Kapitel 43

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Pov. Tim

Ich hatte im Moment so wenig Bock auf meine Freunde wie noch nie in meinem ganzem Leben. Eigentlich waren sie immer das was Freunde sein sollten. Leute, auf die man sich verlassen kann. Denen man vertrauen kann. Mit denen man Spaß hat, scheiße baut, die einen aufbauen wenn es einem schlecht geht und einem verzeihen und beistehen, egal was für eine Dummheit man gemacht hat. Und denen man eigentlich alle seine Probleme anvertrauen kann.

Jedoch hatte ich das Gefühl mich immer mehr von meinen Freunden zu entfernen, ihnen zu misstrauen und sie zu vernachlässigen. Mein derzeitiges 'Problem' konnte ich ihnen auf gar keinen Fall erzählen. Ich wollte nicht an Ansehen verlieren. Und schon gar nicht wollte ich sie verlieren. Was ist wenn sie es nicht verstehen? Sich von mir abwenden? Mich verhöhnen? Passte ein Schwuler in unsere Clique? War es mir das Risiko wert? War ER mir das Risiko, alles außer ihn zu verlieren wert? Ich stand vor der Entscheidung.

Meine Freunde oder Er.

Ich zog mein Handy aus der Tasche, entsperrte es und checkte meine Nachrichten. Plötzlich summte es erneut und der Ton sagte mir, dass ich eine weitere Nachricht bekommen hatte. Sie war von ihm. Von Stegi.

Vielleicht sollten wir reden.

Ja. Vielleicht sollten wir das.

In einer halben Stunde. Bei mir im Zimmer.《, schrieb ich zurück.

Eine halbe Stunde. Eine halbe Stunde hatte ich Zeit mir eine Meinung zu bilden. Eine halbe Stunde, um eine Entscheidung zu treffen.

Pov. Stegi

Seid 5 Minuten stand ich bereits vor Tims Zimmertür. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion und davor ihn nach unserem Gespräch zu verlieren. Ich atmete tief durch, hob meine Faust und klopfte zaghaft an die Tür, die ich direkt im nächsten Moment öffnete und mit Blick zum Boden leise das Zimmer betrat. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, kam Tim auf mich zu, drückte mich an sie und legte seine Lippen auf meine. Er fuhr unter mein Shirt und kurze Zeit genoss ich seine Berührungen, bis mir klar wurde warum ich eigentlich nochmal hier war.

"Hey.", sagte ich etwas lauter und stieß ihn von mir weg, sodass er etwas nach hinten taumelte, sich aber kurz darauf wieder fing. "Ich bin nicht gekommen um mir dir rumzumachen.", sagte ich etwas leiser und trat wieder einen Schritt auf ihn zu.

"Ich kann das nicht mehr Tim.", brachte ich zögerlich und mit bebendem Unterkiefer heraus. Im nächsten Moment liefen mir die ersten Tränen über die Wange. Er hob seine Hand und wischte sie weg, blieb aber weiterhin stumm. "Ich will mich nicht andauernd nur in unseren Zimmern mit dir treffen müssen. Ich möchte deine Hand halten, dir zulächeln und dich küssen wenn wir uns in der Schule begegnen. Und vorallem möchte ich nicht dabei zusehen, wie sich jemand Anderes an dich ran macht und du nichts dagegen unternimmst, oder wie du jemand Anderes außer mich küsst", zu meiner Enttäuschung drängte sich Wut dazu, doch ich versuchte mich zu beherrschen.

Tim hob mein Kinn an, legte seine Hand an meine Wange und sagte dann das erste mal an diesem Tag etwas zu mir: "Aber ich kann das erklären. Ich liebe d..." Mein Herz schmerzte. "Stopp!!!!", unterbrach ich ihn schluchzend, aber so selbstbewusst, wie es mir in diesem Moment nur möglich war. "Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann würdest du zu mir stehen. Und du würdest glücklich und stolz darauf sein mit mir zu gehen. Das wäre ich nämlich."

Er zog seine Hand wieder weg. Dann lief auch ihm eine Träne über die Wange. "Stegi. Hör mir zu. Ich bin glücklich wenn ich mit dir zusammen bin, aber ich kann es mir nicht erlauben Schwul zu sein. Das würde nicht nur mein Ansehen zerstören, sondern auch die Beziehung zu meinen Freunden. Ich muss ein normales Bild abgeben."

Ich zögerte kein bisschen und im nächsten Moment landete meine flache Hand mit voller Wucht in seinem Gesicht. Er verzog seine Miene und kniff die Augen schmerzerfüllt zusammen, sah mich erschrocken an und rieb sich seine rot angelaufene Wange. Wie kann ein Mensch nur seinen Ruf, über sein persönliches Glück stellen. Ich wurde unfassbar wütend.

"Das ist nicht dein Ernst oder? Versteh mich doch meine Güte. Habe ICH etwa meine Freunde verloren, nachdem ich mich geoutet habe? Der einzige Mensch, der es nicht akzeptiert hat, dass ich Schwul bin und der mir das jeden Tag gezeigt hat warst du! Dabei war ich nie das Problem, sondern nur deine eigene Arroganz und dein Stolz, der es nicht zugelassen hat, dir einzugestehen, dass du gar nicht so anders bist. Vielleicht hätte ich einfach Ja sagen sollen, als Mika mich um eine Beziehung gefragt hat. Vielleicht hätte ich mir die ganze Zeit und die ganzen Tränen wegen dir sparen sollen." Nun konnte ich die Wut wirklich nicht mehr zurückhalten. Wie konnte er nur so stur sein.

"Meine Fresse wenn das so ist dann geh doch!"

Das waren seine letzten Worte. Danach hörte man lediglich das zuknallen der alten Holztür. Ich verließ sein Zimmer. Ich verließ ihn.

Stexpert - You Are The ReasonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt