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Im dahinter liegenden Gang nahm er die letzte Tür. Kaum hatte er die Tür geöffnet stieß Gem ihn energisch von sich und flüchtete in die gegenüberliegende Ecke des quadratischen Raumes, in dem nur ein Bett stand. Felician verschloss die Tür schnell hinter sich und sah besorgt zu Gem, die sich in ihrer Ecke zusammengekauert auf den Boden gehockt hatte.
Noch immer spürte sie die Finger des Mannes auf sich, wieder durchlebte sie die panische Angst, die sie ergriffen hatte, als der Fremde ihre Kapuze abstreifen wollte. Ihre Tarnung wäre beinahe aufgeflogen. Ihr Auftritt im Schlosshof mit Lucian, als sie ins Schloss gezogen war, hatte sich mit Sicherheit schnell genug herum gesprochen, dass man sie erkennen würde. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was es für ihren Ruf bedeuten würde, wenn man die Prinzessin in einer Bar voller stinkender Betrunkener und Prostituierter entdeckte. Und diese absolute Hilflosigkeit. Was hätte der Mann gemacht, wenn Felician nicht da gewesen wäre? Und was hätte Jenna dem entgegensetzten können? Gar nichts. Sie war in Fandrum so hilflos wie ein Fisch an Land.
„Gem?", fragte Felician vorsichtig und riss sie aus ihren verzweifelten Gedanken.
„Es tut mir leid. Ich hätte wissen müssen, dass so etwas passiert. Es ist mein Fehler."
Sie sah auf. Er saß etwa fünf Meter von ihr entfernt auf dem Boden, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein und sah sie besorgt an, während er sich entschuldigte. Dabei war es nicht seine Schuld. Sie hatte ihn doch gebeten, diesen Bekannten aufzusuchen, ihr Fandrum zu zeigen und er hatte sie sogar noch gewarnt und sie mal wieder gerettet, weil sie sich nicht selbst helfen konnte. Warum entschuldigte er sich?
„Darf ich mich zu dir setzten?", fragte er vorsichtig und sie nickte. Er ließ sich neben ihr nieder, darauf bedacht, sie nicht zu berühren.
„Was hat er getan, Gem? Wie kann ich dir helfen?"
Sie schüttelte nur leicht den Kopf, dann antwortete sie leise:
„Er hat nicht... Also er hat nur..." Sie wusste nicht, wie sie ihm ihre Sorgen erklären sollte.
„Ich konnte nichts tun, verstehst du? Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht mal weglaufen. Er wollte nur meine Kapuze absetzen und nicht mal das hätte ich verhindern können."
Felician widerstand dem Drang, seinen Arm um ihre Schultern zu legen.
„Und trotzdem bist du hier.", sagte er leise.
„Du findest dich hilflos, aber trotzdem streunst du durch Fandrum. Ich finde das ziemlich mutig. Vor allem, nachdem du gestern schon so einen netten Start in unsere schöne Gesellschaft hattest. Und heute bist du wieder hier."
Sie lehnte den Kopf an die Wand.
„Aber ich habe ja dich dabei. Alleine würde ich hier nicht herumlaufen."
„Alleine wäre es auch nicht mehr mutig, sondern dumm. Bitte versprich mir, dass du nie alleine durch Fandrum läufst." Sie nickte widerspruchslos.
„Aber so kann ich es manchmal genießen, als glorreicher Retter aufzutreten.", grinste er und stupste sie mit dem Ellenbogen an. Sie brummte nur undefinierbar.
„Und wir wollten deine Hilflosigkeit doch ändern, deswegen sind wir hier."
Jetzt nickte sie energischer und stand auf.
„Ja. Ich möchte kämpfen."
„Kämpfen ist ziemlich ungenau.", meinte er und erhob sich ebenfalls.
„Möchtest du Nahkampf ohne Waffen, oder Schwertkampf, oder mit einem Messer, oder mit Pfeil und Bogen?"
Jetzt wirkte sie wieder unsicher.
„Ich weiß nicht. Was würdest du vorschlagen?"
„Ich denke, Messer wäre gut. Ein Messer kannst du gut verstecken, ein Schwert wäre vielleicht zu schwer und im Nahkampf bist du als Frau körperlich etwas im Nachteil. Außerdem habe ich gerade nur ein Messer dabei."
Erleichtert merkte er, dass sie wieder entschlossener wurde.
„Okay, also, da du relativ klein bist, musst du schnell sein. Du bist Linkshänder? Gut, in Ordnung, du nimmst das Messer so... Ja, super. Gewöhn dich ein bisschen dran, an das Gewicht, die Größe. Schön, du kontrollierst die Klinge größtenteils mit Daumen und Zeigefinger, das brauchst du aber nicht so oft, weil das Messer nicht wirklich zum Kämpfen ist, sondern zum Stechen. Bei einer Stichwaffe ist es wichtig, dass du immer die kürzeste Strecke nimmst, also keinen großen Bogen mit dem Arm, nicht einfach rumfuchteln. So, ansonsten ist es wichtig, dass..."
Felician fuhr in seinen Erklärungen fort und brachte seiner neuen Schülerin erstmal die Theorie des Messerkampfes nahe. Aufmerksam sog Gem die Informationen in sich auf, sodass sie schnell zum Praktischen übergingen. Er ließ sie nur einfache Stöße üben und machte, während er ihr zusah, bereits Pläne für die nächsten Tage. Überrascht stellte er fest, dass es ihm richtig Spaß machte, sein Wissen mit ihr zu teilen, sie zu lehren. Endlich hatte er das Gefühl, etwas wirklich gut zu können, gebraucht zu werden, zum Teil auch, weil Gem eine sehr gute Schülerin war. Sie lauschte seinen Worten und versuchte seine Ratschläge umzusetzen - meist mit Erfolg. Insgesamt schien sie recht begabt zu sein und lernte schnell. Felician dachte sich für sie Kombinationen verschiedener Stöße aus, dann erfand er Situationen und ließ sie selbst nachdenken, wie sie das Messer am besten gebrauchen konnte. So verflog der Nachmittag mit verschiedenen Übungen, bis Felician einfiel, dass er Shennon gesagt hatte, er gehe Essen kaufen. Dann erinnerte er sich an seinen leeren Geldbeutel.
„Sehr schön. Damit hättest du jemanden ziemlich übel zugerichtet.", kommentierte er zufrieden die Aktionen seiner Schülerin. Dann räusperte er sich.
„Gem, wir müssen langsam Schluss machen. Ich hab Shenni versprochen, dass ich einkaufen gehe. Kommst du noch mit oder soll ich dich wieder zum Ausgang bringen?"

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt