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Felician saß auf seinem Bett und drehte nervös ein Messer zwischen den Fingern.
Gem hatte sich nicht für den heutigen Tag entschuldigt und es war schon weit nach Mittag.
War ihr etwas passiert? Immerhin gab es Gerüchte über einen Mörder, der schon mindestens drei Leute getötet hatte. Ob man das jetzt glaubte, war eine andere Sache, Tatsache war, dass Felician sich Sorgen machte.
Zum Teil nutzte er diese Sorge aber auch, um die Angst zu verdrängen, dass sie vielleicht nicht kam, weil sie es nicht wollte. Er hatte das alles zu selbstverständlich genommen, dabei war es von Anfang an zu schräg gewesen.

Erst die mysteriöse reiche Dame, die ihm Waffen und Essen schenkte, dann die lernfreudige Gem, die sich schließlich als wunderschöne junge Frau entpuppte.

Das konnte eigentlich nicht realistisch sein. Er stand auf und tigerte unruhig durchs Zimmer, während seine Gedanken sich weiter spannen, doch irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Er musste aus dieser engen Wohnung raus, sofort.

Ziellos setzte er seine unruhige Wanderung in den Gängen Fandrums fort, bis er bemerkte, wo ihn seine Füße hintrugen: Zu der kleinen Wohnung, die Gem als Trainingsraum gekauft hatte. Erst schüttelte er den Kopf. Wie verrückt war das denn? Er kannte sie seit gerade mal einem knappen Monat und schon zog es ihn unwillkürlich zu ihr. Allerdings... Vielleicht hatte sie ihm eine Nachricht hinterlassen. Die er nicht würde lesen können, er Idiot.

Seine ohnehin bereits unterirdische Laune wurde durch die Erinnerung, dass er sich mehr mit einem Buch als mit seiner Banknachbarin hätte beschäftigen sollen, als er noch in der Schule gewesen war, noch schlechter.

Er hörte einen dumpfen Schlag aus der Wohnung und stand sofort vor der Tür.
Hatte er sich das nur eingebildet?
Nein, da war ein weiterer Schlag.
Sollte er klopfen?

Er bemerkte, dass die Tür nicht abgesperrt war und schloss seine Finger um den Türknauf, bevor er ihn langsam drehte, um keinen Laut zu verursachen. Geräuschlos trat er ein und schloss die Tür hinter sich, dann ging er einen Schritt, um einen Blick um die Ecke auf die Quelle der Schläge zu erhaschen.
Überrascht beendete er sein Versteckspiel, als er Gem erkannte, die ihm den Rücken zugekehrt hatte und auf Kissen einschlug, die sie an die Wand gebunden hatte. Er legte seinen Umhang ab, neben ihren und trat vorsichtig in ihr Blickfeld, um zu testen, ob sie ihn dulden oder auf ihn losgehen würde, doch sie war ganz auf die Kissen fixiert, die sie mit einem mörderischen Blick bedachte, während sie mit Händen und Füßen auf sie eindrosch.
Obwohl ihre Schläge recht präzise platziert waren und nur wenig zu wünschen übrig ließen, sah das Ganze für Felician stark nach einem Wutausbruch aus. Aus Erfahrung wusste er, dass man dann am ehesten den Drang hatte, auf andere Menschen einzuschlagen, trotzdem räusperte er sich.
„Gem?", fragte er vorsichtig.
Mit einem Schrei gab sie den Kissen einen rechten Haken, der sie, trotz Seil, von der Wand holte und auf den Boden beförderte.

Gem blinzelte Felician an, als hätte sie ihn gerade erst bemerkt. Er konnte ihre Aufgewühltheit und ihr inneres Chaos in ihren Augen sehen, die zu glühen schienen. Hilfsbereit breitete er die Arme aus und sagte:„Na komm schon. Greif an."
Als hätte sie nur darauf gewartet, ging ein Ruck durch ihren Körper und sie sprang auf ihn zu. Zum Glück hatten sie noch keine Schläge geübt, sonst hätte er von ihrem Kampf mehr als nur ein paar blaue Flecken davongetragen. Er verlegte sich auf die Defensive und wich eher zurück, damit sie sich richtig austoben und ihrer Wut freien Lauf lassen konnte. Teilweise platzierte er schon ein paar Angriffe, um ihr nicht das Gefühl zu geben, er spiele nur mit ihr, doch nach einem Schlag spürte er etwas warmes, flüssiges über seine Hand laufen.
Blut? Hatte er sie verletzt? Nein, da war kein Blut. Das waren...

Entgeistert und überrascht fing er sie auf, als sie einfach mitten in einem Angriff schluchzend zusammenbrach und zu Boden sackte. Auf seiner Hand hatte er ihre Tränen gespürt, die jetzt wieder in Strömen über ihr Gesicht rannen. 

Was war nur mit ihr passiert?

Vorsichtig kniete er sich auf den Boden und hielt sie einfach schweigend und ein wenig hilflos, bis sie langsam wieder ruhiger wurde und sich die Tränen weg wischte.
„Möchtest du darüber reden?", fragte Felician sie leise.

Er erinnerte sich, den Schmerz über den Tod seiner Eltern erst überwunden zu haben, als er seiner Schwester davon erzählt hatte.
Wen sie wohl verloren hatte?
Hatte sie jemanden, mit dem sie über ihren Verlust sprechen konnte?
Wenn man den Schmerz zu lange mit sich herum trug, ohne ihn mit jemandem zu teilen, zerbrach man meist daran.

Gem schüttelte nur den Kopf, sah ihm aber nicht in die Augen. Sie schniefte leise.
„Wie war mein Angriff?", fragte sie dann. Ungläubig musste Felician schmunzeln. Dieses verrückte Mädchen, ging erst auf ihn los, hatte einen emotionalen Zusammenbruch und wollte dann sofort wieder lernen.

„Gar nicht schlecht. Du weißt, wie du deine Kraft einsetzt und siehst Lücken in der Verteidigung sofort, aber man merkt, dass die Bewegungen noch neu für dich sind."
Sie nickte aufmerksam und stand auf, er tat es ihr gleich, während er weitersprach:
„Deine Bewegungen sind zu groß, das kostet Zeit und Kraft. Versuch mal, fast am Gegner entlang zu streifen, anstatt immer einen großen Bogen zu machen, bevor du wieder neu angreifst."

Er beobachtete, wie sie den Kopf schüttelte, um ihre Gedanken frei zu bekommen und sich schließlich streckte, wie eine Katze.
„Neuer Versuch.", verlangte sie und sprang bereits los.

Felician bewunderte ihre unerschütterliche Konzentration, mit der sie seinen Ratschlag umsetzte. Er musste inzwischen schon wirklich aufpassen, um nicht von ihren Fäusten oder Ellenbogen erwischt zu werden.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt