bar erkannt zu haben? Mir wird schlagartig übel.

Busch wirft der Polizistin einen warnenden Blick zu, doch sie nickt ruhig. „Ja, ich bin sicher."

Erik – Erik hat mich unter Drogen gesetzt. Abscheu und Entsetzen über meine eigene Naivität überkommen mich. Wie konnte ich nur jemals an etwas Romantisches mit ihm denken? Dieser Mensch, der mir das angetan hat – ich habe wirklich eine beschissene Menschenkenntnis... Ein Gefühl der Ohnmacht schnürt mir die Kehle zu. Es ändert alles – und nichts.

„Und... was passiert jetzt?", frage ich tonlos. Mein Brustkorb fühlt sich eng an, und ich atme langsam aus, um das Zittern in meinen Händen zu beruhigen.

„Sie geben Ihre Aussage zu Protokoll. Ich werde das übernehmen", fügt die Polizistin sanft hinzu und ignoriert Busch, der ihr einen finsteren Seitenblick zuwirft. „In ein paar Wochen werden Sie dann voraussichtlich vor Gericht geladen, um dort Ihre Aussage zu bestätigen."

Vor Gericht. Was bedeutet, dass ich ihn wiedersehen muss. Mir wird eiskalt. Wie nachts in meinen Albträumen spüre ich diese Leere, das Gefühl des Kontrollverlusts aus jener Nacht. Ich schlucke schwer, zwinge mich aber zu einem entschlossenen Nicken.

Es muss sein. Ich werde tun, was nötig ist, damit dieser Mistkerl seine gerechte Strafe bekommt – damit er niemals wieder einer Frau so etwas antun kann, oder zumindest für eine sehr lange Zeit nicht.

Busch steht sichtlich widerwillig auf und verlässt das Büro. Die Polizistin bleibt bei mir, während ich alles, was ich noch weiß, zu Protokoll gebe. Es ist nicht besonders viel, trotzdem liest sie mir den Bericht geduldig vor, und ich setze schließlich meine Unterschrift darunter.

Draußen in der Eingangshalle sehe ich Pascale, die sofort aufspringt, als sie mich sieht.

„Da bist du ja endlich! Was hat so lange gedauert?"

„Sie haben ihn", sage ich leise.

Pascale reißt die Augen auf und lächelt erleichtert. „Das ist doch super!"

„Es war Erik.", presse ich hervor.

„Erik?" Sie sieht mich verständnislos an.

„Erik – von Lukas' WG-Party."

„Dieses Schwein!", ruft sie entrüstet. „Und sie haben ihn festgenommen?"

Ich nicke langsam. „Und ich muss vor Gericht aussagen."

Pascale legt mir eine Hand auf die Schulter. „Was bedeutet, dass wir ihn wiedersehen werden."

„Wir?"

„Natürlich, wir! Du glaubst doch nicht, dass ich dich da allein durchgehen lasse, oder?"

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt