4. Der zweite Tanz

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Überrascht drehte sie sich um. Es war der seltsame L, der seinen Hut noch immer nicht abgenommen hatte. „Verzeiht, Lady Jenna. Ich wollte Euch bitten mir Euren zweiten Tanz zu schenken."
Da Jenna sich meistens aus allen Feierlichkeiten heraushielt, wusste sie nicht, ob es normal war nach einem Tanz gefragt zu werden, doch sie nahm mit einem eleganten Knicks an.
„Es wäre mir eine Freude, L."
Da das Lied bereits angestimmt war, nahm er ihre rechte Hand und führte sie zurück auf die Tanzfläche, wo er ihr seine linke Hand auf den Rücken legte. Nun war Jenna ihm nahe genug, um sein Gesicht zu sehen, doch sie kannte ihn nicht. Innerlich verfluchte sie sich dafür, nie auf einen der Bälle gegangen zu sein.
Sie bewegten sich langsam zur Musik des ruhigen Walzers und Jenna studierte sein ihr fremdes Gesicht.
Er war wohl ungefähr in ihrem Alter, vielleicht ein wenig älter. Sein Gesicht war scharf geschnitten, mit hohen Wangenknochen und einem markanten Kinn. Es war durchaus attraktiv, wenn man es auch nicht unbedingt als schön bezeichnen konnte, es hatte etwas raubvogelartiges. Das Auffallendste an ihm waren seine Augen. Ihr helles Blau leuchtete und war auch im Schatten seines großen Hutes gut erkennbar. Ruhig hatte ihr Tanzpartner die Musterung über sich ergehen lassen, doch nun sagte er leise, dass nur sie es hören konnte:„ Nun Jenna, erzählt mir etwas über Euch."
Sie zog die Augenbrauen hoch.
„Allein durch meinen Namen wisst Ihr bereits mehr über mich als ich über Euch, Sir."
L lächelte bei ihrer wenig informativen Antwort, sein Lächeln bestand größtenteils darin, dass er den rechten Mundwinkel nach oben zog.
„Verzeiht Mylady, ich wollte nicht unhöflich wirken, nur ist es mir eigentlich nicht erlaubt heute Abend hier zu sein." Sein seltsames Lächeln wirkte chaotisch und langsam wurde er Jenna sympathisch. Erneut zog sie überrascht die Augenbrauen nach oben. „Darf ich fragen weshalb?"
„Mein Vater wünscht es nicht.", antwortete er knapp. Jetzt war ihr Interesse geweckt. Wieso wollte sein Vater nicht, dass er auf einen Ball ging? Alt genug war er auf jeden Fall. „Und...ist Euer Vater heute anwesend?", fragte sie neugierig, versuchte aber dies nicht zu zeigen, um nicht unhöflich zu sein, doch dass misslang ihr kläglich und lachte L kurz auf. „Es tut mir wirklich leid, Jenna, doch ich kann Euch wirklich nichts über mich sagen.", meinte er amüsiert. Sie nickte enttäuscht. Nachdem sie schweigend ein paar Schritte getanzt hatten, fragte er zögerlich: „Würdet...Ihr mir trotzdem etwas über Euch erzählen?" Jenna hatte gedankenverloren über seine Schulter hinweg ihrem Bruder, der mit der jüngeren de Feuille tanzte dabei zu gesehen, wie er sie höflich aber bestimmt auf Abstand hielt und schreckte auf. „Äh, ich... Ja, selbstverständlich, was möchtet Ihr denn wissen?"
„Was immer Ihr mir erzählen wollt. Familiengeschichte, Sorgen... Beziehungsstand?"
Jenna verkniff sich ein Lächeln bei seiner etwas dreisten Frage. „Ich bezweifle, dass Ihr meine Familiengeschichte hören wollt. Meine Sorgen... Hier ist es sehr warm. Und mein Beziehungsstand-"
Der Walzer war vorbei und die Menge verlief sich, auf der Suche nach dem nächsten Partner, einem Schluck Wein oder um Platz für andere zu machen und sie beim Tanzen zu beobachten. Auch L und Jenna verneigten sich, sollte er enttäuscht sein, die letzte Information nicht erhalten zu haben, so ließ er es sich nicht anmerken.

Jenna fand es schade, dass der Tanz bereits vorbei war, denn er war ein guter Tänzer, hinter der Dreistigkeit seiner Fragen hatte sie auch gehört, wie unsicher er war und schätze seinen Mut, aber auch die Tatsache, dass es bestimmt nicht der Etikette entsprach, jemanden nach vier Minuten Bekanntschaft nach seinem Beziehungsstand zu fragen. Dass er noch dazu gut aussah, ließ sich nicht abstreiten. Außerdem fühlte sie sich mit seiner Information, dass er eigentlich nicht hier sein dürfe, ins Vertrauen gezogen.

Oder er hält mich für naiv.

Darüber sinnierend hatte sie sich an ihren Platz gesetzt und nicht mitbekommen, dass er sich neben sie setzte. „Ihr wirkt heute Abend so in Gedanken. Worüber denkt Ihr nach? Oder an wen?", fragte er und sie drehte sich zu ihm um. „An nichts bestimmtes.", sagte sie und spürte, wie sie leicht errötete. Entweder er bemerkte es nicht, oder er ignorierte es. „Eure Sorge war, dass es hier sehr warm ist. Ich hatte mich gefragt, ob Ihr mir Euren Garten zeigen könntet?"
Sie war überrascht und erfreut über seine Frage. Es war wirklich warm mit all den Leuten auf einem Fleck und das mitten im Juni. Noch dazu hielt sie sich gern im Garten auf.
„Ja, warum nicht?", meinte sie und erhob sich, um dann mit L im Schlepptau den Saal zu verlassen.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt