Mit rasendem Puls warf sie einen hektischen Blick hinter sich. Dort war niemand. Wenn sie einfach wieder zurück ging...?
Aus Malcolms Gemächern kam ein leises, verzweifeltes, schluchzendes Seufzen, das ihr einen Adrenalinschauer durch den Körper jagte, so sehr erschrak sie.Da drinnen brauchte jemand Hilfe.
Und wenn es eine Falle war?
Sie atmete tief durch und trat mit gezücktem Messer durch die Tür. Auf alles gefasst platzte sie in den Raum. Nicht ganz auf alles, denn der Anblick auf dem ehemals weißen Teppichboden schockierte sie zutiefst.Der Saum eines schwarzen Umhangs hing auf dem Boden, lag über breiten Schultern und schloss sich über den Schlüsselbeinen ihres Mannes, der mit dem Rücken zu ihr auf dem Boden kauerte, über der blutverschmierten Leiche seines toten Vaters.
„Vater.", hauchte er verzweifelt. Jenna konnte sein Gesicht nicht sehen, doch sie hörte die Tränen in seiner Stimme. Er weinte. Ihr Mann, der starke Prinz, der unschlagbare Schwertkämpfer, der Thronfolger, der sie immer gehalten und gestützt hatte, kniete hier auf dem Boden und weinte.
Das Messer entglitt ihren Fingern und fiel mit einem dumpfen Ton auf den Teppich. Sofort sprang Lucian auf und wirbelte herum. Sein Gesicht war verzerrt und seine Hände voller Blut.
Als er seine Frau erkannte, versuchte er, seinen Umhang vor den toten Körper zu halten, um ihr den Anblick, der sie vielleicht an ihre Zofe erinnern würde, zu ersparen. Selbst in diesem Moment dachte er nur daran, sie zu schützen.„Lucian.", sagte sie leise und ging auf ihn zu. Er fing sie ab und umarmte sie, während er mit seinem breiten Brustkorb ihre Sicht versperrte.
„Jenna.", flüsterte er erstickt.
„Das ist nicht- Du solltest nicht... Du solltest das nicht sehen müssen. Du solltest nicht hier sein."
Mahnend legte sie einen Finger auf seine Lippen. Seine Lippen zitterten.„Natürlich sollte ich hier sein. Hier ist mein Mann, der jetzt auf keinen Fall alleine sein sollte. Ich lasse dich nicht allein. Ich liebe dich, Lucian."
Sie küsste ihn sanft und er zog sie an sich. Seine Stirn lag an ihrer und sie sah zu ihm auf, während seine Tränen auf ihr Gesicht tropften.
„Danke.", hauchte er.
„Ich liebe dich auch, Jenna."Vorsichtig löste sie sich von ihm und sah an ihm vorbei auf die Leiche des Königs. Der König war tot. Der mächtigste und bestgeschützte Mann im ganzen Land war ermordet worden, einfach abgeschlachtet und niemand hatte es bemerkt.
Sie schluckte und kniete sich auf den Boden, der vom Blut rot gefärbt war. „Möge deine Seele die Sterne finden.", flüsterte sie die rituellen Worte, mit denen man einen Toten verabschiedete. Sie musste an Annas Beerdigung denken und senkte den Kopf.
Lucian kniete neben ihr, seine Finger waren mit den erstarrten seines Vaters verschlungen, ungeachtet des Blutes.
„Ich wünschte, ich hätte mehr mit ihm gesprochen.", hauchte er mit erstickter Stimme. Sein tränenverhangener Blick fand Jennas.
„Ich konnte ihm nie sagen, dass ich ihm vergebe. Dass ich verstehe, weshalb er mich eingesperrt hat. Er ist gestorben in dem Glauben, dass ich ihn hasse."Lucians Kopf sank auf die Brust seines Vaters.
„Ich war ihm so ein schlechter Sohn.", murmelte er mit gedämpfter Stimme, das Gesicht im blutdurchtränkten Stoff vergraben.„Das warst du nicht, Lucian. Er war stolz auf dich.", sagte Jenna leise und zog ihn wieder nach oben. Blut überzog jetzt sein Gesicht, Tränen zogen Schlieren in das Rot.
„Mit welchem Grund? Was habe ich getan, worauf er stolz sein könnte?"
„Das musst du wissen.", antwortete seine Frau sanft und versuchte, mit einem Tuch das Blut aus seinem Gesicht zu waschen.
Sie fuhr mit dem Stoff über seine Wangen.
„Dann gib ihm jetzt einen Grund, stolz zu sein. Sei deinem Land ein guter König."Eine neue Erkenntnis schlich sich in seine Augen.
„Ich- ich bin jetzt König.", sagte er ungläubig, dann verzog sich sein Gesicht wieder.
„Ich bin nicht bereit. Wie soll ich das schaffen? Ich kann das noch nicht!", Panik wuchs langsam in ihm und wieder war es Jenna, die ihn beruhigte.
„Lass mich dir helfen. Gemeinsam können wir das schaffen. Es liegt in deiner Natur, du musst es nur wecken."
Sie legte ihre Hand auf sein Herz und sah ihn ernst an, obwohl sie fürchtete, in der Qual in seinen eisblauen Augen zu versinken.Der neue König starrte in das warme Grün ihrer Iris und riss sich zusammen.
„Wir müssen den Wachen Bescheid geben.", sagte er mir festerer Stimme und stand auf.
Jenna sah ihm besorgt hinterher, bevor sie ihm zur Tür hinaus folgte. Der Wachmann, den sie zwei Stockwerke tiefer fanden, erschrak, als er das blutverschmierte Gesicht seines Herrn sah, doch das war nichts gegen die Angst, als er erfuhr, dass der König tot war.„Euer Hoheit, es tut mir leid. Ich habe wirklich nichts bemerkt und niemanden gesehen oder gehört. Bitte, ich kann aus dem Dienst treten, aber bitte hängt mich nicht. Ich habe Frau und Kinder und-"
Lucian hob nur die Hand und der Mann war sofort still.
„Dich trifft keine Schuld. Such dir Männer, bereitet den Leichnam für die Beerdigung vor und räumt auf."Seine Antwort hätte die Wache wohl wesentlich mehr beruhigt, wäre seine Stimme nicht so kalt und emotionslos gewesen.
„J-ja Majestät. Vielen Dank Majestät.", stotterte der Mann unter vielen Verbeugungen und huschte davon.„Du solltest dir vielleicht das Gesicht waschen.", bemerkte Jenna leise.
Während Lucian ein Bad nahm, nutzte Jenna die Zeit um schnell einen Umhang über ihr Kleid zu werfen und nach Fandrum zu rennen. Sie sagte Shenni, dass sie die nächsten Tage wohl keine Zeit haben würde und schenkte ihr das kleine Buch, damit sie selbst weiter lernen konnte.
„Mach niemandem die Tür auf, wenn Feli nicht da ist!", wies Jenna die Jüngere an und verschwand wieder ins Schloss.Joa, hier bin nochmal ich mit einem Dankeschön für 700 Reads 🎉
und fast 200 Sternchen ⭐️.
Ihr seid der Hammer Leute!🔨😊
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Jenna
FantasyJenna lernt den charmanten Prinzen Lucian kennen, mit dem sie dann bald ins Schloss zieht. Ihr kurzes Glück wird von einer Reihe von Morden getrübt, die nicht lange außerhalb des Schlosses bleiben. Haben die Morde irgendetwas mit Jennas Anwesenheit...